Männer oben ohne in der Öffentlichkeit
Nackte Haut ist nicht gleich nackte Haut. Bei Männern geht selbst "Oben ohne" ohne sexuelle Belästigung.
IMAGO/Christian Ender

Es ist heiß. Und viele Mädchen und Frauen berücksichtigen bei der Wahl ihrer Kleidung neben der Überlegung, worin sie wohl am wenigsten schwitzen, noch einen anderen Aspekt: Worin werde ich wohl am ehesten in Ruhe gelassen, spare ich mir anzügliche Blick und Kommentare? Die Zahlen zu sexueller Belästigung zeigen allerdings, dass es vielmehr an Frauenfeindlichkeit, an der noch immer selbstverständlichen Objektifizierung von Frauen und einem tiefsitzenden Überlegenheitsdenken von Männern liegt – und nicht am Crop-Top. Laut einer Umfrage wurden drei von vier Frauen im Laufe ihres Lebens sexuell belästigt. Die "falsche" Kleidung ist nicht der Grund.

Doch auf Tiktok posten seit einiger Zeit junge Frauen ein angebliches Rezept gegen Catcalling, also sexuell anzügliches Nachrufen, das genau das suggeriert: Sie tragen ein sogenanntes Subway-Shirt. Das sind riesige T-Shirts mit Ärmeln bis zu den Ellenbogen, die über den Hintern reichen und sehr weit sind. Eine andere Variante des U-Bahn-Shirts ist einfach ein langes Hemd. Ein fragwürdiges Rezept.

Auf Tiktok präsentieren Userinnen zuletzt immer wieder ein fragwürdiges Konzept gegen Belästigung: Sich ein langes Shirt anziehen.

Tatsächlich geht das in die falsche Richtung, nämlich einmal mehr dorthin, was Frauen tun sollten, um nicht belästigt zu werden. Sie sollen sich doch bitte etwas anziehen. Sollen sie nicht. Denn kämen wir auf die Idee, die – zum Beispiel – Oberarme von jungen Männern zu kommentieren, weil sie sommerbedingt ein Muscle-Shirt tragen? Eben. Das macht keine Frau. Doch Männer tun das bei Frauen ständig. Ein Stück weit ist es verständlich, irgendetwas tun zu wollen, um Ruhe zu haben – wie eben ein weites T-Shirt anzuziehen. Denn eine Einzelne kann nun einmal nicht die Jahrtausende eingeübte Misogynie ausschalten. Und wer will schon ständig schlagfertig sein oder Fremden erklären, dass das so nicht geht – was in solchen Situationen sowieso meist ein erfolgloses Unterfangen ist. Kaum einer wird sagen: "Oh sorry, so habe ich das noch gar nicht gesehen, dass Sie sich dadurch erniedrigt, sexualisiert und auch bedroht fühlen. Kommt nicht wieder vor!"

Brachliegendes Potenzial

Doch genau auf ihnen, den Männern, sollte der Fokus liegen. Eine sehr gute Kampagne des Sozialministeriums zeigt, wie das gehen kann. Es sind Männer, die auf den Plakaten zu sehen sind, und damit wird vermittelt: Es ist auch ihr Problem. Sie echauffieren sich über das Verhalten ihrer Geschlechtsgenossen, sie sind genervt und ziehen Grenzen. "Sie hat nein gesagt, was verstehst du daran nicht?", steht unter einem streng dreinschauenden Mann im Lodenjanker. Ein anderer, etwas jüngerer sagt offenbar genervt zu seinem Gegenüber "Hey, es stresst so, wie du Frauen anmachst", und ein weiteres Sujet zeigt die Aussage "Frauenkörper kommentieren: Nicht ok, Boomer".

Die Kampagne
Die Kampagne "Mann spricht's an" läuft sei 2021. In den vergangenen Wochen waren viele Sujets wie dieses zu sehen.
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Das macht deutlich, wie viel an männlicher Agitation gegen sexuelle Belästigung brachliegt – und dass das nicht mehr normal sein sollte, nur weil es sie nicht unmittelbar betrifft. Ideen wie Subway-Shirts sind vielleicht ein gutgemeinter Versuch, auf das Problem aufmerksam zu machen. Die Adresse ist aber wieder die falsche: Frauen. Doch die Lösung liegt bei den Männern. (Beate Hausbichler, 25.7.2023)