Im Gastblog schreibt Harald Havas über neue Entwicklungen rund um das Ufo-Phänomen.

Während viele noch versuchen, die Enthüllungen zu verdauen, die der US-Gesetzesentwurf, der bereits im letzten Blog ausführlich beschrieben wurde, ausgelöst hat, legt der Kongress noch eins drauf: Niemand Geringerer als der Mehrheitsführer des Senats, Chuck Schumer, hat das sogenannte "UAP-Enthüllungsgesetz" präsentiert, das sich wie Science-Fiction liest – besonders die immer wieder angesprochenen "nicht menschlichen Intelligenzen" und die Androhung der Enteignung exotischer Materialien. Außerdem: Das Repräsentantenhaus hat für kommenden Mittwoch in Windeseile ein öffentliches Hearing mit Augenzeugen angesetzt. Man darf gespannt sein.

Worum es geht

Es bedarf nicht vieler Worte, um die Situation vorzustellen und ihre Brisanz zu vermitteln. Beginnen wir mit einem Zitat des demokratischen Mehrheitsführers im Senat, Charles "Chuck" Schumer:

"Die amerikanische Öffentlichkeit hat das Recht, von Technologien unbekannten Ursprungs, von nicht menschlicher Intelligenz und unerklärbaren Phänomenen zu erfahren. Wir arbeiten nicht nur daran, zu deklassifizieren, was die Regierung schon bisher über diese Phänomene herausgefunden hat, sondern auch daran, einen Kanal zur Veröffentlichung zukünftiger Forschung zu schaffen. Ich bin stolz darauf, das Vermächtnis meines Mentors und Freunds Harry Reid anzutreten und für die Transparenz zu kämpfen, die die Öffentlichkeit rund um diese unerklärten Phänomene seit langem verlangt hat."

Harry Reid war ein ehemaliger Mehrheitsführer des Senats, auf dessen Initiative unter anderem das Pentagon eine Ufo-Forschungseinrichtung gründete, die im Jahr 2017 durch einen bahnbrechenden "New York Times"-Artikel der Öffentlichkeit bekannt wurde.

US Capitol in Washington mit der amerikanischen Fahne
Das Repräsentantenhaus hat für kommenden Mittwoch ein öffentliches Hearing mit Augenzeugen angesetzt.
EPA/MICHAEL REYNOLDS

Das Enthüllungsgesetz

Der Gesetzesentwurf S. 2226, ein Anhang für das Budgetgesetz für das Verteidigungsministerium für das Fiskaljahr 2024, tritt auf 63 (!) klar formulierten Seiten an, genau diese Versprechungen Schumers zu erfüllen. Allein der Titel lässt keine Fragen offen: "Unidentified Anomalous Phenomena Disclosure" (Enthüllung nicht identifizierter anormaler Phänomene), wobei UAP die mittlerweile gängige Umschreibung für das ist, was man früher Ufo nannte. Alternativ darf das Gesetz laut des Textes auch als "Unidentified Anomalous Phenomena Disclosure Act of 2023" oder „UAP Disclosure Act of 2023“ bezeichnet werden.

Eingebracht wurde es neben dem demokratischen Mehrheitsführer auch von seinem republikanischen Kollegen Mike Rounds – sowie den Senatoren Kirsten Gillibrand (D) und Marco Rubio (R), die bereits hinter vorhergehenden Gesetzen und Gesetzesentwürfen in dieser Sache standen. Gerade diese überparteiliche Vorgangsweise zeigt, wie ernst es dem Senat mit der Sache ist.

Absicht des Gesetzes

Gleich anschließend werden in der Sektion "Findings, Declarations and Purposes" die Karten auf den Tisch gelegt (meine Hervorhebungen):

