Ölgemälde von Ludwig van Beethoven.
Ludwig van Beethoven starb 1827 in Wien, von seinem Schädel sind heute nur mehr zwei Teile bekanntermaßen erhalten.
Beethoven-Haus Bonn

Ein spezielles Geschenk erhält die Medizinische Universität Wien wenige Monate nachdem eine weitreichende Genomanalyse zu Ludwig van Beethoven veröffentlicht wurde: Zwei Schädelfragmente, die mit dem famosen Komponisten in Verbindung gebracht wurden, kehren nach Wien zurück, wo Beethoven am 26. März 1827 starb. Am Donnerstag fand die offizielle Übergabe im Josephinum, dem medizinhistorischen Museum der Med-Uni, statt.

Der Schenker ist der US-Amerikaner Paul Kaufmann, der vor etlichen Jahren selbst nicht recht glauben konnte, in den Besitz derart prominenter Reliquien gekommen zu sein. Kaufmanns Urgroßonkel, der Wiener Arzt Franz Romeo Seligmann, war wohl auf nicht ganz legalem Weg an die Knochenstücke gekommen. Wenn es sich dabei überhaupt um Beethovens Schädelteile handelt, denn dies wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert. Viel Wirbel also um zwei Knochenfragmente, von denen man zumindest sagen kann, dass sie etwa sechs mal acht Zentimeter groß sind und vom Hinterkopf und der Stirn eines Menschen stammen.

Zwei Schädelfragmente und eine schwarze Metalldose zur Aufbewahrung
Die "Seligmann-Fragmente" sollen vom Schädel Ludwig van Beethovens stammen – nun gehören sie der Med-Uni Wien.
APA/EVA MANHART

Die Geschichte beginnt auf Beethovens Totenbett in der Schwarzspanierstraße 15 (das Haus steht nicht mehr). Als offizielle Todesursache galt die Wassersucht, heute würde man sagen: ein Ödem. Eine spezielle Form, die Aszites, entwickelt sich mitunter infolge einer Leberzirrhose. Aus heutiger Sicht dürften genetische Risikofaktoren, eine Hepatitis-B-Erkrankung und der übliche Alkoholkonsum dazu beigetragen haben.

Doch auch abseits der Todesursache hatte sich der Musiker gewünscht, man möge der Hörbehinderung, die sich etwa ab Mitte zwanzig entwickelte und verschlimmerte, nach seinem Ableben medizinisch auf den Grund gehen. Klare Ergebnisse brachte die Autopsie, bei der auch Beethovens Kopf aufgesägt und die Schädeldecke abgenommen wurde, in dieser Hinsicht aber nicht. Interessant ist dabei: Schon 1863 fehlten offenbar jene Knochen, die den Gehörapparat enthalten. Die Felsenbeine waren wohl links und rechts aus dem Schädel im Grab entfernt worden.

Zweifach exhumiert

Einer von Beethovens Ärzten, Johann Adam Schmidt, war auch Professor am Josephinum, der damaligen medizinisch-chirurgischen Akademie zur Ausbildung von Ärzten, sagt Markus Müller, Rektor der Med-Uni Wien. "Das Josephinum ist auch deshalb der richtige Ort für die Übernahme der Fragmente", im Vordergrund stehe auch der ethisch verantwortungsvolle Umgang mit menschlichen Überresten: "Es geht darum, die richtige Balance zwischen nachvollziehbarem öffentlichem Interesse und Respekt vor einem Verstorbenen zu finden."

Die Totenruhe blieb nicht lange ungestört: 36 Jahre nachdem Beethoven unter der Anteilnahme von tausenden Menschen auf dem Währinger Ortsfriedhof bestattet worden war, öffnete man das Grab. Die körperlichen Überreste wurden in einen Metallsarg umgelagert, damit sie besser konserviert werden. Gleiches geschah übrigens mit dem 1828 verstorbenen Franz Schubert, dem zweiten prominenten Komponisten, der dort beerdigt wurde. Nach ihm wurde der Park benannt, der sich heute auf dem ehemaligen Friedhofsareal befindet. 1888 holte man die Särge wieder hervor und versenkte sie elf Kilometer entfernt, in Ehrengräbern auf dem Zentralfriedhof.

