Innenansicht des PMC Wagner Centre mit Besuchern.
Besucher im PMC Wagner Centre im russischen Sankt Petersburg (Archivbild vom November 2022). Die von Jewgeni Prigoschin gegründete und befehligte Söldnertruppe wurde bekannt als "Putins Privatarmee".
AP

Man weiß nicht, was Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin mehr erfreut: die Rückgabe seines persönlichen Waffenarsenals oder der zehn Milliarden Rubel, umgerechnet über 100 Millionen Euro. Beides wurde nach der gescheiterten Meuterei bei Durchsuchungen in Prigoschins Firmenzentrale in St. Petersburg beschlagnahmt. Nun hat er Geld und Waffen zurück.

Prigoschin sei mit einem weißen 7er-BMW, gefolgt von einem Landcruiser mit Sicherheitsleuten, persönlich bei der Petersburger Zentrale des Inlandgeheimdiensts FSB vorgefahren, berichtet das Onlineportal fontanka.ru. Er erhielt seine Gewehre und Pistolen zurück, darunter auch eine Glock-Pistole, mit der er einst vom russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu, seinem heutigen Lieblingsfeind, persönlich ausgezeichnet wurde. Unterdessen haben mehrere staatliche und unabhängige russische Medien Fotos von einer Hausdurchsuchung bei Prigoschin veröffentlicht. Angeblich fanden die Ermittler unter anderem Dollar- und Rubelbündel, Goldbarren, zahlreiche Waffen, aber auch mehrere Pässe mit unterschiedlichen Namen – und einen Schrank voller Perücken.

Halbe Revolte: Der rätselhafte "Gerechtigkeitsmarsch"

Das Rätselraten um die Zukunft der Wagner-Truppe allerdings geht weiter. Am Samstag vor zwei Wochen hatten Prigoschins Söldner mehrere Stunden lang das Hauptquartier der russischen Armee in Rostow am Don im Südwesten Russlands besetzt und dann ihren "Marsch der Gerechtigkeit" Richtung Moskau begonnen. Die Rebellion endete am selben Abend mit einer Vereinbarung, vermittelt durch den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Prigoschins Söldner kommen straffrei davon und dürfen ins Exil nach Belarus gehen.

Jewgeni Prigoschin selbst meldete sich in einer Audiobotschaft zu seinen Beweggründen zu Wort, wenngleich unklar war, wann diese aufgenommen wurde. "Ich möchte, dass Sie verstehen, dass unser ‚Gerechtigkeitsmarsch‘ darauf abzielte, Verräter zu bekämpfen und unsere Gesellschaft zu mobilisieren. Und ich denke, wir haben viel davon erreicht."

Prigoschin gab sich zuversichtlich, bereits "in vielem Erfolg" gehabt zu haben und dass in naher Zukunft jeder "unsere nächsten Siege an der Front" sehen werde. Er machte jedoch keine Angaben dazu, um welche Front es sich genau handle. Zu seinen Zukunftsplänen äußerte Prigoschin sich ebenfalls nicht. Dafür war es Lukaschenko, der am Donnerstag behauptete, Prigoschin sei gar nicht im Exil, sondern halte sich in Russland auf.

"Putins Koch": Was geschieht mit Prigoschins Firmenimperium?

Jewgeni Prigoschin und Russlands Präsident Wladimir Putin kennen einander aus St. Petersburg. Als Putin noch in der Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er öfters in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb nennen viele ihn "Putins Koch".

Lange Zeit agierte Prigoschin im Hintergrund. Erst mit dem Einsatz seiner Wagner-Söldner in der Ukraine trat der Unternehmer zunehmend in die Öffentlichkeit. Für die Kämpfe in der Ukraine wurde er gut bezahlt. Laut Putin erhielt die Wagner-Truppe 86,3 Milliarden Rubel allein für Gehälter und Prämien. Das sind knapp 870 Millionen Euro.

