Die Politikwissenschafterin Viera Žúborová beleuchtet im Gastblog die gegenwärtige politische Lage der Slowakei und zeigt ein von Enttäuschung und demokratischem Verfall geprägtes Land, das im Herbst ein neues Parlament wählt.

Die Slowakei, ein kleines Land in Mitteleuropa, stand bisher aus europäischer Sicht nicht im Rampenlicht. Doch nun steht es an einer Kreuzung und muss sich entscheiden, ob es seine Demokratie bewahrt oder in ein potenziell gefährlicheres und autokratischeres Regime wie Orbáns Ungarn abdriftet. Rückwärtsgewandte Tendenzen, prorussische Erzählungen, Xenophobie und radikale Kräfte prägen diese Entwicklung.

Die bevorstehenden vorgezogenen Parlamentswahlen am 30. September 2023 werden den bisherigen Status quo der Slowakei wohl zerstören, die in den letzten Jahren bedeutende politische Veränderungen und Korruptionsskandale durchgemacht hat. Neben der auch in der Gesellschaft verankerten Korruption gefährden skrupellose politische Praktiken, politische Intrigen und Manipulationen, Klientelismus, Nepotismus und intransparente Hinterzimmerpolitik die slowakische Demokratie.

Flagge der Slowakei
Bei den slowakischen Wahlen geht es um nicht weniger als die demokratische Zukunft des Landes.
IMAGO/Metodi Popow

Die Radikalisierung von Robert Fico

Und wer steht an vorderster Front dieser Entwicklungen? Es sind nicht die rechtsextremen Faschisten im slowakischen Parlament (Kotlebovci – Ľudová strana Naše Slovensko / Kotlebianer – Volkspartei Unsere Slowakei) oder die Hardliner aus den konservativen Lagern (Kresťanská únia / Christliche Union oder Život – Národná strana / Leben – Nationalpartei). Die größte Gefahr geht hingegen vom ehemaligen sozialdemokratischen Premierminister Robert Fico aus, früher ein Unterstützer Europas, der sich nun aber auf einem antieuropäischen und antidemokratischen Kurs befindet.

Fico ist ein Meister im Entwerfen von Bedrohungsszenarien: 2012 wollte er die Slowakei vor dem Chaos nach dem Zusammenbruch der rechten Regierung von Iveta Radičová schützen, 2016 versuchte er, sie vor Geflüchteten und Migranten zu schützen. Im Jahr 2023 erreicht seine Radikalisierung ein Maß, das an die 1990er-Jahre erinnert. Nun dreht Fico das Rad perfider und radikaler als je zuvor; selbst Viktor Orbáns politischer Stil wirkt im Vergleich dazu anständig. Fico verbreitet Erzählungen über die slowakisch-russische Freundschaft, den verdorbenen Westen, liberale Söldner, die von amerikanischen Juden bezahlt werden und Bedrohungen durch ausländische Mächte.

Das Ende des demokratischen Konsenses in der Slowakei?

In den letzten Wochen hat das Bratislava Policy Institute (BPI) zwei Meinungsumfragen zu Themen wie Migration, Rechtsstaatlichkeit oder Klima in der Slowakei veröffentlicht. Die erste Erkenntnis daraus war, dass die Slowakei "anomisch" ist. Das bedeutet, dass die Bevölkerung sich von der Gesellschaft entfremdet fühlt und ein mangelndes Zugehörigkeitsgefühl hat. Es herrscht ein hohes Maß an politischer Instabilität, mangelndes Vertrauen in politische Institutionen und fehlender sozialer Zusammenhalt, begleitet von einer hohen Fragmentierung und Polarisierung der Gesellschaft.

Darüber hinaus besteht große wirtschaftliche Ungleichheit mit einer erheblichen Kluft zwischen Arm und Reich, wodurch soziale Spannungen und ein Gefühl der Ungerechtigkeit verstärkt werden. Das Fehlen wirksamer sozialer Unterstützungssysteme und unzureichender Gesundheitsdienste trägt ebenfalls zu diesem Gefühl bei, da etliche Menschen Schwierigkeiten haben, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen.