Dem Protokoll zufolge dauerte die erste Ausgrabung Beethovens, 1863, acht Stunden. Man hatte Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die den Raub der Gebeine des Prominenten verhindern sollten. Direkt über dem Sarg befand sich deshalb eine Schicht Ziegelsteine. Von besonders großem Interesse waren die Schädel der Musikgenies, wobei jener von Beethoven bereits zersägt und in Einzelteile zerfallen war. In den folgenden Tagen wurden von ihnen Fotografien angefertigt und Gipsmodelle hergestellt, die Knochen genau vermessen. Alle Bestandteile der Skelette hätten wieder in den Särgen landen sollen – "nur die Haare Franz Schuberts, die sich bereits losgelöst vom Haupte und mit Erdtheilen vermischt vorgefunden hatten, sollten vom Bruder des Verstorbenen, dem sie gleich bei der Exhumirung übergeben worden waren, nicht zurückgefordert werden", heißt es im Protokoll.

Kritik an Echtheit

Romeo Seligmann war an den Untersuchungen beteiligt, er war nicht nur Arzt, sondern auch Medizinhistoriker und Anthropologe. (Zum Bruder hatte er übrigens Franz Seligmann, der als Chefarzt der legendären Novara-Expedition die einzige Weltumsegelung Österreichs begleitete.) Die Beethoven zugeschriebenen Schädelstücke, die später auch als Seligmann-Fragmente bezeichnet wurden, soll er bei der ersten Exhumierung des Körpers für Studienzwecke an sich genommen haben – und das dauerhaft. Sie wurden in der Familie weitervererbt und bis in die USA mitgenommen, wo sie bei seinem Nachfahren Paul Kaufmann landeten.

Paul Kaufmann, ein älterer Mann in dunklem Anzug, zeigt auf Knochenfragmente, die von Beethoven stammen sollen
Paul Kaufmann, der Erbe der Seligmann-Fragmente, bei der Übergabe der "Reliquien" an die Med-Uni Wien.
APA/EVA MANHART

"Wenn Romeo Seligmann zwei Knochen zurückbehalten hat, hat er gegen die Vereinbarung verstoßen", sagt der US-amerikanische Musikhistoriker William Meredith. Er ist Gründungsdirektor des Ira F. Brilliant Center for Beethoven Studies der San José State University, befasste sich ausführlich mit unterschiedlichen Aspekten von Beethovens Leben und hält die Erkenntnisse auf seiner Website fest. Er vertritt allerdings die Ansicht, dass die Seligmann-Fragmente nie Bestandteile von Beethovens Körper waren.

Jahrzehntelang gebe es bereits Missverständnisse um die beiden Knochen. Im Jahr 1987 veröffentlichten die Wiener Mediziner Hans Bankl und Hans Jesserer von der Uni Wien ein Buch, in dem sie das Stirnbein des Komponisten "falsch identifizierten", sagt Meredith gegenüber dem STANDARD. Immer wieder wurde in der Folge versucht, mehr über Beethoven, die Zusammensetzung und die Provenienz diverser Artefakte – darunter einige Haarsträhnen – herauszufinden.

Eine Untersuchung eines der Knochenfragmente aus dem Jahr 2005 lieferte ein erstaunliches Ergebnis: Der Knochen hatte extrem hohe Bleiwerte. Darauf deuteten die Röntgenfluoreszenzanalysen eines Labors der US-amerikanischen Energiebehörde hin, die allerdings nicht in einer wissenschaftlichen Publikation veröffentlicht wurden. Das lässt vermuten, dass die Person über einen längeren Zeitraum hoher Bleibelastung ausgesetzt war.

Spuren von Blei

Der Wiener Gerichtsmediziner Christian Reiter von der Med-Uni Wien argumentierte in Publikationen, dass die erhöhte Bleikonzentration sowohl in den Schädelfragmenten als auch in der sogenannten Hiller-Locke für die Authentizität der Knochen spricht. Beides soll von Beethoven stammen, die Hiller-Locke gilt als berühmteste Beethoven-Haarsträhne. Kurz vor dem Tod des Komponisten soll einer seiner Verehrer, der damals 15-jährige Ferdinand von Hiller, ihm die Strähne abgeschnitten und aufbewahrt haben.

