Eine Gruppe Kinder steht mit Schildern, auf denen etwa
Kinder klagen in Österreich und demonstrieren für ihre Rechte. Im Bild eine Demo des Weltkinderhilfswerks Unicef in Deutschland.
IMAGO/Christian Ditsch

Wien – Nach der Zurückweisung der "Klimaklage" von zwölf Kindern und Jugendlichen durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) orten Wissenschafter ein "Systemversagen" im Klimaschutz. Der VfGH habe sich mit der Entscheidung aus der Verantwortung genommen, auf die Klimakrise zu reagieren, hieß es in einer Aussendung von Diskurs. Das Wissenschaftsnetz. Fridays for Future rief deshalb noch für Montag um 17 Uhr auf dem Wiener Ballhausplatz zu einer Demonstration auf. Auf Twitter postete Fridays for Future Wien um kurz nach 18 Uhr ein Video und schreibt unter anderem: "Jetzt: Demo vor dem Bundeskanzleramt". 

Daniel Huppmann vom International Institute for Applied System Analysis (IIASA), der an Klimamodellen und Klimaszenarien forscht, warnt in der Pressemitteilung am Montag davor, dass mit der Zurückweisung der Klage aus formalen Gründen die verfassungsrechtlich verankerten Kinderrechte zu "hohlen Phrasen" degradiert würden. Er betonte auch die Wichtigkeit eines neuen Klimaschutzgesetzes: "Die verschleppten und verzögerten Maßnahmen für Klimaschutz und Anpassung gefährden die Lebensgrundlagen meines Kindes, seiner Freundinnen und Freunde, seiner ganzen Generation", so der Vater eines vierjährigen Sohnes.

"Staatsversagen komplett"

"Es gibt in Politik und Gesetzgebung keine Priorität für bzw. keine Einigung auf ein zeitgemäßes Klimaschutzgesetz, und ein Höchstgericht sieht sich für Reparaturen nicht zuständig", kritisierte der Kinderrechtsexperte Helmut Sax vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte in Wien. "Jetzt ist das Staatsversagen komplett: Nach der Regierung und dem Parlament schafft es jetzt offenbar auch die Justiz nicht, angemessen auf die Klimakrise zu reagieren", moniert auch Reinhard Steurer vom Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik an der Universität für Bodenkultur Wien.

Der VfGH sage durch die rein formale Zurückweisung jedoch "nicht, die Antragsteller wären von vornherein nicht in ihrer Rechtsposition betroffen, und er sagt schon gar nicht, die vorgebrachten Argumente hätten kein Gewicht", erläuterte Christoph Bezemek, Rechtswissenschafter an der Universität Graz. "Sich damit zu beschäftigen wird einem anderen Verfahren vorbehalten bleiben müssen, sollten die politischen Akteure nicht von sich aus stärkere Akzente setzen."

Die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter wiesen die Klage am Freitag aus formalen Gründen zurück. Der Antrag sei laut VfGH zu eng gefasst gewesen. Eine solche Aufhebung würde die von den Antragstellern behauptete Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen, teilte der VfGH am Freitag mit. Der Verfassungsgerichtshof dürfe einer Norm durch Aufhebung bloßer Teile auch keinen völlig veränderten Inhalt verleihen, hieß es in der Erläuterung. Eine Aufhebung des Klimaschutzgesetzes im angefochtenen, zu engen Umfang hätte unter anderem zur Folge, dass der Bund nicht nur für die Führung von Verhandlungen über Klimaschutzmaßnahmen, sondern für diese Maßnahmen insgesamt verantwortlich wäre. Der VfGH könne dem Gesetzgeber einen solchen Gesetzesinhalt nicht unterstellen.

Demo vor Kanzleramt

Bereits am Vormittag teilte Fridays for Future in einer Aussendung mit, dass neben den Experten Huppmann und Sax auch drei der minderjährigen Antragstellerinnen und Antragsteller an den VfGH bei der Kundgebung sprechen werden.

In der Früh hatten Aktivisten der Letzten Generation auf dem Wiener Franz-Josefs-Kai beim Schwedenplatz eine angekündigte neue Protestwelle mit nicht angemeldeten Straßenblockaden gestartet. Gefordert wurden weiterhin Tempo 100 auf Autobahnen zur raschen CO2-Reduktion und ein Verbot neuer Öl- und Gasbohrungen. Zudem zeigte sich die Letzte Generation ebenfalls enttäuscht, dass die unter Berufung auf die Kinderrechte eingebrachte "Klimaklage" beim VfGH in der Vorwoche formal zurückgewiesen wurde. (APA, 10.7.2023)