(a) Feststellungen, Erklärungen – Der Kongresses erklärt und stellt Folgendes fest:
(1) Alle Aufzeichnungen der Bundesregierung im Zusammenhang mit nicht identifizierten anomale Phänomene sollten für historische und Zwecke der Bundesregierung erhalten und zentralisiert werden.
(2) Alle Aufzeichnungen der Bundesregierung betreffend nicht identifizierter anomaler Phänomene sollten a priori als offenzulegen angesehen werden und alle Aufzeichnungen sollten in weiterem offengelegt werden, um der Öffentlichkeit zu ermöglichen, sich umfassend über die Geschichte des Wissensstandes und die Beteiligung der Regierung in Sachen nicht identifizierter anomaler Phänomenen zu informieren.
(3) [Neue] Gesetzgebung ist erforderlich, um einen erzwingbaren, unabhängigen und rechenschaftspflichtigen Prozess für die öffentliche Offenlegung solcher Aufzeichnungen zu schaffen.
(4) [Neue] Gesetzgebung ist erforderlich, weil glaubwürdige Beweise und Zeugenaussagen darauf hindeuten, dass Aufzeichnungen der Bundesregierung über nicht identifizierte anomale Phänomene existieren, die nicht freigegeben wurden [obwohl nach bestehender Gesetzgebung verpflichtend].
(5) [Neue] Gesetzgebung ist erforderlich, da sich das "Informationsfreiheitsgesetz" [als unzureichend erwiesen hat].
(6) [Neue] Gesetzgebung ist zur Wiederherstellung der ordnungsgemäßen Aufsicht über Aufzeichnungen nicht identifizierter anomale Phänomene durch gewählte Amtsträgern sowohl in der Exekutive als auch Gesetzgebungsorgane der Bundesregierung, an der es [bis dato] gefehlt hat, erforderlich.
(7) [Neue] Gesetzgebung ist erforderlich, um der Bundesregierung vollständigen und zeitnahen Zugriff auf alle gewonnenen Erkenntnisse bezüglich nicht identifizierter anomaler Phänomene zu gewähren, im Hinblick auf die Förderung umfassender offener wissenschaftlicher und technologische Forschung und Entwicklung [(...)]
(b) Zwecke – Die Zwecke dieses Titels sind
(1) die Schaffung einer [UAP-]Aktensammlung in der "National Archives and Records Administration"
(2) die zügige öffentliche öffentliche Übermittlung an den Archivar und die öffentliche Offenlegung von solcher Akten zu verlangen

Sensationelle Definitionen

Im nächsten Abschnitt (3) werden alle Bestandteile des Gesetzes definiert, zum Beispiel Archivar. Für unsere Zwecke sind allerdings folgende Definitionen besonders interessant (meine Hervorhebungen):

(2) Close Observer – Der Begriff ["naher Beobachter"] bezeichnet jeden, der sich in unmittelbarer Nähe nicht identifizierter anomaler Phänomene oder nicht menschlicher Intelligenz befunden hat. [(…)]
(10) Legacy-Program – Der Begriff ["Traditions-Programm"] bezeichnet alle Bemühungen der Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung, der kommerziellen Industrie, des akademischen und privaten Sektors, Technologien unbekannter Herkunft zu sammeln, zu nutzen oder rückzubauen ("reverse engineer") oder biologische Beweise lebender oder verstorbener nicht menschlicher Intelligenz zu untersuchen, die vor dem Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes liegt. [(…)]
(12) Non-Human Intelligence – Der Begriff ["nicht-menschliche Intelligenz"] bezeichnet jede empfindungsfähige, intelligente, nicht menschliche Lebensform, unabhängig von ihrer Natur oder ihrem endgültigen Ursprung, von der angenommen werden kann, dass sie für nicht identifizierte anomale Phänomene verantwortlich ist oder die der Bundesregierung [sonstwie] bekannt geworden ist. [(…)]

Diese Passage spricht für sich selbst.

(18) Technologies of Unknown Origin – Der Begriff ["Technologien unbekannter Herkunft"] bezeichnet alle beschädigten Materialien oder Metamaterialien, Auswürfe, Unfalltrümmer, Mechanismen, Maschinen, Geräte, Bauteile oder Unterbauteile, technische Modelle oder Prozesse, intakte Luft- und Raumfahrzeuge sowie beschädigte oder intakte Meeresoberflächen- und Unterwasserfahrzeuge, die mit nicht identifizierten anomalen Phänomenen in Zusammenhang stehen oder Wissenschaft und Technologie beinhalten, die nicht mit prosaischen Erklärung oder bekannten Mitteln menschlicher Herstellung erklärt werden können. [(…)]

Diese Definition schafft noch eine deutlichere Klarheit als der zuletzt vorgebrachte Gesetzestext.

