Karl Nehammer lenkt das Gespräch ohne große Umwege auf die "eine Partei und die eine Person", die der russischen Agitation verfallen sei. "Ich halte Herbert Kickl für ein Sicherheitsrisiko für das Land", sagt der Bundeskanzler in einem Gespräch mit Vertretern der Presse am Dienstag. FPÖ-Chef Kickl argumentiere gegen Sky Shield mit einer Logik, die niemand nachvollziehen könne.

Video: Karl Nehammer schließt Koalition mit Kickl wegen "Sicherheitsrisiko" aus
APA/kha

Auch wenn Österreich neutral sei, habe es dafür zu sorgen, dass es wehrhaft neutral sei. Und das sei mit dem gemeinsamen Raketenabwehrschild gewährleistet – unter voller Beibehaltung der Souveränität Österreichs, betont Nehammer.

Kickl habe schon mit seiner "Pferdelogik" als Innenminister bewiesen, dass er nicht regieren könne, er habe den Verfassungsschutz zerstört, jetzt stelle er sich gegen Sky Shield, das Projekt zum Aufbau einer besseren europäischen Luftverteidigung, an dem Österreich teilnehmen will. Kickl sei ein Sicherheitsrisiko, bekräftigt Nehammer einmal mehr. Sein erklärtes Ziel sei es, den Freiheitlichen als Regierungschef zu verhindern. Kickl und Kanzler, so zitiert Nehammer Innenminister Gerhard Karner, das schließe einander aus.

"Kein Staat" mit Kickl

Letztendlich müsse die FPÖ Kickl loswerden. Nehammer: "Kickl ist bei Regierungsverhandlungen auch für die FPÖ ein Risiko, weil mit ihm kein Staat zu machen ist." In der FPÖ gilt Kickl allerdings als gesetzt, er ist derzeit der unumstrittene Chef und Spitzenkandidat der Freiheitlichen.

Aber wie will Nehammer seine Partei für die kommende Wahl aufstellen? Wohin steuert die ÖVP unter seiner Führung? Mit wem könnte die Volkspartei nach der kommenden Wahl koalieren?

Der neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler wird von vielen in der Volkspartei als unverhofftes Geschenk empfunden. "Bei uns brennen noch immer die Dankeskerzen auf dem Nachttisch, dass Hans Peter Doskozil an uns vorübergegangen ist", sagt ein türkiser Stratege. Babler wird von der ÖVP seit Wochen zum linkslinken Feindbild stilisiert, gilt aber den meisten als überschaubare Bedrohung. "Babler hat natürlich Potenzial, das wird er ausschöpfen oder nicht, aber für uns ist Herbert Kickl entscheidend."

Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer hält es für möglich, dass sich die FPÖ von ihrem Frontmann Herbert Kickl trennt.
Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer hält es für möglich, dass sich die FPÖ von ihrem Frontmann Herbert Kickl trennt.
Foto: APA / Eva Manhart

Aber wäre die SPÖ nicht trotzdem ein realistischer Koalitionspartner nach der kommenden Wahl? Die These vieler Türkiser lautet: Eine Annäherung an die SPÖ würde der ÖVP am Wählermarkt eher schaden. Bei einer Annäherung an die FPÖ – vor allem bei deren Evergreen-Thema Migration – sind Zugewinne zu erwarten. Nehammer soll den "Kurz-Kurs" weiterfahren, fordern viele in der Volkspartei. Und Nehammer versucht zu liefern – gleichzeitig greift er Kickl nun frontal an.

Aber ist eine Koalition mit den Freiheitlichen deshalb ausgeschlossen? "Knapp ein Jahr vor der nächsten Nationalratswahl positioniert sich die ÖVP zunehmend als natürlicher Koalitionspartner der FPÖ", sagt Fabio Wolkenstein, Politikwissenschafter an der Universität Wien, im STANDARD-Gespräch. "Die neuen schwarz-blauen Koalitionen in Niederösterreich und Salzburg signalisieren klare Bereitschaft." Wolkenstein beschäftigt sich mit der Entwicklung christdemokratischer Parteien in ganz Europa. Die Phase des "gemäßigten Konservativismus" sei in Österreich wie auch in Europa vorerst vorbei.

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer wolle in der Koalition mit der FPÖ zwar mäßigend wirken, dass das dauerhaft möglich sei, "kann man mit gutem Grund bezweifeln". Haslauer versuche jedoch, moderate Wählerinnen und Wähler nicht mit scharfer Rhetorik zu verschrecken. Ganz anders verhalte sich Johanna Mikl-Leitner in Niederösterreich. Sie versprach zuletzt, "mehr Kante" zu zeigen. Für Wolkenstein ist jedoch "unklar", wie die ebenfalls bemühte Abgrenzung vom rechten Rand hier gelingen könne, ohne dass die Partei zur "FPÖ light" mutiere.

"Möglicherweise sind die Koalitionen in Salzburg und Niederösterreich – mit ihrem einmal moderateren und einmal schärferen Auftreten – zwei Modelle für das, was die ÖVP auf Bundesebene anstrebt", sagt Wolkenstein. Nehammer umgarne schon jetzt Wählerschichten, "die sowohl EU-skeptisch als auch migrationskritisch sind – also jene Wählerschichten, die traditionell am ehesten der FPÖ zugeneigt sind".

Drexler für Koalition mit der SPÖ

Der Grazer Politologe Klaus Poier hält es für "undenkbar", dass die ÖVP als Juniorpartner Kickl zum Kanzler mache. Anders stelle sich das Szenario dar, wenn die ÖVP als Erste aus den Wahlen hervorginge. Dann seien "alle Optionen offen", natürlich auch jene mit der SPÖ und Dreierkombinationen, sagt der Politikwissenschafter, der auch als Chef des wissenschaftlichen Beirats der Politischen Akademie der ÖVP wirkt.

Mehrere aktuelle Ministerinnen und Minister sind bereits ausgerückt, um klarzustellen, dass sie nicht mit der FPÖ unter Kickl zusammenarbeiten würden. Auch für den steirischen Landeshauptmann Christopher Drexler ist ein von der ÖVP unterstützter Kanzler Kickl "undenkbar". "Kommt für mich nicht infrage", sagt er im STANDARD-Gespräch. Dass sich Kickl wie einst Jörg Haider in die zweite Reihe zurückzieht, um eine Koalition mit der ÖVP zu ermöglichen, hält Drexler für unwahrscheinlich. "Das würde seinen Horizont überragen." Als Koalition präferiert der ÖVP-Politiker die Zusammenarbeit mit der SPÖ – und das sei durchaus auch seine Empfehlung an den Bund, wenn sich "die Vernünftigen in der SPÖ durchsetzen", sagt Drexler. (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, Michael Völker, 12.7.2023)