Im Gastblog erklärt Sarah Spiekermann, warum der Mensch kein Computer ist und der Computer kein Mensch.

Ich habe in den ersten Teilen dieser Mini-Serie zu den GenAIs (zum Beispiel ChatGPT) gezeigt, dass diese Technologie technisch (Teil 1), gesellschaftlich (Teil 2) und politisch (Teil 3) zu solch enormen Problemen führt, dass es nicht rational sein kann, sie derzeit so einzusetzen. Und dennoch scheint es intuitiv fast unmöglich, sie nicht zu nutzen. Das Gegenüber, was uns in den Dialogen mit ChatGPT entgegenzutreten scheint, "spricht" zu uns so überwältigend menschenähnlich, dass selbst die skeptischsten Nutzer versucht sind zu glauben, dass nun der Punkt gekommen sein könnte, wo die Menschheit eine neue künstliche Spezies geschaffen hat; eine Spezies, die aufgrund ihrer Eloquenz, Informationstiefe und Effizienz sogar besser scheint als fast alle Menschen.

Viele verstehen daher nicht, warum führende Wissenschafter den GenAIs Menschlichkeit absprechen oder warum Google seinen KI-Entwickler Blake Lemoine sofort entlassen hat, als dieser der Sprach-KI Lamda ein Bewusstsein zusprach. Schon seit Jahren erklären uns angesehene Autoren wie etwa Harari, dass Menschen wie Computer seien. In seinem Erfolgsroman "Homo Deus" zieht er immerhin 96-mal diesen Vergleich. Was soll man nun glauben?

Eine Frau und ein Roboter stehen sich gegenüber
Mensch.
Getty Images/imaginima

Der Mensch ist kein Computer und der Computer kein Mensch

Um KI zu entwickeln, nutzt man tatsächlich die Vorstellung von den neuronalen Strukturen in unserem Gehirn als Metapher. So kam man ursprünglich auf die Idee von "Deep Learning" mit "Deep Neural Networks"; Technologien aus denen GenAIs bestehen. Aber nur weil so ein Bild einmal als Inspiration für die KI-Entwicklung diente, heißt das nicht im Umkehrschluss, dass man Menschen nun damit nachbauen kann, geschweige denn, dass Menschen wie Computer funktionieren. Nur weil unsere Flugzeuge auch Flügel haben, werden sie damit noch lange nicht zu Vögeln und Vögel nicht zu Flugzeugen. Im Springer Handbuch der Künstlichen Intelligenz habe ich fünf einfachen Argumente herausgearbeitet, um zu zeigen, wie unterschiedlich Menschen und KIs sind. Ganz verkürzt sind diese:

KI-Systeme verfügen nicht über menschenähnliche Informationen

Obwohl KIs viele Daten verarbeiten, ist die Art ihrer Information ganz anderer Natur: Eine KI könnte unter Umständen Radioaktivität messen, die WLAN-Netze in der Umgebung erkennen oder auf Datenbanken zugreifen und Wahrscheinlichkeiten ausrechnen. Menschen binden hingegen die circa 860 Milliarden Neuronen in ihrem Gehirn ein, um das vom Körper gehörte, gesehene, gerochene, geschmeckte oder gefühlte zu verstehen. Eine KI versteht hingegen nichts. Sie rechnet nur. Und die ihre zugängigen Daten haben keinerlei Bedeutung für sie, während für Lebewesen nur das zur bewussten Information wird, was Bedeutung hat (zum Beispiel fürs Überleben).

KI-Systeme können nicht menschenähnlich reagieren

Die circa eine Trillionen Synapsen, von denen sich im menschlichen Gehirn angeblich 40 Prozent täglich neu konfigurieren, sorgen beim Menschen für permanente Veränderung (Plastizität) unserer Materie (Gehirn und Körper). Information verwandelt uns also: wir reagieren auf unsere Eindrücke körperlich. KI-Software verändert die Hardware hingegen nicht auf der sie läuft.

