Gregor Bloéb Telfs
Gregor Bloéb startet – mit schnittigem Gefährt –bei den Tiroler Volksschauspielen 2023 neu durch.
Fotograf Victor Malyshev

Telfs – "Zensur gibt es bei uns nicht", sagt Gregor Bloéb. Und übt sich zugleich eifrig in Selbstzensur. Nichts "Anrüchiges" soll dem Neo-Intendanten der Volksschauspiele im Tiroler Telfs kurz vor dem Start seiner ersten Saison über die Lippen kommen, nötigenfalls soll hernach die Pressesprecherin für Message-Control sorgen. Es sei nämlich so: "Man tut sich ja mittlerweile schon mit einzelnen Wörtern schwer. Darf man überhaupt noch ‚Volkstheater‘ sagen? Oder muss es jetzt ‚Bevölkerungstheater‘ heißen? Es werden ja schon alle narrisch. Und dann heißt es gleich: ‚Oh, jetzt hat er wieder ein anrüchiges Wort gesagt!‘" Das findet Bloéb "ätzend für alle Beteiligten", aber auch "ein bisschen zum Gähnen".

Vor ein paar Monaten zeigte sich der 1968 in Innsbruck geborene Schauspieler und Regisseur da noch weniger zimperlich, ritt Verbalattacken gegen die "Woke-Bewegung", die er gar als "faschistoid" bezeichnete, und kündigte an, in Telfs "Theater für Normalbürger" machen zu wollen. Dass Niederösterreichs VP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die "normal denkenden Menschen" zwischenzeitlich zur politischen Kategorie erhoben hat: nicht Bloébs Thema. Weitere Erklärungen zum "Theater für Normalbürger" möchte er gegenüber dem STANDARD nicht abgeben. Und betont lieber das "Miteinander", das bei den Volksschauspielen gelebt werde: "Da hackelt der Industrielle mit dem Sozialisten, der Asylwerber mit dem Gemeindearbeiter, und ein Südtiroler Rastafari und ein Tänzer aus Brasilien sind auch dabei."

Neue Spielstätte Birkenberg

Dabei ist außerdem eine beachtliche Riege an Gegenwartsautorinnen und -autoren, darunter Helena Adler, Lisa Wentz, Felix Mitterer und Hubert Sauper, die sich auf Bloébs Einladung mit je einer der "sieben Todsünden" beschäftigt haben. Ein symbolträchtiger Stoff: Die Volksschauspiele wurden 1981 mit Franz Kranewitters gleichnamigem Einakterzyklus aus der Taufe gehoben. Die Neuinterpretationen erleben ihre Uraufführung am Donnerstag auf dem Birkenberg in Telfs, wo Bloéb eine neue Spielstätte eingerichtet hat. Hier wird ordentlich geklotzt: Das vom Architekturkollektiv Columbosnext gestaltete Open-Air-Foyer besteht aus tonnenschweren, unbehandelten Marmorblöcken aus dem Südtiroler Laaser Tal.

"Ein klasse Bild für das, was wir hier machen", so Bloéb: "Von dem Marmor, der normalerweise in den Foyers der großen Theater ist, haben wir noch mehr, er ist noch schöner – und er ist für alle. Und nicht nur für eine gewisse Klientel." Von der neuen Freilichtbühne aus kann man über das Inntal bis nach Pfaffenhofen hinüberschauen, wo Bloéb seit Jahren mit Gattin Nina Proll lebt. Der Mann ist ein Lokalmatador und seit seiner Jugend eng mit den Volksschauspielen verbunden.

Breitseiten gegen Wokeness

Er ist aber auch einer, der polarisiert, sei es mit Breitseiten gegen die "Woke-Blase" oder mit polternder Kritik an den Corona-Maßnahmen. Bereits 2020 galt Bloéb zwar als politischer Wunschkandidat für die Leitung der Volksschauspiele, die Findungskommission empfahl ihn aber nicht einmal in die engere Auswahl. Intendant wurde Christoph Nix, der nach zwei Jahren hinschmiss. Bei Bloébs zweitem Anlauf geriet die Jury sogar in heftigen Streit über seine Eignung, geworden ist er es am Ende trotzdem. "Tempi passati", sagt Bloéb zu den Debatten, findet aber, "dass man bei einem so kleinen Kulturbetrieb wie diesem schon über die Sinnhaftigkeit einer Jury nachdenken könnte". Die Frage für die Volksschauspiele sei gewesen, "was verändert werden muss, damit hier professionell gearbeitet werden kann. Und ich muss sagen: Ich war dafür einfach der Richtige."

Dass man ihm das als Hochmut auslegen könnte, juckt ihn nicht. Was Sünde und was Tugend ist, soll bei den Volksschauspielen ebenso diskutiert werden wie die Freiheit der Kunst. Ebenfalls im Programm: ein Narrentanz der Volksbühnen und eine Jelinek-Marathonlesung.

Die Sache mit der Zensur gehört übrigens zum Gründungsmythos der Volksschauspiele: Als 1982 in Hall die Aufführung von Felix Mitterers Stigma untersagt werden sollte, übersiedelten die Spiele nach Telfs. Und sind bis heute dort geblieben. (Ivona Jelcic, 18.7.2023)