Frau am Schreibtisch mit Notizheft
Drei Viertel der Bildungskarenzen werden von Frauen genutzt. Viele koppeln sie mit der Elternkarenz.
Getty Images/ Maria Korneeva

Die Bildungskarenz boomt. Das Modell existiert in Grundzügen zwar seit einem Vierteljahrhundert, doch in der jüngeren Vergangenheit kamen immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf den Geschmack. Seit 2010 hat sich die jährliche Zahl der Personen in Bildungskarenz mehr als verdoppelt, allein von 2019 bis 2021 gab es eine Steigerung von fast dreißig Prozent. Insgesamt waren es damit 2021 rund 14.000 Personen.

Und noch mehr Arbeitnehmer würden womöglich gerne, dürfen aber nicht, die Zustimmung des Arbeitgebers ist nämlich unabdingbar. Der Deal, wenn er denn zustande kommt: Die Arbeitnehmerin muss nicht arbeiten, bleibt aber beim angestammten Unternehmen, bei dem dafür jedoch keine Lohnkosten anfallen. Stattdessen springt das AMS ein und zahlt der Arbeitnehmerin während der Weiterbildung 55 Prozent des Nettolohns (siehe Infobox unten). Der Boom schlägt also auf die Kassen der Arbeitslosenversicherung durch: 300 Millionen Euro waren es laut Erhebung 2021.

Kocher vage, Grüne abwartend

Am Sonntag ließ Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) in einem APA-Interview aufhorchen. Die Bildungskarenz sei ein gutes Instrument, befand Kocher, aber: "Vielleicht kann man es noch besser machen." Bezüglich konkreter Vorstellungen blieb der Minister kryptisch: Einerseits bekrittelte er, das Modell sei "vielleicht nicht zielgerichtet genug", andererseits stellte er Einsparungspläne in Abrede. Ziel sei es, dass "die Bildungskarenz noch mehr Menschen nutzen und dass sie möglichst effektiv genutzt wird".

Eine STANDARD-Nachfrage in Kochers Ressort zu dessen Maßnahmenideen brachte nur mageren Erkenntnisgewinn: Der Minister wolle im Herbst eine breite öffentliche Debatte starten und dieser nicht vorgreifen. Sprich: Kocher habe jetzt bloß einmal gesagt, worüber er in ein paar Monaten noch etwas sagen will, aber mehr als das will er bis dahin nicht sagen. Das Thema ist also heikel, es steht auch nicht im Regierungsprogramm. Der grüne Koalitionspartner bleibt auf Anfrage abstrakt: Die Bildungskarenz sei eine wichtige Maßnahme zur Weiterbildung. Man sei offen für Gespräche über Verbesserungen, Einschränkungen aufseiten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfe es nicht geben.

Lockere Kriterien

Doch warum könnte die Bildungskarenz überhaupt in den Reformfokus geraten? Einige Antworten darauf liefert ein 86-seitiger Bericht, den der Rechnungshof (RH) im April veröffentlicht hat. Die Kontrolleure der Republik haben dabei bemängelt, dass die Kriterien für Weiterbildungskurse, die man zum Bezug des AMS-Geldes besuchen muss, sehr locker sind. Theoretisch müssen die Kurse zwar 20 Wochenstunden beanspruchen, doch wirklich im Kurs sitzen muss man nur fünf Stunden pro Woche, der Rest lässt sich als Lernzeit verbuchen.

Ob ein Kurs zum eigenen Jobprofil passt wird dabei ebenso wenig geprüft wie die Frage, ob man die gelehrten Kompetenzen nicht ohnehin schon besitzt. Das ursprüngliche Ansinnen, wonach eine Bildungskarenz die Arbeitsmarktchancen durch neue Qualifikationen erhöht, wird vielfach nicht eingelöst, argumentiert der RH: Bei zwei Dritteln der Beziehenden verbessert sich das Einkommen ein Jahr nach Abschluss der Bildungskarenz nicht. Zudem wird das Modell deutlich überproportional von Arbeitnehmern in Anspruch genommen, die schon vor der Karenz einen hohen Bildungsabschluss mitbringen. Die Bildungskarenz könne für "mit öffentlichen Mitteln finanzierte Auszeiten aus dem Arbeitsprozess genutzt werden", schreibt der RH mit kritischem Unterton.

Verschärfung hätte Tücken

Die angeregte Verschärfung der inhaltlichen Kriterien für Weiterbildungskurse hätte jedoch ihre Tücken: Von außen lässt sich schwer feststellen oder vorhersagen, wie relevant welche Ausbildung für ganz bestimmte individuelle Karriereaussichten ist, zumal sich die Qualifikationsanforderungen am Arbeitsmarkt rasch ändern.

Wenn das AMS in jedem Einzelfall inhaltlich beurteilen müsste, ob eine Weiterbildung zu den Eigenschaften und Ambitionen eines Arbeitnehmers passt, würde das einen erheblichen und fehleranfälligen Aufwand nach sich ziehen. Auch der RH räumt ein, dass eine strengere Weiterbildungsverpflichtung schwierig umzusetzen wäre. Fraglich ist auch, ob sich die Arbeitslosenversicherung damit viel ersparen würde, denn wer eine hypothetische "Auszeit" nicht in der Bildungskarenz, sondern in der Arbeitslosigkeit verbringen würde, bekäme AMS-Geld derselben Höhe ausbezahlt.

Ein grelles Licht werfen die Zahlen indes auf die herrschende Rollenverteilung bei der Kindererziehung: Die Hälfte aller Frauen, die in Bildungskarenz gehen, schließt diese nahtlos an die Elternkarenz an – quasi als verlängerte Babypause. Bei den Männern wäre diese Kopplung genauso möglich, in der Realität kommt sie praktisch nicht vor. (Theo Anders, 16.7.2023)