Medaillon mit einer braun-grauen Haarlocke, daneben ein Schriftstück, das von Hillers Sohn Paul unterschrieben ist und die Echtheit attestieren soll.
Die berühmte Hiller-Locke hatte der junge Ferdinand von Hiller dem sterbenden Beethoven abgenommen.
William Meredith / Ira F. Brilliant Center for Beethoven Studies, San Jose State University

Der 2005 durchgeführten DNA-Analyse zufolge, die im Kontext der Bleiuntersuchung durchgeführt und nicht publiziert wurde, könnten die Haare und ein Schädelteil vom selben Individuum stammen. Besonders sicher sind die Ergebnisse aufgrund der vor 20 Jahren wenig entwickelten Methoden zur Untersuchung alter DNA aber nicht.

Darüber hinaus könne es zu einer derart hohen Bleikonzentration gekommen sein, weil ein Arzt womöglich bei einer Behandlung auf die toxische Substanz setzte. Diese Vermutung führte der Wiener Gerichtsmediziner 2021 in einer Studie und zuletzt im Podcast "Klenk + Reiter" aus. Er dürfte längerfristig bleibelastete Lebensmittel konsumiert haben, etwa Fische und Bleizucker-gesüßten Wein. In seinen letzten Tagen sorgte seine Lebererkrankung für starke Bauchschwellungen, sie wurden punktiert und Wasser abgelassen. Die Einstiche wurden mit einer Art Bleipaste verschlossen, was eine hohe Konzentration des giftigen Metalls – das zumindest auch antibakteriell ist – erklären könnte.

Weibliche DNA

Das Problem: Die Hiller-Locke, der man den hohen Bleigehalt attestierte, wurde in den jüngsten DNA-Analysen entzaubert. Sie wurde nicht von Beethovens Haupt geschnitten, sie stammte nicht einmal von einem Mann. Die Genomdaten, die vor wenigen Monaten veröffentlicht wurden, lassen auf eine Frau mit jüdisch-aschkenasischem Hintergrund schließen. "Die jüdische Frau, deren Haar sich in Hillers verschlossenem Rahmen befindet, war höchstwahrscheinlich Sophie Lion, die Frau von Hillers Sohn", nimmt Meredith an. Andere DNA-Proben mit hoher Plausibilität verrieten in dieser Studie außerdem, dass der Komponist der väterlichen Abstammung zufolge kein "echter" van Beethoven ist.

Gips und Ton, die beim Herstellen des Abdrucks zum Einsatz kamen, könnten laut Reiter sogar dazu geführt haben, dass der Schädel überhaupt in noch mehr Teile zerfiel und wohl in dieser Form in das neue Grab am Zentralfriedhof verfrachtet wurde. Man kann sich vorstellen, dass es bei einem Haufen zerfallener Schädelknochen vielleicht nicht auffiel, wenn zwei Fragmente fehlten, die sich der Arzt Romeo Seligmann nach seinen Messungen einbehielt.

Meredith ist in Sachen Schädelknochen anderer Ansicht. Klarheit hat seiner Ansicht nach bereits 2012 die Einschätzung von fünf US-amerikanischen Osteologen gebracht, die er selbst in einem Artikel veröffentlichte. Die Experten stimmten überein, dass die Schädelfragmente in Kaufmanns Metalldose nicht von Beethoven stammten: Das Knochenpuzzle würde nicht zu einem Schädel passen, der bei der Obduktion durchgesägt wurde. Reiter verglich zuletzt das Aussehen der Knochen mit der Replik eines Gipsabdrucks von 1863 und kontert, dass die Amerikaner einen unpassenden Vergleichsschädel für diese Einschätzung verwendet hätten. Die US-Wissenschafter beriefen sich aber auch auf Nebenhöhlenbefunde, die nicht passend seien.

