Intrigen um Macht und Liebe am spanischen Königshof zur Zeit der Inquisition gehen beim Sommerfestival Oper Klosterneuburg nicht unblutig über die Bühne.
Intrigen um Macht und Liebe am spanischen Königshof zur Zeit der Inquisition gehen beim Sommerfestival Oper Klosterneuburg nicht unblutig über die Bühne.
Lukas Beck

Die katholische Kirche hat ihre guten und ihre schlechten Seiten. Die Inquisition, zum Beispiel: nicht so toll. Wir erinnern diesbezüglich an den späten Helmut Qualtinger, der als fassdicker Kellermeister Remigio da Varagine (im Film Der Name der Rose) unwahre Geständnisarien zu singen wusste, noch bevor die glühende Folterzange ihr Werk tat. Der barocke Prunk hingegen, mit welchem Kirchen und Klöster mit theatralischem Aplomb auf die Spaßbremsen der Reformation reagierten, darf bis heute wohl als beste, nachhaltigste PR-Aktion der Kirchengeschichte gelten.

Wenn im Kaiserhof des Stifts Klosterneuburg Verdis Don Carlo gegeben wird, finden also Gutes und Schlechtes der einst fast allmächtigen Glaubensbewegung zu romantischen Klängen zusammen. Der Großinquisitor (Matheus França) ist zwar schon tattrig, aber dennoch die unbestrittene Autorität im großen katholischen Weltgefängnis; sogar Philipp II. (Günther Groissböck) beugt sein königliches Knie vor ihm. Auf musikalischem Gebiet endet das Keller(stimmen)duell unentschieden: Beide Tiefsinger demonstrieren ihre vokale Macht mehr mit Lautstärke denn mit Prägnanz und Schärfe.

Gesanglich ist die diesjährige Sommerproduktion der Oper Klosterneuburg top. Wenn Arthur Espiritu singt, tut sich der Himmel auf. Als Infant Don Carlo verwandelt er multiples Seelenleid (der verknöcherte Vater, das unterdrückte Volk Flanderns, die geliebte Stiefmutter Elisabetta) in selig machende Klangschönheit. Da kommt Thomas Weinhappel als wohltemperierter Marquis von Posa nicht ganz heran.

Abgang wie Flipperkugel

Karina Flores gibt die Elisabetta mit königlicher Contenance, weiß aber aus der ebenmäßigen Dezenz auszubrechen. Letzteres tut Margarita Gritskova als Eboli in extremis: Nachdem Philipps Gespielin von Elisabetta des Hofes verwiesen wurde, geht sie ab wie eine Flipperkugel. Ja: Groissböcks deftige, retroaffine Regiearbeit – es ist erst die zweite des gerade wieder für Bayreuth verpflichteten Sängers – birgt Bilder, die an B-Movies der 60er-Jahre erinnern (Hexenverbrennung, Posas Exitus, Ebolis große Schlussszene). Achtung, Trashgefahr! Der Henning Baum der Bässe gibt den spanischen König mit physischer Wucht und verzogenem Unterkiefer. Das Bühnenbild von Hans Kudlich deutet einen rostfarbenen Repräsentationsgarten an, die Kostüme von Andrea Hölzl verweisen auf die alten Meister der Malerei. Sogar die Hunde tragen am Habsburgerhof eine weiße Halskrause!

Das (offene) Herz der Produktion ist aber die Beethoven Philharmonie mit wogenden Streichern – wundervoll das klagende Cellosolo – und prägnantem Blech. In deren Mitte agiert Christoph Campestrini als Dynamo, der den großgestischen Holzhacker gibt, um gleich darauf zu Swing und Subtilität zu animieren. Herzerwärmend! Heftiger Jubel am Samstag für die 25. Premiere des Intendanten Michael Garschall, an einem Kaiserwetterabend im barocken Palast des Glaubens, dem "österreichischen Escorial". (Stefan Ender, 10.7.2023)