Soziologin Sonja Dörfler-Bolt geht in ihrem Gastkommentar auf die niedrige Zahl der Väterkarenzen in Österreich ein und schreibt, wo es anzusetzen gilt.

Nach wie vor ist in Österreich die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern durch großes Ungleichgewicht gekennzeichnet. Maßnahmen der österreichischen Familienpolitik sind bisher bei der Aufhebung dieser Unterschiede nur eingeschränkt erfolgreich, obwohl seit Jahren die höhere Beteiligung der Väter an der Karenz politische Zielsetzung ist. Österreich zählt im internationalen Vergleich zu den Ländern mit geringer Beteiligung, und in den letzten Jahren ist sie sogar leicht rückläufig. Lediglich 3,8 Prozent aller Kinderbetreuungsgeld-Beziehenden waren im Mai 2023 männlich, genau zehn Jahre zuvor waren es 4,3 Prozent, wie aus der Monatsstatistik des Dachverbands der Sozialversicherungsträger hervorgeht.

Immer wieder wird von politischen Akteuren hierzulande der Begriff der "Wahlfreiheit" bemüht, um steuernde Eingriffe in die Karenzaufteilung abzuwenden. Doch inwiefern handelt es sich um eine echte Freiheit der Wahl? Untersuchungen zeigen, dass besonders lange, niedrig bezahlte Auszeiten in den ersten Lebensjahren des Kindes großteils von Müttern (und nicht Vätern) mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsniveau beansprucht werden. Offensichtlich kann Wahlfreiheit nicht als abstrakter Wert betrachtet werden, der losgelöst ist von einem größeren institutionellen, ökonomischen und kulturellen Rahmen.

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Der Anteil an Vätern, die in Karenz gehen, ist hierzulande denkbar gering. Warum ist das so? Und wie lässt sich das ändern?
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Kulturelle Normen und Einstellungen beeinflussen unser Verhalten. Während Mütter in Österreich von der Norm geprägt werden, möglichst anwesend und dem Kind zugewandt zu sein, wie schon die Soziologin Eva-Maria Schmidt an dieser Stelle festgehalten hat ("Die gute Mutter arbeitet freiwillig in Teilzeit – oder?"), sehen sich Väter mit der Norm konfrontiert, Ernährer der Familie zu sein. In Österreich wird das weibliche Zuverdienermodell mit einem männlichen Haupternährer nach wie vor präferiert, während in Schweden die Zustimmung für das Modell, dass beide Elternteile Teilzeit arbeiten, am größten ist.

Bestehende Normen

Das bedeutet infolge auch: Auf österreichischen Vätern lastet großer Druck, die finanziellen Ressourcen für die Familie bereitzustellen. Dies steht einer Väterbeteiligung an der Karenz selbstredend im Weg. Zusätzlich wollen Mütter die gesamte Karenz oftmals allein beanspruchen. Dieses Phänomen des "Maternal Gate Keeping" ist international gut erforscht und beeinflusst nach wie vor die Möglichkeiten von Vätern, Karenz zu beanspruchen.

Aus der Perspektive der Standardökonomie ließe sich argumentieren, dass die Geschlechterunterschiede bei der elterlichen Arbeitsteilung durch unterschiedliche Präferenzen begründet sind. Doch ignoriert ein solcher Erklärungsansatz die bestehenden Normen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Aus der Verhaltensökonomie wissen wir, dass Menschen dazu tendieren, zu sehr auf die Gegenwart zu achten und eine zu geringe Gewichtung auf die Langfristperspektive legen. Dies zeigt sich an der Situation von Müttern im späteren Leben, die gekennzeichnet ist von finanziellen Engpässen oder Abhängigkeiten. Die überwiegende Mehrheit der Väter andererseits hat den großen Wunsch, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, wovon diese in ihrer sozialen, emotionalen, psychischen und kognitiven Entwicklung profitieren. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass weder Väter noch Mütter für sich die Wahl zwischen Familie und Erwerb vollständig optimal und frei treffen. Diese Erkenntnisse können als Rechtfertigung für staatliche Eingriffe im Hinblick auf eine Erhöhung der Väterbeteiligung herangezogen werden.

Eine EU-Richtlinie soll nun auch in Österreich ab Herbst 2023 dazu führen, solche staatlichen Eingriffe umzusetzen: Zwei Monate der arbeitsrechtlichen Karenz werden ein unübertragbares individuelles Recht für Väter. Derzeit befindet sich der Gesetzesentwurf in einer Begutachtungsphase. Bisher kann Karenz maximal bis zum zweiten Geburtstag des Kindes beansprucht werden, unabhängig davon, ob sich der Vater beteiligt. Durch die Einführung einer "Väterquote" wird das mancherorts beschworene Schreckgespenst der "Verpflichtung" Realität, oder anders betrachtet, wird ein Kinderrecht auf beide Elternteile sowie ein Väterrecht auf Teilhabe am Familienleben gestärkt.

Wesentliche Aspekte

Drei wesentliche Aspekte sind ausschlaggebend dafür, dass diese Väterquote eine Erhöhung der väterlichen Beteiligung mit sich bringt: Erstens gibt es den moralischen Beweggrund dem Kind gegenüber, das elterliche Betreuungszeit verliert, wenn der Vater die Karenz nicht beansprucht. Zweitens werden die individuellen Verhandlungen mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern erleichtert. Die Väterquote hat hier die Funktion, Grenzen in der Arbeitswelt für das väterliche Engagement zu ziehen, und zwingt Unternehmen, Männer als Väter mit Betreuungsverantwortung wahrzunehmen. Und drittens entfallen dadurch die Ausverhandlungen mit der Partnerin (Stichwort Maternal Gate Keeping), weil der Staat über die Quote quasi vorverhandelt.

Die österreichische Bundesregierung hat sich bei der Umsetzung der EU-Richtlinie an den MindestStandards orientiert. Ambitionierter wäre es, mindestens sechs Monate gut bezahlter Karenz für den Vater zu reservieren. Eine wichtige Voraussetzung für eine erhöhte Inanspruchnahme durch Väter ist auch eine möglichst hohe finanzielle Unterstützung. Dies würde eine Gesamtreform des Karenz- und Kinderbetreuungsgeldsystems erfordern. Angesichts der zunehmenden Komplexität und Undurchschaubarkeit der Regelungen wäre das auch durchaus zu begrüßen. (Sonja Dörfler-Bolt, 22.7.2023)