Intensives Schauspiel in Gars am Kamp, wo Verdis Oper
Intensives Schauspiel in Gars am Kamp, wo Verdis Oper "Aida" alles andere als in den Sand gesetzt wurde.
Oper Burg Gars / Andreas Anker

Also die Temperaturen passen schon mal. Heißer als am Premierenabend in Gars kann es in Memphis und Theben zur Zeit der Pharaonen auch nicht gewesen sein. Der kurze Aufstieg zur Burgruine verläuft selbst im Schildkrötenmodus schweißtreibend. Oben erfrischen eine Brise sowie der Anblick des lethargisch dahinfließenden Kamp, der aus seiner unbezahlten Statistenrolle als moorbrauner Mini-Nil keine große Sache macht.

Im himmelsoffenen "Opernhaus des Waldviertels" gibt man Verdis Aida. Im zehnten und letzten Jahr seiner Intendanz – bald übernimmt Kammersänger Clemens Unterreiner – begrüßt Johannes Wildner das Publikum, der freundliche Filialleiter des "kulturellen Nahversorgers" dankt den Gästen erst einmal für deren Steuerzahlungen.

Gleich darauf findet Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka anerkennende Worte für den "alten Impresario" und verspricht coram publico, nicht die Leitung der Aufführung zu übernehmen.

Charmant altmodisch

Die Premiere schupft tatsächlich Wildner, und der 67-Jährige entpuppt sich dabei als Orchesterleiter der eher gutmütigen, gemächlichen Art. Das seitlich positionierte Orchester der Oper Burg Gars gefällt mit einem charmant altmodischen, leicht wackeligen Sound. Oper berührt nicht nur im Zustand der Perfektion! Mitreißend agiert und singt auch der Chor, der die emotionalen Befindlichkeiten der triumphierenden Ägypter und der versklavten Äthiopier auf eine intensive Weise ausdrückt: Laien mit Leidenschaft.

Die Regiearbeit von Philipp Harnoncourt (auch Bühne) zeichnet sich, passend zum Ambiente der Burgruine, durch eine große Naturbelassenheit aus: eine Inszenierung mit Demeter-Siegel, sozusagen. Das ägyptische Volk trägt batikartige Stoffe mit nilblauen Streifen (Kostüme: Elisabeth Ahsef), die erhöhte Bühnenplattform ist knöcheltief mit Sand bedeckt. Sind die kriegerischen Auseinandersetzungen für den ägyptischen König (stylish: Krzysztof Borysiewicz) nur Sandkastenspiele und die Protagonisten, wie anfangs angedeutet, nur Marionetten?

Weißer Spielzeugelefant

Im ersten Akt sorgen in den Fenstern der Ruine Feuerschalen für Stimmung, im zweiten erklingen die Aida-Trompeten vom Bergfried zum Triumphzug. Der Nil-Akt gerät dank Pflanzeneinsatzes und Lichtspielen in Grün-Lila sogar unter einem grellen Neon-Mond zum atmosphärischen Höhepunkt. Dennoch: Ein Mehr an inszenatorischen Beigaben hätte dann und wann das Auge erfreut – so wie etwa der kleine weiße Spielzeugelefant, der dressurtechnisch wirklich alle Stückeln spielte.

Das Publikum ist in Gars nah dran am Operngeschehen, manchmal sogar mittendrin. Das Dreieck der Hauptfiguren überzeugt am Premierenabend: Li Keng ist als Aida eine äthiopische Königstochter mit fokussiertem, nicht allzu ausladendem Sopran, Oscar Marín ein südländisch timbrierter Feldherr Radamès. Zwischen dem Liebespaar ist Nana Dzidziguri als ägyptische Prinzessin Amneris für Eifersucht und Rache zuständig: Das gelingt der Georgierin souverän. Aidas Papa Amonasro gibt Neven Crniæ packend und kraftvoll, Stephano Park ist als Ramfis ganz noble priesterliche Autorität.

Sterben müssen Aida und Radamès leider auch im Waldviertel, Jubel in Gars am Kamp über den grausamen Tod am Nil. (Stefan Ender, 16.7.2023)