Lange Zeit konnte das Land mit diesen negativen Faktoren umgehen, was auf eine relativ stabile internationale Lage ohne dramatische Krisen zurückzuführen ist. In den letzten Jahren hat sich dieser Konsens jedoch geändert, und relativ stabile und etablierte Demokratien bröckelten. Warum sollte man also überrascht sein, dass ein Land, das diese gesellschaftlichen Krankheiten bereits seit langer Zeit trägt, nach einer globalen Pandemie und einem Krieg in Europa stabil bleibt?

Die Slowakei steht vor der größten Herausforderung seit 1989, als sie sich der Demokratie zugewandt hatte. Der Abbau demokratischer Institutionen ist sichtbarer als je zuvor und die Polarisierung der Gesellschaft befeuert die autoritären Tendenzen konkurrierender politischer Akteure, begleitet von einem Rückgang der politischen Teilhabe und Entfremdung vom politischen Leben.

Die Bevölkerung ist im Allgemeinen pessimistisch in Bezug auf den aktuellen Zustand der Gesellschaft: Nur 18 Prozent sind der Meinung, dass sich das Land in die richtige Richtung entwickelt, und nur ein Drittel hat Vertrauen in die Mitmenschen. Zudem glauben weniger als 20 Prozent, dass sie die Politik beeinflussen können.

Umfrage zum Vertrauen in Institutionen in der Slowakei
Bratislava Policy Institute

Wenn Menschen sich entfremdet und gleichgültig fühlen, neigen sie weniger dazu, sich politisch zu engagieren, was ihr Vertrauen in das demokratische System verringert und die Verbundenheit mit demokratischen Grundsätzen oft schwächt. Diese Trends sind auch in der Slowakei zu beobachten. Die Enttäuschung über die bestehenden demokratischen Institutionen führen zu einer verstärkten Abkehr von Demokratie, autoritären Tendenzen und einem Ruf nach einer starken Führungsperson, die Stabilität und Ordnung verspricht.

Die pessimistische Stimmung in der Slowakei drei Monate vor der Wahl lässt sich anhand von weiteren Zahlen aus der Studie belegen:

Nur dunkle Wolken am Horizont?

Die bevorstehenden vorgezogenen Parlamentswahlen werden den politischen Status Quo wohl zerstören und den Weg für nicht-demokratische Kräfte ebnen. Allen voran gilt dies für den ehemaligen Premierminister Robert Fico und seine radikalen Erzählungen, die gesellschaftliche Ängste schüren und das Land von der liberalen Demokratie entfernen. Dies könnte weitreichende Auswirkungen auf Europa haben. Die Slowakei könnte sich denjenigen Ländern anschließen, die sich vermehrt von der Demokratie in Mittel- und Südosteuropa abgewandt haben und sich in Richtung eines autokratischeren Regimes mit prorussischen Erzählungen, Xenophobie und radikalen Kräften entwickeln. Diese Entwicklung könnte auch als Vorbild für andere europäische Länder dienen.

Es ist nun entscheidend, sich den gesellschaftlichen Problemen, dem Vertrauensverlust und der Enttäuschung in der Slowakei zu stellen, um die konsolidierte Demokratie aufrechterhalten zu können. Der Wiederaufbau des Vertrauens in demokratische Institutionen, die Förderung sozialen Zusammenhalts und die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in das politische Leben sind wesentliche Schritte, um weiteren demokratischen Rückgang zu verhindern. Die internationale Gemeinschaft, einschließlich der EU, sollte die Bemühungen der Slowakei zur Stärkung der Demokratie und zur Bewältigung der zugrunde liegenden Ursachen der anomischen Gesellschaft genau beobachten und unterstützen.

Die Zukunft der Slowakei steht auf dem Spiel, und es ist entscheidend, diese Herausforderungen anzugehen, um eine demokratische und wohlhabende Zukunft für das Land sicherzustellen und zu verhindern, dass sich die negativen Auswirkungen in Europa ausbreiten. (Viera Žúborová, 13.7.2023)