(21) Unidentified Anomalous Phenomena
(A) Allgemein: Der Begriff ["nicht identifizierte anomale Phänomene"] bezeichnet jedes Objekt, das im Weltraum, in der Atmosphäre, auf Meeresoberflächen oder unter Wasser betrieben wird oder als funktionsfähig eingeschätzt wird und dessen Leistungsmerkmalen und Eigenschaften, nicht durch bisher allgemein anerkannter physikalischer Prinzipien prosaisch erklärt werden können.
Nicht identifizierte anomale Phänomene unterscheiden sich [von herkömmlichen] Objekten durch eine oder mehrere der folgenden Observablen [etwa: beobachteten Phänomene]:
(i) Unmittelbare Beschleunigung ohne scheinbare Trägheit
(ii) Überschallgeschwindigkeit ohne thermische Signatur und Schallstoßwelle
(iii) Transmediale Übertritte (z. B. Weltraum-Boden und Luft-Unterwasser-Übertritte)
(iv) Positiver Auftrieb im Gegensatz zu bekannten aerodynamischen Prinzipien
(v) Multispektrale Signaturkontrolle
(vi) Physikalische oder invasive biologische Auswirkungen auf nahe Beobachter und die Umgebung

Dieser Gesetzestext basiert auf die bereits in der Forschung üblichen sogenannten "Five Observables" und fügt noch physikalische und medizinische Auswirkungen hinzu.

(B) Inclusion ["Eingeschlossen"] – Der Begriff "nicht identifizierte anomale Phänomene" umfasst das, was zuvor beschrieben wurde als:
(i) Flugscheiben ("flying discs")
(ii) fliegende Untertassen ("flying saucers")
(iii) nicht identifizierte Luftphänomene [=alte Bezeichnung für UAP]
(iv) nicht identifizierte Flugobjekte ["unidentified flying objects"] (Ufos)
(v) nicht identifizierte untergetauchte Objekte ["unidentified submerged objects"] (Usos).

Wieder klare Worte. Alles, was früher unter welchem Begriff auch immer mehr oder weniger stigmatisiert und belächelt wurde, wird nun ernsthaft in die Untersuchung mit einbezogen.

Schaffung neuer Behörden

In weiterer Folge wird die Schaffung eines neuen Amtes zur Archivierung von UAP-Daten beschrieben, in allen bürokratischen Details, mit der ultimativen Aufforderung an sämtliche Regierungsabteilungen, alle ihnen bekannte (auch historische) Informationen und Daten innerhalb von 60 Tagen nach dem Inkrafttreten (beziehungsweise nach Bekanntwerden neuer Erkenntnisse) an das neue Amt zu übermitteln. Dieses soll dann innerhalb von 30 Tagen und nach interner Überprüfung alles der Öffentlichkeit freigeben, das nicht unmittelbar der militärischen Geheimhaltung unterliegt. Sogar die Kosten für das Kopieren dieser Daten werden fixiert.

Besonders wichtig ist, dass festgelegt wird, dass alle Informationen der Aufsicht beider Häuser des Kongresses unterstellt werden. Etwas, das bisher eben offenbar nicht der Fall war. Ebenso eine periodische Berichterstattung. Die Ausschlussgründe, etwas nicht freizugeben, werden ebenfalls definiert, und zwar sehr eng. Alles, was die nationale Sicherheit nicht unmittelbar bedroht, muss freigegeben werden.
Es finden sich noch viele interessante Details, und ich ermutige jeden, der sich für derlei legistische Spielereien interessiert, bei denen der Teufel oft im Detail liegt, das Gesetz selbst durchzulesen.

Anschließend wird als eigene Behörde die Schaffung eines Prüfungsausschusses ("review board") beschlossen und ebenfalls in allen Details beschrieben. Als minimale Besetzung wird Folgendes festgelegt (zur besseren Lesbarkeit hier nur in der männlichen Form, aber natürlich sind alle Geschlechter gemeint): ein aktueller oder ehemaliger nationaler Sicherheitsmitarbeiter; ein aktueller oder ehemaliger Auslandsdienstmitarbeiter; ein Wissenschafter oder Ingenieur; ein Wirtschaftswissenschafter; ein Historiker und ein Soziologe. Weiters werden neben Abstimmungsregeln und ähnlichen Interna auch regelmäßige Hearings bestimmt. Im Wesentlichen soll dieses Amt die Freigabe von Informationen an die Öffentlichkeit moderieren.

Enteignung!

