Gerhard Schröder schaut irritiert aus der Online-Anzeige heraus und leicht skeptisch. Neben dem Foto des deutschen Ex-Kanzlers ist zu lesen: "Zu spät: Gerhard Schröder entschuldigt sich für …" Wofür? Die Antwort scheint nur einen Klick entfernt.

Boris Becker dagegen spricht routiniert in ein Mikro, und nur einen Klick weiter, so verspricht die Bildunterschrift, erklärt er, warum er "Millionen in Krypto investiert" habe.

Schlechte Stimmung dagegen bei Unternehmer Frank Thelen: "'Mein Herz blutet': Investor Frank Thelen zeichnet düsteres …" Ja, was ist ihm denn passiert?

Wer auf die Bilder oder den Text klickt, um zu erfahren, wofür Gerhard Schröder sich entschuldigt, wie Becker investiert hat und warum Thelen so pessimistisch ist – alles "angeblich" –, landet auf einer Betrugswebseite. Wenig überraschend, so weit, so gelernt. Das Interessante aber: Die beschriebenen Anzeigen standen auf den rechtsextremen Blogs "Politically Incorrect" alias "PI-News" und "Journalistenwatch".

Tricks zum Reichwerden

Eine gemeinsame Recherche mit der schwedischen Zeitung "Expressen", dem US-Non-Profit-Newsroom ProPublica und dem Recherchenetzwerk OCCRP belegt, dass ähnliche Anzeigen auf weiteren rechtsextremen, rechtskonservativen und verschwörungstheoretischen Webseiten in Deutschland, Schweden oder den USA platziert wurden. Sie alle profitieren offenbar davon, teils seit Jahren, dass ihre geneigte Leserschaft einen Klick weiter abgezockt werden kann.

PI
Mit solchen Anzeigen werden Leserinnen und Leser rechter Webseiten abgezockt.
Faksimilie

Der gemeinsame Nenner: eine undurchsichtige Werbeagentur namens Ad Style, die hinter all dem die Fäden zu ziehen scheint.

Wer auf die Anzeigen klickt, landet zum Beispiel auf einer Seite, die der ZDF-Webseite nachempfunden ist – und wird aufgefordert, sich dort anzumelden: "Schritt 1: Einfache Registrierung, Schritt 2: Auf dein Konto einzahlen." Wer das tut, sieht sein Geld vermutlich nie wieder. Der angebliche Bericht des ZDF folgt dabei einem bekannten Narrativ: Jede und jeder könnte mit diesen Tricks reich werden, aber "die da oben" verheimlichen dem "Durchschnittsbürger" dieses Wissen. Aber hier und jetzt ist DIE Chance, und das nur ein paar Klicks entfernt.

Auch in Österreich versuchen Betrüger schon seit Jahren mit gefälschten Promiberichten Nutzer auf Kryptohandelsplattformen zu locken. Die Gesichter von ORF-Moderator Armin Wolf, Schauspieler Christoph Waltz oder Bundespräsident Alexander Van der Bellen blickten hier aus den kleinen Anzeigekästen auf Facebook & Co  heraus. Ein Klick, und die Nutzer landen auf angeblichen Berichten der "Kronen Zeitung" mit Überschriften wie "Christoph Waltz neueste Investition sorgt für Begeisterung unter Fachleuten und Angst bei den Großbanken".

In Wahrheit folgt auf die Anmeldung der Versuch, den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ermittler und Gerichte haben immer wieder belegt: Hinter den angeblich auf Bitcoin schwörenden Promis stecken – ohne deren Wissen und Einverständnis – Netzwerke des organisierten Verbrechens. Eine Milliarden-Dollar-Industrie.

Gegen den "linken Mainstream"

In diesem Fall führen die Spuren zu dem eingangs genannten Anbieter Ad Style, etwa die Quellcodes der Webseiten, aber auch ganz banal der Ad-Style-Schriftzug, der regelmäßig am unteren Rand der Promi-Anzeigen zu finden ist. Diese haben meist feste Positionen auf den Blogs, oft die besten Werbeplätze: direkt unter den ersten Nachrichtenartikeln, in einer Spalte auf der rechten Seite und innerhalb des Artikels.

Sogenannte Backlinks, also Verweise auf den Vermittler Ad Style, lassen sich bei insgesamt 18 deutschen Webseiten finden. Tatsächliche Betrugsanzeigen bei einer guten Handvoll Seiten, etwa auf den stark rechtslastigen Webseiten "Politikstube", "Spiegelbild", "Journalistenwatch", "Ansage" und, wie oben beschrieben, bei "PI-News".

Besonders "Journalistenwatch" und "PI-News" gelten als reichweitenstarke Nischenportale der Neuen Rechten, mit hunderttausenden Klicks jeden Monat. Hinter beiden stehen bekannte Namen. Der Trägerverein hinter "Journalistenwatch" wird unter anderem geführt von Conny Axel Meier, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der islamfeindlichen "Bürgerbewegung Pax Europa" (BPE), einer in Bayern vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation. Zu den Vorstandsmitgliedern von "Journalistenwatch" gehört auch Daniel Matissek. Letzterer betreibt den rechtspopulistischen Blog "Ansage", auf dem ebenfalls Ad-Style-Anzeigen geschaltet wurden. Auch "PI-News" wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz im Blick behalten und als "erwiesen extremistisch" eingestuft. Aktuell ist nicht bekannt, wer sie verantwortet.

