Die neue Zweigstelle des Wiener Wü ist ein lauschiges Standl im Schatten der Müllverbrennungsanlage Spittelau.
Die neue Zweigstelle des Wiener Wü ist ein lauschiges Standl im Schatten der Müllverbrennungsanlage Spittelau.
Gerhard Wasserbauer

Kurz nach 21 Uhr dreht einer der Stammgäste ein bisserl am Lautleiseknopf der Anlage. Die Bässe wummern satt, die mittsommerlich blaue Stunde senkt sich gnädig über die monströsen Bausünden des Josef-Holaubek-Platzes, vom klaren Himmel glitzert das güldene Schlot-Ufo von der Müllverbrennungsanlage Spittelau herab. Weit und breit kein Nachbar, der sich an den fett ins Bauchfell fahrenden Beats stören könnte: Hier gibt’s nur Büros und die frühere WU, niemand da, der sich an der Feierlaune der Gäste des Wiener Wü stoßen könnte. So fließt das Bier in stetem, goldenem Strom in die tönernen Humpen, der Sommer glüht, und das ist gut so. Denn jetzt gibt es Bier aus ganz außerordentlichem Hause.

Pure Lebensfreude zischen

Das Augustiner Bräu im Salzburger Stadtteil Mülln ist so etwas wie ein Museum historischer Braukunst. Nur dass hier ganz normal Bier gebraut wird, seit 1621 durchgehend, seit 1912 in der bis heute praktizierten Form, mit den unverändert in Verwendung stehenden Gerätschaften: offene Gärbottiche, traditionelle Kupferkessel, emaillierte Lagertanks und, vor allem, das legendäre Kühlschiff. Diese riesige, gut zwei Swimmingpools große, flache Wanne ist im Dachboden der Brauerei untergebracht, in ihr darf die frisch gekochte Würze ganz langsam, ohne künstliche Hilfsmittel, auf 40 °C herunterkühlen. So wird ein Bier, das urtümlich köstlichen Zug entwickelt und wie nackte, pure Lebensfreude durch die Kehle zischt. Wieder und wieder und wieder, bei schüttfreudigem Bier bajuwarischer Tradition wie diesem kommt der Durst bekanntlich mit dem Trinken.

In Mülln selbst, in der größten Braugaststätte des Landes, rinnt es bis heute ausschließlich aus Holzfässern in die Krüge. Damit kann Mike Lanner, ein Salzburger in Wien und der Mann, der das Bier erstmals in Fassln in die Hauptstadt gebracht hat, nicht dienen. In seinem Wiener Wü genannten Würstelstand bei der Müllverbrennung Spittelau, gleich beim Abgang zur U4, kommt das Müllner Bräu aus dem Metallfass, dank ausgefeilten Anlagentunings durch allerhand Zapfmeister und Biersommeliers im erweiterten Bekanntenkreis rinnt es aber auch extrem kohlensäurearm, bekömmlich und zischfreudig aus dem Hahn.

Das Bier ist die zentrale, unüberbietbare Attraktion dieses Würstelstandls, dementsprechend hartnäckig bleibt man hier auch immer hängen. Die Plätze im Schanigarten sind hochbegehrt, auch wenn die Lauschigkeit der selbstgezimmerten Bankerln samt üppiger Begrünung im Schatten der Müllverbrennungsanlage, direkt neben dem abszessgleich wuchernden Bundesamtsgebäude, marginal weniger idyllisch sein mag als der legendäre Biergarten in Mülln mit alten Kastanienbäumen und knirschendem Kies.

Das Bologna Sandwich, mit knusprig gebratener Fenchelsalsiccia, Raclette und Tapenade.
Das Bologna Sandwich, mit knusprig gebratener Fenchelsalsiccia, Raclette und Tapenade.
Gerhard Wasserbauer

Die Verpflegung kann es aber auch. Lanner, der mit seinem ersten Standl in der Josefstädter Pfeilgasse gezeigt hat, dass der finale Todeskampf der Gattung Würstelstand in Wien vielleicht doch zu früh ausgerufen wurde und, mit entsprechend hipstermäßiger Hingabe und Qualitätsversessenheit, eventuell doch noch auf ein zweites Leben neben Döner, Nudel und Burger hoffen darf. In der Spittelau setzt der Salzburger auf Bosna, ein autochthon salzburgisches Gericht, das er in Wien bislang nicht in satisfaktionsfähiger Form gefunden hat. Der Stand tischt ausschließlich Biowürstel auf, mit Ausnahme der veganen Bosna (aus Biopilzen und Seitan), ausschließlich von handwerklich arbeitenden lokalen Fleischern wie Christian Landl aus Ottakring. Biosalzgurken, nach polnisch-ukrainischem Vorbild ("malo solne") schwach gesalzen, werden seit Beginn der Freilandernte selbst eingelegt und sind für sich eine Attraktion.

Kopenhagener Dog

Auch die anderen Dogs, ob Kopenhagener mit hausgemachter Remoulade, Röstzwiebeln und Süßgurkerl oder Berner mit Käsfrankfurter, separat gebratenem Biospeck und einer richtig gut abgestimmten Cumberlandsauce im Bun, sind fortgeschrittene Wurstbrote. Was aber fix gekostet gehört, ist das Bologna, mit knusprig gebratener Fenchelsalsiccia, Raclette und Tapenade (siehe Bild): massives Sandwich und die perfekte Ausrede für, oha, schon wieder, das nächste Bier. (RONDO, Severin Corti, 21.7.2023)