Flucht aus Österreich

Der Musikhistoriker hat seine eigene Theorie, wenn sich herausstellt, dass das Genom der Knochen nicht mit dem Genom der "Hiller-Locke" übereinstimmt. "Romeo Seligmann benutzte die kleine Dose zur Aufbewahrung eines Beethoven-Knochens, von dem er einen Abguss machen wollte. Als er den Knochen zurückbrachte, behielt er die Box und nutzte sie später zur Aufbewahrung anderer Fragmente aus seiner umfangreichen Schädelsammlung aus aller Welt."

Schädelteile und Dose
Im hier unten liegenden Knochenteil sind mehrere Bohrungen zu erkennen: Das große Loch stammt von einer DNA-Analyse vor rund 20 Jahren, die kleineren Löcher dürften bei den neuen Probeentnahmen in Leipzig hinzugekommen sein.
APA/EVA MANHART

Seligmann habe seinem Sohn, dem Maler Adalbert Seligmann, wohl nie von der Dose erzählt. Dieser dürfte sie in hohem Alter in den 1940er-Jahren entdeckt und seinem eigenen Testament hinzugefügt haben. Aufgrund der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus flohen einige Familienmitglieder nach dem sogenannten "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland, so kamen die Schädelfragmente nach Frankreich und in die USA.

Prinzipiell gäbe es auch andere Erklärungsmöglichkeiten für die unterschiedlichen Studienergebnisse. Beim Pressetermin erläuterte Gerichtsmediziner Reiter auf STANDARD-Nachfrage, dass die Hiller-Locke womöglich genetisch schwierig zu untersuchen sei: Durch Sonnenlicht könne die enthaltene DNA beschädigt werden. Stattdessen könnten die Spuren eines weiblichen Familienmitglieds von Hiller darauf gelandet sein. Reiter, der durch seine lebhafte Erzählweise auf der Gerichtsmedizin Vorlesungssäle zu füllen weiß, malt mit seinen Worten ein Bild der Mutter von Ferdinand von Hiller. Nach der Heimkehr des fünfzehnjährigen Musikers mit einem Haarbüschel des verstorbenen Beethoven könne sie versucht haben, die Haare zur Aufbewahrung beisammenzuhalten und mit einem befeuchteten Daumen die Locke in Form gebracht haben. Inklusive einer Extra-DNA-Probe, nämlich ihrer eigenen.

Gerichtsmediziner Christian Reiter mit lebhafter Gestik
Gerichtsmediziner Christian Reiter referiert über die mutmaßlichen Schädelfragmente Beethovens.
APA/EVA MANHART

Eine aufregendere Theorie wäre, dass bereits vor Beethovens Bestattung andere Körperteile im Sarg deponiert wurden oder es bei den Umbettungen zu Unregelmäßigkeiten kam. Ob allerdings nach der Obduktion ein Schädel bestattet wurde, der ähnlich zersägt und seiner Gehörknochen beraubt wurde wie der Beethovens, ist fraglich.

Neue Proben

Für eine wohl endgültige Antwort auf die Authentizitätsfrage ist noch etwas Geduld nötig, sie wird aber bald geliefert. "Vor drei Tagen haben wir das Max-Planck-Institut in Leipzig besucht", sagt Erbe Paul Kaufmann. An diesem Institut wurden bereits die genetischen Haaranalysen durchgeführt, die im März veröffentlicht wurden. Die dort forschenden Expertinnen und Experten sind international renommiert für ihre Untersuchungen alter DNA. Nicht zuletzt arbeite dort auch Nobelpreisträger Svante Pääbo, wirft Reiter ein: "Das ist nicht irgendeine Küche, sondern das beste molekularbiologische Labor, das wir derzeit auf der Welt haben." Neu entnommene Proben sollen in einigen Monaten ein Ergebnis liefern.

Bis dahin müsse im Josephinum deutlich gemacht werden, dass die Objekte noch nicht authentifiziert wurden, sagt Meredith. Er hält sie aber für "ein sehr angemessenes Geschenk an das Museum zu Ehren von Romeo Seligmann". Reiter ist fest überzeugt von der Authentizität. Ob echt oder nicht: Selbst als medizinhistorischer Zankapfel hätte die Knochendose als Ausstellungsstück einen Platz verdient. (Julia Sica, 20.7.2023)