Ironischerweise leben genau diese Seiten davon, angeblich Laut- und Fürsprecher ihrer Leserschaft zu sein – gegen den "linken Mainstream", gegen "die Politik". Anfang Juli schmücken die Seite "Journalistenwatch" Schlagzeilen wie "Volksaufstand gegen den Linksstaat: Die Anti-AfD-Hetze verfängt nicht mehr" oder "Zeitenwende im Osten: Braucht es wieder eine Mauer?". Bei "PI-News" geht es wieder und wieder und wieder um angeblich kriminelle Muslime, die Frauen vergewaltigen und unrechtmäßig Geld vom Staat kassieren.

Neben dezidiert prorussischen Inhalten lassen sich auf den Ad-Style-gesponserten Blogs aber auch Artikel zu genetisch veränderten Menschen finden, und sogar von einem Klon Joe Bidens ist die Rede. Der Oberbegriff für derartigen Unsinn lautet "Junk News" – so beschreibt eine Studie der Universität Oxford unter anderem die Inhalte auf Journalistenwatch, nämlich als "ideologisch extreme, irreführende und faktisch inkorrekte Informationen".

Rechte zocken Rechte ab

Auch in Schweden und den USA führen die Spuren der Ad-Style-Betrugsanzeigen zu Webseiten, die durch rechtsextreme und populistische Narrative auffallen – und zu einem Dutzend Trump-naher Websites. Statt Boris Becker und Gerhard Schröder werben dort, ebenfalls unfreiwillig, dann eben Tesla-Besitzer Elon Musk, Schauspieler Ryan Reynolds oder der kanadische Premierminister Justin Trudeau.

Das Geschäft von Anbietern wie Ad Style ist üblicherweise, an die Betreiber von Webseiten heranzutreten und ihnen einen Deal anzubieten: Der Vermittler besorgt die Werbekunden, und am Ende teilen sich Webseitenbetreiber und Vermittler den Gewinn. Den Gewinn wohlgemerkt, der dadurch entsteht, dass die klickenden Besucher zu betrügerischen Webseiten geschickt werden. Rechte zocken Rechte ab, quasi.

Einer der fragwürdigen Webseitenbetreiber, auf die die Ad-Style-Anzeigen führen, heißt "Bitcoin Code". Das ist allerdings nur der Name einer schicken Landingpage, die die Nutzer auf weitere Handelsplattformen verteilen soll. Schon 2021 hatte die Bafin vor dem Anlagebetrug gewarnt. Deren Internetadressen wechseln ständig, so dass die Betrüger immer neue Webseiten aufmachen.

Der deutsche Oberstaatsanwalt Nino Goldbeck leitet die Arbeitsgruppe Wirtschafts-Cybercrime. Sie gehört zur Zentralstelle Cybercrime Bayern, die ständig mit Betrugsmaschen von angeblichen Kryptohandelsplattformen zu tun hat. 33 Angeklagte wurden in den letzten 2 Jahren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, mehrere Beschuldigte sitzen in Untersuchungshaft. Die Dunkelziffer der Täter dürfte ungleich höher sein. "Diese Gruppierungen sind sehr schwer zu identifizieren und zu fassen. Das findet ausschließlich im Ausland statt, und an allen Ecken und Enden wird verschleiert", erklärt Goldbeck. Sicher im Milliardenbereich liegt der jährliche Schaden im deutschsprachigen Raum, schätzt er.

Die Masche ist also bekannt, und trotzdem werden Tausende von Menschen in Europa im Laufe der Jahre um große Geldsummen betrogen. Zum Beispiel eine 67-jährige schwedische Rentnerin aus dem Großraum Stockholm, sie hatte fast 12.000 Euro durch eine betrügerische Handelsfirma verloren, die mit Ad-Style-Anzeigen beworben wurde. In Telefonaten mit einem charmanten Verkäufer – angeblich Investor in London – hatte sie sich zu mehreren Zahlungen hinreißen lassen. Eine Woche nach ihrem ersten Kontakt bemerkte sie, dass jemand große Summen von ihrem Bankkonto auf ein Konto in Ruanda überwiesen hatte. Nur einen Teil der Zahlungen konnte ihre Bank noch zurückholen.

Ziemlich sicher gibt es zahlreiche weitere Opfer, allerdings ist bei vielen die Scham womöglich größer als die Wut. Wer gibt schon gerne zu, beim Besuch einer rechtsextremen Webseite abgezockt worden zu sein?

Warum aber landen die Ad-Style-Anzeigen weitgehend auf rechtsextremen Webseiten?

