Seit Jahrhunderten ist Italien das Sehnsuchtsziel der Bildungsbürger. "Eine Reise in dieses 'gelobte Land' ist Manchen der höchste Wunsch seines Lebens gewesen", schrieb Karl Baedecker 1869 in seinem Handbuch für Reisende nach Mittelitalien und Rom. Schon Goethe hatte es vorgemacht, Generationen danach sehnten sich ebenfalls nach Italien, wegen des Klimas, der Kultur und um ihre Bildung unter Beweis zu stellen. Baden war damals eher noch kein Thema. Als Rom 1870 an das internationale Bahnnetz angeschlossen wurde, war die Anreise ja überhaupt ein Kinderspiel geworden, und Baedekers Reisehandbuch wurde ein absoluter Megaseller.

Eine Ansichtskarte von Fruchtermann aus Konstantinopel, 1903: Die Schiffsanlegestelle in Kadiköy
Eine Ansichtskarte von Fruchtermann aus Konstantinopel, 1903: Die Schiffsanlegestelle in Kadiköy.
Wolfgang Ludwig

Da man für die Zuhausegebliebenen seinen Aufenthalt irgendwie dokumentieren wollte, hatten sich findige Fotografen in Italien darauf spezialisiert, schöne Tafelbilder als "immagini di ricordo" anzubieten. Das waren zunächst zwar noch keine Ansichtskarten – dafür waren diese frühen Fotos mit einem Preis von umgerechnet circa 50 Euro noch viel zu teuer und mit Seitenlängen von über 25 Zentimetern auch recht groß. Im Frankfurter Städelmuseum sind derzeit solche "Erinnerungsfotos" aus der Vor-Ansichtskartenzeit von gängigen Attraktionen wie dem Kolosseum, der Bucht von Sorrent, Szenen aus Venedig oder anderen Orten der Sehnsucht zu sehen. Die Ausstellung im Kunsttempel am Mainufer vermittelt außerdem einen guten Überblick über die fotografische Entwicklung im Italien des 19. Jahrhunderts.

Ein mehrere Kilo schweres
Ein mehrere Kilo schweres "Erinnerungsbuch" aus Florenz (um 1870?).
Wolfgang Ludwig

Wegen der langen Belichtungszeit von einigen Minuten wirken die Bilder aber gestellt, die Wasserflächen unnatürlich glatt. Wenn einem die Bilder gefielen und man noch genug Reisekapital übrig hatte, konnte man sogar große (und ziemlich schwere) Erinnerungsbücher mit mehreren Fototafeln kaufen. Die Straßen- und Porträtmaler fühlten sich damals von dem neuen Medium in ihrer Existenz bedroht und forderten sogar ein Verbot der Fotografie – sich gegen den Strom der Entwicklung aufzulehnen, ergab aber noch nie viel Sinn.

Fruchtermanns Ansichtskarten

Im späten 19. Jahrhundert kamen in mehreren Ländern die kleineren und viel praktischeren Ansichtskarten auf, besonders auch in der Türkei. Ein Fotograf, der aus der Gegend von Lemberg (Lviv) nach Konstantinopel ausgewandert war, entwickelte ab den 1890er-Jahren als einer der Ersten eine perfekte Ansichtskartenproduktion mit gängigen Motiven der Stadt und wurde damit sehr reich. Besonders Reisende des Orientexpress kauften seine Karten massenweise. Natürlich fand er in der ganzen Welt rasch Nachahmer. Eine Reise ohne Versenden von Ansichtskarten wurde bald ein absolutes No-Go für die Touristen. Auch die Post profitierte davon.