Doch Prigoschin ist nicht nur Wagner. Über seine Concord-Gruppe steuert er ein riesiges Firmenimperium. Er verfügt über Militär- und Bergbauverträge in Afrika. Seine Söldner sind unter anderem in Mali, Syrien und Libyen aktiv. Prigoschin besitzt zudem eine Cateringfirma, die jahrelang staatliche Einrichtungen versorgt hat, darunter Verpflegung für das Militär, für Schulen und Kindergärten.

Positive Berichterstattung

Auch im Medienbereich ist Prigoschin äußerst aktiv. Zu seinem Firmenkonglomerat gehört der Medienkonzern Patriot Media, dessen bekanntestes Medium die Nachrichtenseite Ria Fan ist. Patriot Media unterstützte in seiner Berichterstattung den russischen Präsidenten. Auch über die Wagner-Söldner und Prigoschin selbst lieferte Patriot Media positive Berichterstattung. Nun wird zumindest Ria Fan geschlossen. "Ich gebe unsere Entscheidung bekannt, zu schließen und den Informationsraum des Landes zu verlassen", erklärte der Chef von Ria Fan, Jewgeni Subarew. Einen Grund dafür nannte er nicht.

Inzwischen haben Russlands Behörden mehrere Nachrichtenportale von Patriot Media blockiert. Mehrere Seiten mit aktuellen Politik- und Wirtschaftsnachrichten sind von Russland aus nicht mehr erreichbar. Ihre Internetadressen tauchten auch im Verzeichnis "beschränkter Zugang" der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor auf. Zwei weitere Patriot-Portale, Newskije Nowosti und Ekonomika Segodnja, kündigten über den Onlinedienst Telegram an, ihre Tätigkeit einstellen zu wollen.

Lukaschenko: Prigoschin und seine Kämpfer sind nicht in Belarus
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hält dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zufolge in Russland und nicht in Belarus auf. Auch seine Kämpfer seien in Russland geblieben, sagte Lukaschenko. Bei Prigoschin wurden angeblich Goldbarren und bündelweise Geld gefunden
AFP

"Exil in Minsk": Wagner in Belarus

Am 27. Juni, drei Tage nach dem gescheiterten Aufstand, war Prigoschin mit seinem Privatjet auf dem Militärflugplatz Matschulischtschi nahe der belarussischen Hauptstadt Minsk gelandet. Seitdem soll der Privatflieger nach Recherchen des Onlinemediums Meduza mindestens zweimal zwischen Belarus und Russland hin- und hergeflogen sein. Ob Prigoschin jeweils an Bord war, weiß niemand. Nun hat Machthaber Lukaschenko etwas Licht ins Dunkel gebracht: Prigoschin sei nicht in Belarus, sagte er auf einer Pressekonferenz. "Was Jewgeni Prigoschin betrifft, ist er in Sankt Petersburg."

In Belarus werden in der Zwischenzeit Militärlager für die Wagner-Söldner vorbereitet. Bilder im Netz zeigen lange Reihen großer Zelte, Arbeiter verlegen Holzbretter als Böden, Feldbetten sollen dort aufgestellt werden. Von 300 Zelten ist die Rede, bis zu 15.000 Wagner-Söldner könnten dort untergebracht werden. Laut dem US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) werden drei Militärlager aufgebaut.

Wachsende Ängste

Aber was ist der neue Auftrag der Wagner-Söldner, deren milliardenteurer Einsatz in der Ukraine bislang aus der russischen Staatskasse finanziert wurde? Ihre schweren Waffen haben die Wagner-Söldner inzwischen an die reguläre russische Armee abgegeben. Doch Belarus ist Aufmarsch- und vor allem Nachschubgebiet des russischen Militärs. Die kampferprobte Wagner-Truppe könnte jederzeit neu bewaffnet und in Marsch gesetzt werden. Nicht nur in der Ukraine, auch in Polen wachsen die Ängste.