Spur nach Florida

Grundsätzlich generieren Webseiten einen Teil ihrer Einnahmen über Werbeanzeigen, das tun auch fast alle größeren und kleineren Nachrichtenseiten, die allerdings meist Angebote von Google Ads nutzen, ein Werbesystem des US-amerikanischen Internetriesen. Doch Google schließt Seiten, die "zu Hass gegen Einzelpersonen oder Gruppen anstiften", von seinen Dienstleistungen aus. Die Betreiber rechtsextremer Webseiten sind also auf andere Anbieter angewiesen, Anbieter wie Ad Style. Für viele Betrüger wiederum, so erklärt es US-Experte Kevin Reyes, der in dem Feld forscht, seien Anzeigen auf großen Seiten, die sehr viele Menschen erreichen, schlicht zu teuer, also fokussierten sie sich auf Webseiten mit eher randständigem Inhalt – wo das Publikum anfälliger sei für die Betrugsmasche. Firmen wie Ad Style bringen dann beide Seiten zusammen.

Wer also steckt hinter dieser Firma? Die Recherche führt zu einer angeblichen US-Werbefirma mit Büros im trendigen Boca Raton, Florida. Zu ihren Kunden gehören laut der Webseite des Unternehmens angesehene internationale Unternehmen wie Ikea oder Toyota – beide erklären auf Anfrage, keine Geschäftsbeziehungen mit Ad Style zu pflegen. Auch die Büros werden nicht wirklich von Ad Style gemietet, sagten das Gebäudemanagement und ein Vermieter von Büroräumen.

Wem die Firma gehört, ist unklar – ebenso,  wer für sie arbeitet. Auf dem Business-Netzwerk Linkedin finden sich zwar einige angebliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, allerdings sind diese außerhalb des Netzwerks nicht zu finden, und ihre Profilbilder scheinen eher computergeneriert. Zu finden ist lediglich Anna B., die laut Linkedin bei Ad Style die Geschäftsentwicklung steuert, und ihrerseits mit dem Webseiten-Entwickler Leonid V. verheiratet ist, dessen Namen in der Domainregistrierung von Ad Style auftaucht. Beide stammen aus Litauen, lebten offenbar länger in Israel und zogen kürzlich in eine italienische Stadt, nicht weit von Venedig.

Als Reporter dieser Recherchegruppe sie dort aufsuchen, will das Paar keinen Kommentar abgeben. Schon am nächsten Tag aber waren die Fake-Anzeigen auf schwedischen und US-amerikanischen Seiten verschwunden. In einer später geschickten E-Mail erklärte ein ungenannter Firmenvertreter von Ad Style, man habe "Sofortmaßnahmen ergriffen", um System und Prozesse zu verbessern.

Die meisten Fragen blieben jedoch unbeantwortet, so auch solche, die den Fokus auf rechtskonservative Webseiten erklären würden.

Prominente prüfen rechtliche Schritte

Am Ende bleibt unklar, wie viel Geld Ad Style über die Anzeigen auf den rechten Plattformen verdient hat. Und wie viel sie davon weitergeben an die Webseitenbesitzer – gängig in der Branche sind 20 bis 50 Prozent der Erlöse. Von den deutschen Plattformen gab es dazu wenig Auskunft. "Ansage"-Betreiber Daniel Matissek erklärte auf Anfrage, aktuell rund 2.000 Euro monatlich mit den Anzeigen zu verdienen. Die Erträge seien von den Klicks auf die Artikel abhängig. Dass die reißerischen Ad-Style-Anzeigen auf betrügerische Plattformen weiterleiten, sei ihm nicht bekannt gewesen, daraus werde er Konsequenzen ziehen. "Für mich besteht aber ein erheblicher Unterschied zwischen unseriös und kriminell", meint Matissek.

Ähnlich argumentierte auch "Journalistenwatch"-Betreiber Conny Axel Meier. Auf STANDARD-Anfrage teilte er mit, solange die Anzeigen "nicht strafbar" seien, würde er sich dafür nicht interessieren. Zudem halte er seine Leserschaft "für klug genug" und insofern für nicht anfällig für Abzocke.

Das Management von Boris Becker erklärt auf Anfrage, die Nutzung der Bilder durch die Anzeigen sei nicht autorisiert, rechtliche Schritte würden geprüft. Gerhard Schröder reagierte auf mehrere Anfrage nicht. Der Unternehmer Frank Thelen versuchte nach eigenen Angaben, zu dem Betrug nachzuforschen, allerdings hätten sich "sämtliche Spuren im Ausland verlaufen."

Bis Redaktionsschluss locken weiterhin auf allen hier erwähnten rechtslastigen deutschen Blogs weiterhin Werbeanzeigen der Firma Ad Style. Allerdings ohne Prominenz, dafür mit Bildern voller Bargeldbündel. Und wer jetzt die Geldscheine anklickt, gelangt auf eine seltsame einfarbige Seite. Oben links steht: No connection with advertiser – keine Verbindung zum Inserenten. (Corinna Cerruti, Bastian Obermayer, 10.7.2023)