Liquid Loft befinden sich in
Liquid Loft befinden sich in "L.I.F.E." auf einer Odyssee durch das alles verzehrende Spiegelkabinett der virtuellen Körperbilder und -projektionen.
Michael Loizenbauer

Wien im Jahr 2023. Wieder bricht eine Gruppe von Choreonautinnen namens Liquid Loft mit ihren männlichen Kollegen auf in die Spiegelwelten hinter den Kameras. Mittlerweile dehnen sich diese Welten zu annähernd unendlichen Weiten aus, weil auf diesem Planeten immer mehr Kameralinsen alle und alles beobachten.

Living in funny eternity_L.I.F.E. heißt die neue Reise von Chris Haring mit seinem Ensemble Liquid Loft und der Rockband Bulbul. In seiner Uraufführungsversion bei Impulstanz auf der Bühne des Burgtheaters tritt diese Expedition, wie bereits einige ihrer Vorgängerinnen, als Spiel mit dem Science-Fiction-Genre auf sowie als Tanz des in seinen Medien aufgehenden Menschen mit den Projektionen und Bildgespenstern von sich selbst.

Das Wort "Choreonaut" hat zwar nur 29 Einträge bei Google, aber die Bezeichnung passt gerade perfekt zu den Leuten der Liquid-Loft-Crew, weil sie sich als choreografische Reisende durch performative Räume und das Universum der Bilder aufführen. Seit mehr als zwanzig Jahren dringen Chris Haring und die Seinen mit jedem ihrer Stücke tiefer in diesen allesfressenden Spiegelraum ein. Nicht ohne Grund also bezeichnet die Gruppe ihre aktuelle L.I.F.E.-Expedition auch als eine "Odyssee".

Auftritt: Die Kamera

Weil als deren Schlüsseltechnologie und damit Hauptdarstellerin die Körperbilder konsumierende und transformierende Kamera auftritt, steht ein solches Gerät – zierlich auf seinen drei Stativbeinchen – bereits im Zentrum der Bühne, bevor noch die Performance begonnen hat. Erst sobald es wirklich losgeht, kommen die Musiker, und zuletzt tauchen die Tänzerinnen und Tänzer auf. Deren Kostüme werden genauso wichtig genommen wie die Projektionen, denn die Körperhülle gilt in unserer Gesellschaft als das wichtigste Medium, mit dem sich jemand in die soziale Welt einbringt.

Und die ist eine lustige Welt geworden, in der sich menschliche Körper laufend und mit viel Tralala ihren virtuellen Abbildern unterwerfen, zum Beispiel auf Instagram, Tiktok oder Youtube. Aber auf diese Medien muss Liquid-Loft-Mastermind Chris Haring gar nicht mehr anspielen, das machen die Kameras und die Live-Projektionen auf der Bühne schon ganz von selbst. Die Crew wirkt wie immer unverkennbar in ihrer Erscheinung und ihrem Verhalten. Neu ist, dass Breanna O’Mara als Tänzerin vom Tanztheater Wuppertal Pina Bausch zu Liquid Loft übergelaufen ist. Eine beeindruckende Erscheinung, die offensichtlich Spaß am kameraaffinen Vorführen der Kraft unserer Eitelkeiten hat.

Im Lichtbecken baden

Weil diese Kraft alles andere als dezent ist, donnert das Bulbul-Trio immer wieder in den trickreichen Tanz-Trip hinein. Zeitweise badet Hannah Timbrell in einem Lichtbecken oder wird Dong Uk Kim von einem Spiegel verzerrt, bis es schmerzt. Wie selbstverständlich verschmelzen projizierte Figuren mit den live Performenden. Hier ist der Weg ins virtuelle Nirwana so kurz wie der für Lewis Carrolls kindliche Alice bei ihrem Übertritt ins Spiegelreich. Die Liquid-Loft-Gestalten kommen ohne eigene Stimmen aus. Ihre Gespräche, unter anderem als Filmzitate, werden ihnen vom Band auf die Lippen diktiert.

Für L.I.F.E. veranstalten sie zauberhafte Veränderungsspiele mit allerlei meist dehnbaren Stoffen. Dabei machen sie sich nie lächerlich, sondern halten an ihrer Attraktivität fest, eisern, bis zur letzten Konsequenz. Alice ist dem Spiegelreich entkommen, also aufgewacht. Wir alle, scheint Liquid Lofts Stück zu behaupten, träumen weiter. (Helmut Ploebst, 10.7.2023)