Festspiele
Der Chor aus Los Angeles und in der Mitte Regisseur Peter Sellars.
Borelli

Bevor die Welt nächste Woche bei den Salzburger Festspielen mit Opern oder Protesten "aus den Fugen" gerät, so der gedankliche Rahmen der diesjährigen Salzburger Festspiele, geht es in den "Himmel": Denn Olivier Messiaens großorchestrale Meditation Éclairs sur l’Au-delà hätte ursprünglich so heißen sollen. Sie wirft schließlich akustische Streiflichter auf das, was sich der gläubige Komponist unter dem Jenseits vorgestellt hat.

Das Werk wird bei der Eröffnung der Ouverture spirituelle in der Felsenreitschule zur farbprächtigen Kathedrale. Das SWR-Symphonieorchester, dessen Chefdirigent bis 2025 übrigens Teodor Currentzis heißt, lädt die markante akkordische Statik mit einer aus edlem Klang erwachsenden Intensität auf. Dirigent Ingo Metzmacher organisiert aber auch bei dynamischeren Lichterscheinungen prägnant. Ob Großstrukturen oder intime Streicherelegien, ob jener instrumental eingefangene Gesang der Vögel oder Gegenüberstellungen von Perkussion und Blech: Es strahlte diese Glaubensmusik bei aller Schwergewichtigkeit des Themas auch poetische Fragilität aus.

Moderne trifft Barock

Damit war bei der Ouverture spirituelle zum Thema Jenseits noch lange nicht alles gesagt. Von der Felsenreitschule ging es in die Kollegienkirche, wo die avantgardistische Glaubensemphase einer Sofia Gubaidulina auf den Barockkomponisten Heinrich Schütz traf. Gubaidulinas Sonnengesang lässt die wunderbar impulsive Cellistin Julia Hagen aufgewühlte Schmerzensarien vibratosatt und emphatisch ausreizen, während Franz von Assisis berühmter Text von "Bruder Sonne" und "Schwester Mond" vom Los Angeles Master Chorale und Dirigent Grant Gershon in quasi objektiver Form kultiviert gehaucht wird. Gubaidulina fordert auch Aktionismus. Hagen muss nebst perkussiven Ansätzen auf dem Cello auch Gong und Trommel betätigen. Nach diesen wie rituelle Handlungen wirkenden Ausflügen führt eine Art instrumentaler Zwitschergesang das Cello gleichsam himmelaufwärts.

Ebendort oben sind vielleicht schon jene, denen Regisseur Peter Sellars Heinrich Schütz’ Musikalische Exequien SWV 279–281 zugedacht hat. Ausgehend von der Tragödie, dass während der Isolation der Corona-Zeit der Abschied von Sterbenden bisweilen unmöglich war, inszeniert Sellars anhand der asketischen Schönheit dieser Musik zurückhaltende Abschiedsszenen.

Vom Dahinscheiden

Der Chor wird zur bewegten Gruppenskulptur, die emotionale Inhalte gestisch vermittelt. Der inspirativ etwas zurückhaltenden Verdopplung von Textpassagen durch pantomimische Ideen stehen eindringliche Momente gegenüber, die als Duette mit Dahinscheidenden angelegt sind. In deren Rollen schlüpfen die Chormitglieder langsam. So war es beim Startabend der Ouverture am Donnerstag schon fast Mitternacht geworden in der Kollegienkirche – wo es am Samstag mit dem Klangforum weitergeht. (Ljubisa Tosic, 21.7.2023)