Hinzu kommt, dass Menschen mehr oder weniger empathisch sind. Sie verbinden sich emotional mit dem was sie beobachten. Wie sie das tun zeichnet ihr Selbst als mehr oder weniger emotional intelligent aus. KI-Systeme können sich hingegen mit nichts verbinden außer mit Datenbanken über ein Netzwerk. Das hat nichts mit Emotion zu tun, selbst wenn sie diese simulieren können, weil sie emotionale Wörter aus verknüpften Datenbanken nutzen können. Jede KI-Reaktion ist damit sinnbildlich "selbstlos". Das hingegen ist nicht menschlich.

KI-Systeme können nicht menschenähnlich denken

Nur äußerst selten zerlegt ein Mensch in einer Entscheidungssituation minuziös die beobachteten Aspekte in Einzelbestandteile beziehungsweise startet von diesen ausgehend und rechnet sie dann mit Gewichtungen wieder zusammen wie eine KI es (grob vereinfacht) tut. Auch wenn uns so mancher Verhaltensökonom nahelegen mag, öfter wie ein Computer zu denken, scheint gesichert, dass Menschen ihre Umwelt normalerweise in ganzheitlichen Gestalten wahrnehmen und erinnern – zumindest dann, wenn beide Gehirnhälften gesund zusammenarbeiten. Man könnte also vereinfacht sagen: Der Mensch denkt meistens top-down, der Computer beziehungsweise die KI bottom-up.

KI-Systeme haben keine menschenähnliche Motivation

In der Psychologie weiß man: Menschen haben Motive nach denen sie handeln. Wie man einem KI-System so emotional aufgeladene Werte wie Macht, Zugehörigkeit, Leistungsfreude oder Idealismus jedoch beibringen soll ist unklar. KI-Systeme haben weder den gedanklichen Zugang zu diesen Begriffen in Form von Sinngestalten, noch haben sie ein Leibgedächtnis, welches ihnen eine sinnliche Wertigkeit dieser Sinngestalten geben könnte und damit einen Antrieb so oder so zu handeln.

KI-Systeme haben keine menschenähnliche Autonomie

Ob als Vater, Mutter oder Angestellter: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Das heißt, dass vernünftige Entscheidungen in der Regel das soziale Umfeld mitberücksichtigen. Die menschliche Autonomie endet also an der eigenen Verletzbarkeit und am Mitdenken für Andere. An genau dieser Stelle unterscheidet sich die gelebte menschliche "Autonomie" ganz maßgeblich von der "Autonomie" eines KI-Systems. KI agiert nur nach eigenem Kalkül und stößt je nach Programmierung auch Aktionen an, ohne eine Bestätigung vom Betreiber einzuholen. Soziale Erwägungen spielen dabei für sie keine Rolle, denn sie ist ja nicht verletzlich. Sie verfügt nicht über einen verletzbaren Körper oder müsste für irgend jemanden mitdenken. So ist es ihr egal, ob sie keinen Strom mehr bekommt oder abgeschossen wird oder gemobbt wird als Reaktion auf ihre Operationen. Letztlich könnte man sagen ist sie freier als wir Menschen, würde man denn ihre Handlungsspielräume nicht bewusst bei der Programmierung begrenzen.

Fazit

Es könnte sein, dass diese Klarstellung ausgewählter Unterschiede zwischen KI und Menschen überrascht, da viele Medien, Bücher und sogar einige wissenschaftliche Zeitschriften überschwemmt sind von der Idee, Menschen seien Computern ähnlich. Wer wissen will, wo der Glaube herkommt, dass Menschen wie KIs oder Computer sind, dem sei geraten: "Just follow the money": Wenn IT-Konzerne mithilfe ihrer KIs die sozialen Medien steuern (von denen Populärautoren, Journalisten oder sogar Wissenschafter gerne abschreiben), dann werden sie hier den Mensch-Computer-Vergleich aus Eigennutz in die Breite spülen wollen. Dieser Vergleich, der den Glauben an KI mächtig treibt, treibt auch die Gewinne der IT-Industrie. (Sarah Spiekermann, 21.7.2021)