Carlo Naya, Venedig: Blick auf Markusbibliothek, Campanile, Dogenpalast, um 1875
Carlo Naya, Venedig: Blick auf Markusbibliothek, Campanile, Dogenpalast, um 1875.
Städel Museum

Doch dummerweise investierte Max Fruchtermann (1852–1918) fast sein ganzes Vermögen in österreichisch-ungarische Kriegsanleihen – und das war's dann mit dem Reichtum. Sein Sohn Paul führte das Geschäft des Vaters zwar weiter, aber nach dem Ersten Weltkrieg kam der Tourismus nicht mehr richtig in Schwung, und bald war ohnehin Schluss mit Vergnügungsreisen.

Auch der junge Fruchtermann hatte einen großen Fehler gemacht. In der Gier nach Mengenrabatten bei der Produktion der Ansichtskarten hatte er weit über 600.000 Karten auf Lager, als er 1966 das Geschäft auflösen musste. Viele dieser Karten sind heute noch in Antiquariaten von Beyoglu (Istanbuls europäischem Zentrum) zu erwerben. Der Autor dieser Zeilen konnte mit Händlern sprechen, die den jungen Fruchtermann noch gekannt hatten (und ein paar Tausend seiner Karten auf die Seite geschafft hatten).

Ansichtskartenboom in Italien

Da Italien seit dem späten 19. Jahrhundert einen sehr intensiven Tourismus erlebte, spielten die Ansichtskarten dort eine noch größere Rolle. Die alten Fotografietafeln hatten zwar einiges für sich: Sie zeigten in großen, anschaulichen Bildern bekannte Motive, schöne Landschaften oder besondere Ereignisse wie einen Ausbruch des Vesuvs, aber die handlichen Ansichtskarten waren als neues Massenmedium einfach billiger, leichter zu verschicken und erfüllten den Dokumentationsdrang der Reisenden besser. 

Giacchino Altobelli, Rom: Fischer am Tiber nahe Engelsburg, um 1860
Giacchino Altobelli, Rom: Fischer am Tiber nahe Engelsburg, um 1860.
Städel Museum

Ansichtskarten wurden auch zu einem wesentlichen Faktor in der Tourismusindustrie, da sie bei den Empfängern mit den meist geschönten Bildern Sehnsüchte erzeugten und zu Reisen animierten. Der dazugeschriebene Text war meist sekundär und oft nur mäßig originell: Auf das Bild kam es an! Man kann die kleinen Karten durchaus als Vorläufer von Instagram bezeichnen.

Reisefotografien in Frankfurt und Wien

Dass das Frankfurter Städel eine beachtliche Zahl an alten Fotografien, darunter viele aus Italien, besitzt, geht zurück auf Johann David Passavant (1787–1861), einen Maler und Kunsthistoriker aus Frankfurt, ab 1840 Direktor des Städelmuseums. Er verbrachte viele Jahre in Italien, interessierte sich nicht nur für Malerei, sondern auch für das neue Medium der Fotografie. Passavant kaufte daher zahlreiche Fotografien von italienischen und anderen Produzenten für das Museum an. In der Schau "Italien vor Augen – Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte" sind bis Anfang September zahlreiche dieser Bilder aus eigener Sammlung zu sehen.

Wie man sich in Wien um 1910 den Verkehr der Zukunft vorstellte. 
Wie man sich in Wien um 1910 den Verkehr der Zukunft vorstellte.
Ansichtskarte von Kohn KG, handkolorierter Lichtdruck, Wien Museum

Und im Wien-Museum werden unter dem Titel "Großstadt im Kleinformat – Die Wiener Ansichtskarte" alte Ansichtskarten aus Wien als prägendes Massenmedium der Zeit um 1900 gezeigt. Zu sehen sind zahlreiche Darstellungen der Stadt im Kleinformat, oft geschönt und bearbeitet. Frühe Wiener Ansichtskarten bildeten zwar oft auch kleine Gassen in Vororten und Nebenschauplätze ab, doch bald reduzierten sich die Darstellungen, die heute interessante Zeitdokumente darstellen, auf die gängigen, für die Touristen interessanten Motive. Die Ausstellung im Wien-Museum Musa ist bis 24. September geöffnet. (Wolfgang Ludwig, 14.7.2023)