Die Großwildjagd war in der Altsteinzeit keineswegs dem Neandertaler oder dem modernen Menschen vorbehalten. Schon Homo heidelbergensis stellte im eiszeitlichen Europa mittelgroßen bis großen Beutetieren nach. Welche Waffen die Frühmenschen dafür verwendeten, verrät in besonders anschaulicher Weise der Braunkohletagebau von Schöningen im deutschen Niedersachsen.

Dort nämlich fanden Archäologinnen und Archäologen in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche unterschiedliche Speere, die auf ein Alter zwischen 200.000 und 400.000 Jahren datiert wurden, was darauf schließen lässt, dass sie einst von "Heidelberger Menschen" geschaffen und eingesetzt wurden.

Altsteinzeit, Homo heidelbergensis, Jagdwaffen
Homo heidelbergensis nutzt für die Jagd zahlreiche unterschiedliche Speere und Wurfhölzer.
Illustr.: Benoit Clarys

Effizientes Wurfgeschoß

Wie ausgefeilt und technisch hochstehend diese Waffen und damit auch die Jagdkultur damals schon waren, zeigte nun die Untersuchung eines der ungewöhnlicheren Schöninger Speere. Konkret geht es um ein beidseitig zugespitztes Wurfholz, das 77 Zentimeter lang ist. Vor drei Jahrzehnten wurde es gefunden und ist laut Datierung etwa 300.000 Jahre alt.

Schon auf den ersten Blick verblüfft die sorgfältige Holzbearbeitung der Waffe. Doch ein Team um Annemieke Milks von der University of Reading (Großbritannien) hat noch genauer hingesehen und rückte dem spitzen Stock mit hochmodernen Analysemethoden zu Leibe. Die nun im Fachjournal "Plos One" vorgestellten Ergebnisse belegen, dass die Holzbearbeitungstechniken der frühen Menschen viel weiter entwickelt waren, als man bisher vermutet hatte.

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Das beidseitig zugespitzte Wurfholz von 77 Zentimetern Länge war eine gut gepflegte, mit großer Sorgfalt hergestellte Jagdwaffe.
Foto: Volker Minkus

"Bumerang" gegen Rotwild und Hasen

"Die Entdeckung der Holzwerkzeuge hat unser Verständnis der frühmenschlichen Verhaltensweisen revolutioniert", sagte Milks. "Erstaunlicherweise verfügten diese frühen Menschen über die Fähigkeit, weit im Voraus zu planen. Sie besaßen ein ausgeprägtes Wissen über die Eigenschaften von Holz und setzten hochentwickelte Bearbeitungstechniken ein, die wir heute noch nutzen."

Der 1994 ausgegrabene doppelspitzige Wurfstock, den man nun im Forschungsmuseum in Schöningen besichtigen kann, wurde von Homo heidelbergensis höchstwahrscheinlich zur Jagd auf mittelgroße Beute wie Rot- und Rehwild verwendet. Aber auch kleineres Wild wie Hasen und Vögel, die sonst schwer zu fangen waren, konnte damit erlegt werden, vermuten die Forschenden. Eingesetzt wurde die Waffe wahrscheinlich ähnlich wie ein Bumerang und nicht wie ein moderner Speer. Mit einem Drall geworfen und im Flug rotierend, segelte das Wurfholz womöglich bis zu 30 Meter weit und traf dadurch – obwohl im Grunde ein Leichtgewicht – mit tödlicher Wucht auf sein Ziel.

Mehrere Bearbeitungsschritte

Ausgangsmaterial des ergonomischen Wurfgeschoßes war ein Fichtenast. Die Holzbearbeitung umfasste mehrere Schritte: Zunächst wurde die Rinde abgezogen und der Ast in eine aerodynamische Form geschnitzt. Anschließend ließ man ihn gut durchtrocknen, um Risse und Verformungen zu verhindern. Der größte Teil der Oberfläche wurde weiter zurechtgeschabt und schließlich für eine leichtere Handhabung glattgeschliffen.

Durch die sorgfältige Bearbeitung und die Gebrauchsspuren, die auf eine lange Nutzungsdauer schließen lassen, erweckt die Waffe den Eindruck, als habe es sich um ein Stück persönliche Ausrüstung gehandelt, schreiben die Wissenschafter. Nichts weist darauf hin, dass man es mit einem schnell hergestellten Werkzeug zu tun hat, das achtlos weggeworfen worden war.

Auch für Kinder geeignet

"Diese kleineren Wurfstöcke waren möglicherweise leichter zu schleudern als schwerere Speere", sagte Milks. "Das deutet auch darauf hin, dass sich die ganze Gemeinschaft an der Jagd beteiligt hat. Solche Waffen könnten durchaus auch von Kindern benutzt worden sein, während sie das Werfen und Jagen lernten."

Das und die Tatsache, dass das Wurfholz neben vielen anderen Speeren an einem einstigen Jagdlagerplatz zwischen den Überresten von mindestens 15 Pferden gefunden wurde, verrät den Wissenschaftern, dass Homo heidelbergensis nicht nur eine ausgeprägte Kultur der Werkzeugherstellung besaß, sondern auch gemeinschaftlich auf die Jagd ging, um für die Ernährung der Gruppe zu sorgen. (Thomas Bergmayr, 20.7.2023)