7 Sünden Tiroler Volksschauspiele
Gerti Drassl spielt ihre Rollen als keifende Großmutter ("Habgier") und von der Trägheit Umgarnte (oben) herausragend. An ihrer Seite Bernhard Bettermann.
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Was ist Sünde und was nicht? Im globalen Dorf ist alles schrecklich unübersichtlich geworden, auch auf den moralischen Kompass scheint kaum mehr Verlass. Da hilft der Rückzug in die Bauernstube, wo die Tugend noch verlässlich im Herrgottswinkel wacht und die Sünde im Ofenfeuer lodert. Es ist Volksschauspiele-Veteran Felix Mitterer, der aus dem Blick ins Kleinhäuslerische den Bogen zum Kapitalismus zu schlagen weiß.

Die Schwammerlhabgier

In seiner Miniatur über die "Habgier" geht es hinaus zum Schwammerlsuchen in den Wald, wo eine urwüchsige Tiroler Sippschaft den Hals nicht vollkriegt, obwohl Körbe und auch Kühltruhen schon überquellen. Doch keinesfalls sollen Pfifferling und Steinpilz den als "Walsche" geschmähten Italienern überlassen werden, dann will man sie doch lieber selbst zu Geld machen. Allerdings purzeln am Schwammerlmarkt die Preise, weshalb sich die Großmutter wieder eine "Reaktorkatastrophe" herbeiwünscht. Gerti Drassl gibt diese keifende Alte umwerfend komisch, und es ist nicht ihr einziger großer Auftritt.

Als Dietmar Schönherr, Kurt Weinzierl, Otto Grünmandl und all die anderen prominenten Gründerväter der Tiroler Volksschauspiele sich im Sommer 1981 zusammenfanden, um das Volksstück zu erneuern, griffen sie zu einem finsteren Stoff: In seinem Einakterzyklus Die sieben Todsünden ließ Franz Kranewitter die menschlichen Laster mit realistischem Furor durchs bäuerliche Leben wüten, ohne sich dabei als Bußprediger zu verstehen. Für Reue ließ er all den Ermordeten, Mordenden oder dem Irrsinn verfallenen Dörflern gar keine Zeit.

Prolog als Groteske TV-Show

Im Gegensatz dazu kratzt die am Donnerstag in Telfs uraufgeführte Neufassung 7 Todsünden durchaus auch an der Läuterung, etwa wenn es in Uli Brées recht flachem Versuch über die "Völlerei" ein Jedermann-Epigone (Klaus Rohrmoser) vor den Bergen an Kaviar und Hummer erzittert, die er einst verspeist hat und die ihm in der Stunde seines Todes erscheinen.

Bevor das alles geschieht, werden aber erst einmal Sprengsätze in Stellung gebracht. Gregor Bloéb, neuer Volksschauspiele-Intendant und Regisseur, inszeniert den von Hubert Sauper und Johannes Schmiedl geschriebenen Prolog als ins Groteske überzeichnete Fernsehshow mit "Tutti-Frutti"-Gedächtnis-Nackedeien (Kostüme: Lane Schäfer).

7 Sünden Tiroler Volksschauspiele
Klaus Rohrmoser diskutiert als schmieriger Talkmaster über die Freiheit des Einzelnen.
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Freiheit des Einzelnen? Meinungsrandale!

Rohrmoser steigt als schmieriger Talkmaster mit einem Vertreter von Hobby-Landminen-Verlegern und einer Menschenrechtsaktivistin in den Ring. Wieviel Freiheit des Einzelnen ist einer Gesellschaft zumutbar? Meinungsrandale im Dienst von Klicks und Quote unbedingt erwünscht! Das taugt durchaus als Persiflage auf die Polarisierung im öffentlichen Diskurs, doch über ein aufgetakeltes Abbild dieses Minenfelds versucht man hier gar nicht erst hinauszukommen.

Dafür ragt als eine Art moralisches Gerüst das aus rotem Gestänge gebaute Bühnenbild von Volker Hintermeier vor imposanter Bergkulisse in die Höhe, und die Glocke der Wallfahrtskirche läutet effektvoll die Stunde der nun anschließenden Sündenrevue ein. Neben Mitterer, Brée und Sauper haben sich auch Calle Fuhr, Helena Adler, Lisa Wentz und David Schalko je ein Laster vorgeknöpft, und Marie Stockhausen rückt dem "Neid" in einem eindrucksvollen Tanz zu Leibe.

Kein großes Ganzes

So richtig will daraus – trotz hervorragender Begleitband unter der Leitung von Matthias Jakisiè – aber kein großes Ganzes werden, was auch an der hohen qualitativen Schwankungsbreite der aneinandergereihten Minidramen liegen mag. Bisweilen kippt der Abend gar in Richtung Sketchparade, die "Wolllust" (basierend auf Schalkos Erzählung Cowboys) gerät zum Klamauk, Gerald Votava als abgehalfteter Countrysänger im Glitzeranzug sorgt dennoch für Gejohle im Publikum.

Ein Highlight bietet dagegen Helena Adlers Auseinandersetzung mit einem Gnom namens "Trägheit", der sich wie eine todbringende Krankheit um Gerti Drassl schlingt, die hier an der Seite von Bernhard Bettermann auf die ganz stille Tour brilliert. Aus dem in wechselnde Rollen schlüpfenden Ensemble stechen außerdem Lisa Hörtnagl im "gerechten Zorn" und Heinz Weixelbraun als zynischer Komiker heraus. Vom Premierenpublikum gab’s für alle anhaltenden Applaus. (Ivona Jelčić, 23.7.2023)