EU-Parlament, Straßburg, Restore Nature, Renaturierungsgesetz
Mit knapper Mehrheit stimmte das EU-Parlament in Straßburg für das kontrovers diskutierte Naturschutzgesetz.
EPA/JULIEN WARNAND

Fast wäre das umkämpfte Gesetz, das zerstörte Ökosysteme in Europa wiederherstellen soll, gescheitert. Bis zuletzt war der Ausgang des Votums im EU-Parlament am Mittwoch völlig offen. Die Abgeordneten stimmten darüber ab, mit welcher Position sie in die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten einsteigen wollen – auch die komplette Ablehnung des Entwurfs der EU-Kommission war eine Option. Mit 336 gegen 300 Stimmen wurde das Vorhaben dann aber doch angenommen. 

Ein Blick auf die Stimmvergabe der österreichischen EU-Abgeordneten zeigt ein klares Bild: Die Parlamentarier der ÖVP und FPÖ stimmten fast alle gegen das Gesetz. Einzig der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), gab dem Kompromisstext seine Stimme. Zunächst hatte er für die von der EVP initiierte Ablehnung des Vorschlags gestimmt und einen neuen Vorschlag der Kommission gefordert. Nachdem die Ablehnung aber gescheitert war, sprach er sich für die neue Position des Parlaments aus. Geschlossen für das Gesetz stimmten hingegen die Parlamentarier der SPÖ, der Grünen und der Neos. 

Mehr Hecken und Blühstreifen

Ähnlich fielen auch die Reaktion innerhalb Österreichs aus. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig kritisierte die Ziele, die die EU-Kommission gesteckt hatte, im Ö1-"Morgenjournal" am Donnerstag als "überschießend" und "unrealistisch". Das Gesetz würde dazu führen, dass weniger Flächen für die Landwirtschaft zur Verfügung stehen. Denn: Der Gesetzesentwurf der Kommission sieht unter anderem vor, dass in der Agrarlandschaft mehr Hecken oder Blühstreifen angelegt werden, und will vor allem eine kleinteiliger strukturierte Landwirtschaft in Europa fördern. 

Seitens der ÖVP heißt es: Das Gesetz wolle die Flächenverwendung in der EU wieder in den Zustand von 1950 zurückversetzen. 

Trockenheit in Bayern: Ein Bauer wirbelt mit seinem Traktor beim Pflügen des trockenen Bodens eine Staubfahne auf.
IMAGO/Heiko Becker

Anders lautete die Reaktion der SPÖ. "Die heutige Abstimmung war eine echte Zitterpartie, aber jetzt können wir endlich erleichtert aufatmen. Der errungene Sieg ist ein echter Sieg für die Natur und unsere Zukunft", ließ der Abgeordnete Günther Sidl wissen. Die Abstimmung sichere auch die Zukunft kleinerer Landwirtschaftsbetriebe. Doch die EVP habe das Gesetz "in Geiselhaft genommen". Es sei lange nicht mehr um Inhalte gegangen, sondern um "reine Wahlkampfstrategie auf Kosten unserer Umwelt", so Sidl. Die EU-Wahlen sind für Juni 2024 geplant.

"Dieses Gesetz ist wichtig für unser aller Überleben", kommentierte auch der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz. Es gehe nicht nur um Lebensräume von Tieren und Insekten oder Naherholungsgebiete für Menschen, sondern auch um den Schutz vor Umweltkatastrophen und um die zeitnahe Klimaanpassung. Der ÖVP warf er eine Desinformationskampagne vor. Ähnlich reagierte Neos-EU-Parlamentarierin Claudia Gamon auf das Ergebnis: Der EVP sei es nicht gelungen, den "Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe zu sabotieren".

"Unsachliche" Kritik

Lob für das Gesetz kam auch von der Umweltschutzorganisation WWF. Die Kritik Totschnigs an dem Entwurf sei "unsachlich", konterte sie. Die Aussagen zur Gefährdung der Landwirtschaft durch das Gesetz seien längst widerlegt. "Die größte Bedrohung der österreichischen Agrarflächen ist der seit Jahrzehnten viel zu hohe Bodenverbrauch in Österreich", sagte WWF-Biodiversitätssprecher Joschka Brangs. "Hier muss der Landwirtschaftsminister endlich seine Hausaufgaben machen, wenn ihm die Ernährungssicherheit wirklich ein Anliegen ist." Damit verwies Brangs auf die ausständige Bodenschutzstrategie, die den Flächenfraß von zuletzt zwölf Hektar pro Tag eindämmen soll. 

Fridays for Future Austria mahnte unterdessen, die schwache Version, auf die sich das Parlament verständigen konnte, könne nicht das Endergebnis des Gesetzes sein. Dennoch sei es ein Erfolg. "Das ist ein bittersüßer Sieg, aber es ist unser bittersüßer Sieg", sagte Daniel Shams von Fridays for Future Austria. "Wir werden weiterhin für ein viel stärkeres Gesetz als dieses kämpfen."

Symbolerfolg

Auch aus Sicht des Agrarökonomen Sebastian Lakner von der Universität Rostock wurden entscheidende Punkte aus dem Entwurf entfernt. Artikel 9, der die Verbesserung von Landwirtschaft und Moorflächen hätte adressieren sollen, wurde per Änderungsantrag gestrichen. Insofern sei die Abstimmung ein Symbolerfolg für Wälder und Gewässer, doch dem Gesetz sei an einer wichtigen Stelle der Zahn gezogen worden.

Mit der Abstimmung legte das Parlament die Position fest, mit der es nun in die Verhandlungen mit dem Rat gehen will. In den kommenden Monaten soll das Gesetz festgezurrt werden. (Alicia Prager, 13.7.2023)