Die Ministerin trug am Freitag Flecktarn. Zwar nur stilisiert auf ihrem Blazer. Aber auch damit wollte Klaudia Tanner (ÖVP) wohl etwas ausdrücken. Denn bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem deutschen Amtskollegen Boris Pistorius und ihrer Schweizer Kollegin Viola Amherd in Bern vermeldete die Verteidigungsministerin die Unterschrift unter Österreichs Beitritt zu Sky Shield – oder, genau genommen, eine "Absichtserklärung" dazu.

Ein Element des Raketenabwehrsystems Iron Dome
Das europäische Luftabwehrsystem Sky Shield soll – ähnlich wie Israels Iron Dome – den Luftraum vor eindringenden Raketen und Drohnen schützen.
APA/AFP/JACK GUEZ

Mit der Unterzeichnung besiegelte die Ministerin jedenfalls grundsätzlich Österreichs Teilnahme am von Deutschland initiierten geplanten europäischen Luftverteidigungssystem. Das Projekt wurde nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ersonnen und soll in erster Linie dem Schutz vor etwaigen (russischen) Raketen und Kampfdrohnen dienen.

Langstreckenraketen "wünschenswert"

Details, welche Systeme genau und wie viele davon das Verteidigungsressort anschaffen will, sind bislang noch offen. Man sei aktuell in der Planungsphase, heißt es dazu aus dem Ministerium. Die genauen Dimensionen seien natürlich auch eine Frage des finanziellen Rahmens, sagte der Kommandant der Luftstreitkräfte, Gerfried Promberger, zum STANDARD. Grundsätzlich seien nicht nur Abwehrsysteme für kürzere, sondern auch längere Distanzen – also mehr als 50 Kilometer – "wünschenswert".

Zur Vereinbarkeit der European Sky Shield Initiative mit der heimischen Neutralität sagte Tanner auf Nachfrage in Bern, der in der Verfassung festgehaltene neutrale Status Österreichs beinhalte für die militärische Praxis drei konkrete Punkte: erstens keine Teilnahme an kriegerischen Handlungen; zweitens keine ausländischen Truppen auf dem eigenen Staatsgebiet; und drittens kein Beitritt zu Militärbündnissen. "Keiner dieser drei Punkte ist bei der Teilnahme am European Sky Shield auch nur ansatzweise betroffen", argumentierte die Ressortchefin.

Eder: "Nicht verfassungsrechtliche, sondern politische Frage"

Das sieht die FPÖ zwar grundlegend anders. Verfassungsrechtler stimmen aber – abseits eines eigens von den Freiheitlichen beauftragten Juristen – der Sichtweise des Ministeriums zu: Mit der Neutralität kommt die Beteiligung an Sky Shield nicht in Konflikt. Auch Franz Eder, Experte für Sicherheitspolitik an der Uni Innsbruck, sieht die Neutralitätsdebatte im Zusammenhang mit dem europäischen Luftverteidigungssystem abgeschlossen. "Mit der Neutralität hat das nichts zu tun", sagte der Politikwissenschafter zum STANDARD. "Das ist keine verfassungsrechtliche, sondern eine politische Frage."

Diese Diagnose gelte auch für viele andere Bereiche der heimischen Verteidigungspolitik. Wo es heikel oder problematisch werde, habe das in der Regel nicht verfassungs-, sondern realpolitische Gründe. Österreich sei Teil der westlichen Wertegemeinschaft. Sich innerhalb dieser solidarisch um die gemeinsame Sicherheit zu bemühen, hält Eder jedenfalls für sinnvoll. Die Teilnahme an Sky Shield betrachtet er daher als richtigen Schritt. In einem "gemeinsamen" europäischen Luftraum mache es zudem keinen Sinn, wenn jedes Land eine Insellösung anstrebe. Vielmehr sollte Österreich aus seiner Sicht auch in weiteren Bereichen der Verteidigung europäische Kooperationen anstreben. "Das kann auch für die Abfangjäger gelten."

"Aus solidarischer Sicht problematisch"

Kritisch sieht der Experte, dass Österreich sich in der Sicherheitspolitik deutlich zu oft "nur die Rosinen rauspickt", wie er es formuliert. Bei der gemeinsamen Luftabwehr entstehe für die Republik ein Mehrwert durch solidarisches Handeln – nämlich der Schutz auch durch die Abwehrsysteme der anderen europäischen Länder. "Ich würde hier den Begriff des Nettoempfängers verwenden", sagt Eder. In anderen Bereichen, wo österreichische Unterstützung international hilfreich sein könnte, etwa weil spezifische Expertise einbringbar sei, sei die heimische Verteidigungspolitik dagegen häufig sehr zurückhaltend. Insbesondere wenn es darum ginge, in einem Bereich auch einmal mehr zu geben als zu empfangen. "Aus solidarischer Sicht ist das problematisch", sagt der Politologe. (Martin Tschiderer, 7.7.2023)