Proteste in Israel
Protestierende in Tel Aviv.
IMAGO/Gili Yaari

Jerusalem/Wien – Nach dem Votum des israelischen Parlaments für eine umstrittene Justizreform haben sich die Proteste ausgeweitet. Die Ärztekammer hatte am Dienstag einen 24-stündigen Streik begonnen. Dieser wurde jedoch von einem Arbeitsgericht als nicht zulässig erklärt und verboten. Die Richter gaben damit am Dienstag einem Antrag der Regierung statt, wie israelische Medien meldeten. Das medizinische Personal muss nun einige Stunden nach Streikbeginn seine Arbeit wiederaufnehmen. Mehrere israelische Zeitungen erschienen am Dienstag aus Protest mit einer geschwärzten Titelseite und den Worten "Ein schwarzer Tag für die israelische Demokratie".

Oppositionsführer Yair Lapid bat Reservisten darum, sich entgegen einer Drohung zunächst doch weiter zum Dienst zu melden. Sie sollten die Einsprüche gegen die Reform beim Obersten Gericht abwarten. Eine davon war von der Anwaltskammer des Landes eingereicht worden.

64 zu null Stimmen

Die am Montag vom Parlament verabschiedete Vorlage betrifft das Gericht selbst. Die Knesset stimmte mit 64 zu null Stimmen für ein Kernstück der Justizreform der rechts-religiösen Koalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Der Passus nimmt dem Obersten Gericht die Möglichkeit, Entscheidungen der Regierung als "unangemessen" zu kippen. Die Opposition lehnt dies als einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz und als Einfallstor für Korruption und Machtmissbrauch ab. Die Regierung argumentiert hingegen, die Justiz mische sich zu sehr ein und bremse die Regierung aus. Vor der Abstimmung hatte die Opposition aus Protest die Knesset verlassen. Israels Parlament besteht aus einer Kammer, es gibt keine geschriebene Verfassung.

Edtstadler besorgt über Proteste

Österreichs Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat sich in einer ersten Reaktion auf die Verabschiedung eines wichtigen Teils der Justizreform vor allem über die Proteste besorgt gezeigt. Es sei "besorgniserregend, dass die Proteste zu eskalieren scheinen", sagte sie am Dienstag in Wien vor dem Sommerministerrat. Israel sei eine Demokratie, ein Parlamentsbeschluss sei gefallen, es gebe keine Alternative zur Rechtsstaatlichkeit. "Wir können uns von außen keine abschließende Meinung anmaßen", betonte Edtstadler. Man werde die Situation weiter beobachten.

Die Reform hat Israel tief gespalten. Einer vor der Abstimmung veröffentlichten Umfrage zufolge waren 46 Prozent der Israelis gegen die Reform, 35 Prozent befürworteten sie, und 19 Prozent waren unentschlossen. Auch die Wirtschaft ist betroffen. Direkt nach dem Votum verlor die Börse in Tel Aviv, und die Landeswährung Shekel gab zum Dollar nach. Die Gewerkschaft Histadrut hat mit einem Generalstreik gedroht. Während ausländische Investoren ihr Geld abziehen, haben 68 Prozent der israelischen Start-ups einer Studie zufolge Maßnahmen ergriffen, um Teile ihres Geschäfts außerhalb des Landes zu verlegen. Finanzminister Bezalel Smotrich versuchte am Dienstag im Armeeradio zu beschwichtigen. "Der Versuch, dies als das Ende der Demokratie darzustellen, ist einfach falsch", sagte er.

Die Pläne der Regierung belasten auch die Beziehungen zu den wichtigsten Verbündeten. Die US-Regierung nannte das Votum am Montag "unglücklich". Großbritannien rief Israel am Dienstag auf, die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten. Die Regierung in Washington hatte Netanjahu gedrängt, bei einer Justizreform einen breiten Konsens anzustreben. In monatelangen Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition gab es jedoch keine Einigung. Netanjahu war Ende Juni den Gegnern der Reform entgegengekommen und hatte den umstrittensten Teil der Reform fallengelassen. Dieser hätte es dem Parlament ermöglicht, Urteile des Obersten Gerichtshofs aufzuheben. (APA, 25.7.2023)