Wolfgang Fleischhacker, Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck, schreibt in seinem Gastkommentar über Maßnahmen gegen den Ärztemangel, "die mit gutem Willen relativ rasch realisierbar wären" – und darüber, was nicht hilft.

Was können Medizinunis zur Optimierung der Gesundheitsversorgung beitragen, und was nicht? Mehr Studierende aufnehmen, ist die vermeintlich einfachste Antwort, zuletzt vehement vertreten durch den Wiener Stadtrat Peter Hacker im STANDARD-Interview , unterstützt durch eine Reihe anderer (Gesundheits-)Politikerinnen und Politiker aus den Bundesländern. Alle folgen sie dem gleichen Muster: Schuldzuweisungen an die Wissenschafts- und Gesundheitsminister, die Rektoren, die Ärztekammer, die Österreichische Gesundheitskasse und andere. Plausible Vorschläge, die sie selbst im eigenen Bundesland umsetzen könnten, fehlen praktisch durchgehend. In der Psychologie nennt man dieses Phänomen Schuldumkehr.

Nun hat erst vor kurzem der EU-Abgeordnete Othmar Karas davor gewarnt, "einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben". Das hat wohl auch Hacker zu seiner Maxime erhoben, er zitiert es kürzlich im ORF -Mittagsjournal und argumentiert jetzt für ein "Abrüsten in der Wortwahl" und spricht einer "vernünftigen Diskussion" über die gesamte Gesundheitsreform das Wort. Auch "hysterische Diskussionen" zum Thema möchte er nicht mehr führen. Ist hier ein Saulus zum Paulus konvertiert? Dieser neuen Gesprächsebene schließe ich mich gerne an und möchte somit als einer der angesprochenen Rektoren zur "vernünftigen Diskussion" beitragen.

Ärztinnen Ärzte Gesundheit Mangel Versorgung
Seit längerem wird über den Ärztemangel debattiert. Gibt es den wirklich? Oder liegt das Problem ganz woanders?
Heribert Corn

Um nicht selbst in die Falle, eine einfache Antwort auf eine komplexe Frage zu geben, zu tappen, sind im Folgenden nur vier wichtige Gründe genannt, warum eine Erhöhung der Zahl Medizinstudierender weder kurz- noch mittelfristig hilfreich ist. Erstens rangiert Österreich schon jetzt in Bezug auf die Zahl von Ärztinnen und Ärzten im EU-Spitzenfeld. Zweitens wären zusätzliche Studierende selbst im Falle einer Mindeststudien- und Ausbildungsdauer frühestens in elf Jahren eigenverantwortlich im Gesundheitssystem verfügbar. Drittens könnte bei einer Verdoppelung der Studierenden, wie kürzlich vom SPÖ-Klubobmann Philip Kucher gefordert, keine öffentliche Medizinuni beziehungsweise medizinische Fakultät eine qualitativ hochwertige, forschungsgeleitete Lehre garantieren. Zuletzt würde eine Verdoppelung der Studierenden eine enorme Kostensteigerung bedeuten.

Was aber können Medizinunis darüber hinaus beitragen, dass sie jetzt schon die Ärztinnen und Ärzte ausbilden, die unser Gesundheitssystem in Zukunft tragen werden? Unis sind in der Lage, relativ rasch auf geänderte Bedürfnisse zu reagieren, beispielsweise durch Adaptierungen von Studienplänen, um sogenannte Mangelfächer mehr in den Fokus des Interesses der Studierenden zu bringen. Dies ist zuletzt für die Allgemeinmedizin realisiert worden. Zukünftige Herausforderungen, wie zum Beispiel die Rolle im öffentlichen Gesundheitsdienst, die Bedeutung der Gesundheitsökonomie oder Aspekte der Praxisgründung, können schon während des Studiums stärker beleuchtet werden. So ist in Innsbruck schon jetzt ein Monat Tätigkeit in einer Allgemeinmedizinpraxis Pflicht im Klinisch-Praktischen Jahr (KPJ), das kann bei Interesse auf vier Monate ausgedehnt werden. Im Rahmen von Famulaturen und KPJ wird zudem der Kontakt mit den Lehrkrankenhäusern laufend intensiviert, auch das bereitet besser auf die Erfordernisse des späteren Berufslebens vor. Das sind nur einige Beispiele, die Unis autonom und schnell umsetzen können.

Kurzfristige Erfolge

Im Konzert mit Spitalsträgern gäbe es durchaus auch Möglichkeiten, die schon kurzfristig Erfolge zeitigen könnten. Dazu zählt die expeditive Anstellung von Absolventinnen und Absolventen, damit diese nicht schneller verfügbare Stellen im Ausland annehmen. Im Krankenhaus sollten Ärztinnen und Ärzte so viel wie möglich von administrativen Aufgaben entlastet werden, damit sie sich auf ihre ärztlichen Kernkompetenzen konzentrieren können. Hier bewähren sich in vielen Staaten medizinische Dokumentationsassistentinnen und -assistenten.

Des Weiteren setzen sich alle Rektoren dafür ein, die neunmonatige Basisausbildung nach dem Studium, die große Redundanz mit dem KPJ aufweist, abzuschaffen. Diese ist ein erheblicher Wettbewerbsnachteil gegenüber Nachbarländern, wo sie nicht gefordert wird und daher junge Ärztinnen und Ärzte sofort mit der gewünschten Fachausbildung beginnen können. Nicht zuletzt könnten Medizinunis mittels ihrer wissenschaftlichen Kompetenz zur Erstellung von Ärztebedarfsstudien beitragen.

Alle hier genannten Maßnahmen, die mit gutem Willen relativ rasch realisierbar wären, würden wohl deutlich zu Attraktivität und Effizienz ärztlicher Tätigkeit in Österreich beitragen. All dies sind Beispiele, die keiner großen Systemänderungen bedürfen und die, regionalen Bedürfnissen entsprechend, einfach umgesetzt werden könnten. Vorschläge zu größeren Würfen, wie etwa einer Redimensionierung der stark föderalen Gesundheitspolitik, überlasse ich gerne den entsprechenden Expertinnen und Experten und dem politischen Weitblick.

Aus meiner Sicht, und da weiß ich mich im Einklang mit meinen Kollegen in Graz, Linz und Wien, bilden wir in Österreich eine ausreichende Zahl an hochqualifizierten und motivierten Ärztinnen und Ärzten aus. Wir müssten sie nur klug und umsichtig einsetzen. (Wolfgang Fleischhacker, 20.7.2023)