Denn Machthaber Lukaschenko droht den Nachbarländern: "Es interessiert mich absolut nicht und stört mich nicht, dass eine bestimmte Anzahl dieser Kämpfer bei uns stationiert wird. Darüber hinaus werden sie unter bestimmten Bedingungen stationiert. Die Hauptbedingung: Wenn wir diese Einheit für die Verteidigung des Staates einsetzen müssen, wird sie sofort eingesetzt. Und ihre Erfahrung wird gefragt sein." Polen hat inzwischen 500 Beamte, darunter auch Mitglieder der Antiterroreinheit, an die Grenze zu Belarus verlegt. Sie sollen die 5000 Grenzschützer und 2000 Soldaten verstärken, die derzeit schon an der Grenze stationiert sind.

Afrika: Neue Jobs für Wagner?

Sehr viel wahrscheinlicher als das erneute Vorrücken in die Ukraine oder gar ein Überfall auf das Nato-Land Polen ist allerdings, dass Prigoschin die Lager in Belarus als Ausbildungsstätten und Rückzugsorte für die Wagner-Einsätze in Afrika nutzt. Für Lukaschenko könnte das durchaus von Nutzen sein, meint der Politikanalyst Alexander Fridman: "Wenn Belarus zu einer Art Transitpunkt würde, könnte Lukaschenko, der Interessen in Afrika hat, mit Prigoschin zusammenarbeiten."

In Afrika vertreten Wagner-Söldner zum Teil mit brutaler Gewalt die russischen Interessen. Das soll auch so weitergehen, falls die Regierungen der jeweiligen Länder sich für eine Weiterführung der Verträge mit den Söldnern entscheiden. "Die Zukunft der Übereinkünfte zwischen afrikanischen Ländern und dem privaten Militärunternehmen Wagner hängt vor allem von den Regierungen der betroffenen Länder ab", sagt der russische Außenminister Sergej Lawrow. In Afrika helfen Wagner-Strategen lokalen Machthabern, die russische Interessen unterstützen, Wahlen zu gewinnen. Im vom Bürgerkrieg geschundenen Mali sind Wagner-Truppen bereits seit Ende 2021 im Einsatz und unterstützen die dortige Militärjunta, die blutig um ihre Macht kämpft. Es geht aber auch um handfeste Wirtschaftsinteressen. Der Energiegigant Gazprom wird in Algerien immer aktiver tätig. Der weltgrößte Diamantenhersteller, die russische Alrosa-Gruppe, schürft in Angola. Bereits 2019 kündigte Alrosa an, dass der Konzern auch in Simbabwe mit dem Abbau von Diamanten und Mineralien beginnen wird. Der russische Aluminiumriese Rusal baut den Aluminium-Rohstoff Bauxit in Guinea ab. Auch in Südafrika, Madagaskar und Burkina Faso sind russische Firmen aktiv. Die Sicherheitsdienste vieler dieser Unternehmen stellt Prigoschins Wagner-Truppe.

Machtkampf: Wie stark ist Prigoschin noch?

Im Machtgebälk des Kreml scheint es zu knirschen. Sichtbare personelle Konsequenzen gibt es noch nicht. Sergej Surowikin, Spitzname "General Armageddon", Prigoschins Förderer in der russischen Armee, ist nach wie vor nicht in der Öffentlichkeit aufgetaucht. Und der von Prigoschin so hart gescholtene Verteidigungsminister Schoigu ist nach wie vor im Amt.

Ob er dort bleiben wird, hängt wohl vom russischen Erfolg in der Ukraine ab. Die Meinung der Menschen in Russland jedenfalls ist gespalten. Laut einer aktuellen Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada halten 46 Prozent der Befragten Prigoschins Kritik am russischen Verteidigungsministerium für berechtigt, etwa 30 Prozent sind gegenteiliger Meinung. (Jo Angerer aus Moskau, 7.7.2023)