Eine weitere brisante Passage findet sich in Abschnitt 10 "Disclosure of Recovered Technologies of Unknown Origin And Biological Evidence of Non-Human Intelligence" [Offenlegung geborgener Technologien unbekannten Ursprungs und biologischer Beweis für nicht menschliche Intelligenz]

22 (a) Ausübung des Enteignungsrechts ["Exercise of Eminent Domain"] – Die Bundesregierung besitzt im Interesse der Öffentlichkeit ein Enteignungsrecht über alle und jede geborgenen Technologien unbekannter Herkunft sowie biologischer Beweise für nicht menschliche Intelligenz, die sich derzeit im Besitz von Privatpersonen oder Körperschaften befinden.

Das ist eine gut platzierte und gut verborgene weitere Bombe. Wurde bisher in der Berichterstattung spekuliert, dass Regierungsagenturen sich damit rausreden könnten, dass sich etwaiges Material im Besitz von Privatpersonen oder privaten Firmen befindet und daher nicht zugänglich ist, wird dieser Argumentation hiermit der Boden entzogen. Alles, was "alien" ist, gehört der Regierung. Implizit auch Technologien und Erfindungen, die aus dem Besitz solcher Materialien hervorgegangen sind. Rechtsstreitigkeiten sind nach einem Bekanntwerden solcher Materialien, wenn es sie gibt, zu erwarten. Auch zwischen Firmen – aufgrund von potenziell unfairer und ungeregelter historischer Vergabe von Materialien an Konkurrenten.
Angehängt ist eine Whistleblower-Regelung, im Sinne von Zuckerbrot und Peitsche.
Der Prüfungsausschuss darf unter anderem auch vor Gericht gehen, um die Freigabe von zurückgehaltenen Informationen und Materialien zu erkämpfen. Der Kontakt mit anderen Ländern um solche Informationen zu erhalten, wird ebenfalls geregelt.

Fazit

Es ist eigentlich schwer in Worte zu fassen, was hier von niemand Geringerem als dem Senatspräsidenten vorgelegt wurde. Der Begriff "nicht identifizierte anomale Phänomene" kommt rund 120-mal im Text vor, der Begriff "nicht menschliche Intelligenz" 34-mal. Und ja, das ist nicht Science-Fiction oder eine detaillierte Anleitung für Rollenspieler, das ist ein US-Gesetzestext, der mit großer Wahrscheinlichkeit noch in diesem Jahr von Präsident Biden unterzeichnet werden wird. Was dann passiert, bleibt aktuell der Fantasie überlassen.

Und das Weiße Haus?

Vom Weißen Haus war in dieser Sache bisher noch nicht viel zu hören, obwohl der Präsident natürlich ultimativ dafür verantwortlich ist, wenn er diese Gesetze unterschreibt. Aufhorchen ließ gestern jedoch die Antwort an einen Reporter im Zuge einer Pressekonferenz durch den Kommunikationsdirektor des United States National Security Council und ehemaligen Konteradmiral John Kirby. Auf die Frage, ob denn UAPs tatsächlich eine ernsthafte Sorge und tatsächlich ein legitimes Thema der Regierung wäre, beantwortete der Sprecher, der sonst eher mit Fragen über die Ukraine konfrontiert ist, wenn auch sichtlich ein wenig unbehaglich, dass das tatsächlich so sei. In seinem kurzen weiteren Statement meinte Kirby, dass diese Phänomene bereits immer wieder die Übungen von Militärfliegern gestört hätten und dass es wichtig sei, herauszufinden, was sie denn nun sind, was immer sie auch sind; aber ja, absolut, es sei ein ernsthaftes Thema. Insgesamt eine Aussage, die über alles hinausgeht, was bisher vom Weißen Haus oder einem Sprecher des Weißen Hauses öffentlich zu diesem Thema gesagt wurde.

Anhörung

Damit nicht genug, haben es unermüdliche Abgeordnete des Repräsentantenhauses geschafft, eine öffentliche Sitzung in Sachen UAP noch vor der Sommerpause durchzuboxen. Am Mittwoch, dem 26. Juli, findet das Hearing statt, bei dem im Gegensatz zu vorhergehenden Anhörungen keine Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, sondern direkt Whistleblower und Augenzeugen zu Wort kommen sollen. Noch ist völlig unklar, was diese dort sagen werden (oder dürfen) und welche Konsequenzen das nach sich ziehen wird.
Dieser Blog wird jedenfalls berichten. (Harald Havas, 20.7.2023)