Die weißen Säcke, die ein Gabelstapler hochhebt, sind so schwer wie mehrere ausgewachsene Männer. Es sind Säcke voller Kleidung – T-Shirts, Hemden, Jacken und Schuhe, die Menschen nicht mehr brauchten und gespendet haben. Weiter hinten stehen Humana-Container in Reih und Glied nebeneinander. Sie haben soeben einen neuen Anstrich bekommen, der Lack glänzt.

Das Humana-Logistikzentrum ist eine Halle in der Perfektastraße im 23. Wiener Gemeindebezirk. Früher wurde die Kleidung aus den Containern hier sortiert. Das machen seit 2005 die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Anlage in Martin in der Slowakei. Die Männer, die hier arbeiten, verpacken die Kleidung in die Säcke und verladen sie auf Lkws, die sie nach Martin bringen.

Dass massenhaft alte Kleidung schlussendlich auf Landstrichen und Stränden in Afrika und Südamerika landet, war in den vergangenen Wochen wieder vermehrt Thema medialer Berichte. Die Kleidung allerdings, die in den Humana-Containern abgegeben wird, sei nirgendwo auf der Welt für Umweltverschmutzung verantwortlich, versichert der Verein. Man gehe sehr verantwortungsvoll mit der gespendeten Kleidung um.

Humana; Container; Kleidersammlung
2.083 Humana-Container stehen in Österreich. Die Kleidung, die dreckig oder kaputt ist, wird aussortiert. Der Rest – etwa zwei Drittel – verkauft oder gespendet.
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2.083 Humana-Container stehen in sieben österreichischen Bundesländern. 7.180 Tonnen Kleidung kamen dort im Vorjahr zusammen. Das ist circa so viel, wie in 718 mittelgroße Lkws hineinpasst. Was davon noch brauchbar ist, wo die Kleidung hingeht und ob Secondhand irgendwann bei allen "en vogue" sein wird, erklärt Henning Mörch, Geschäftsführer von Humana in Österreich.

STANDARD: Viele Menschen haben ein gutes Gefühl, wenn sie ihren Kleiderkasten ausmisten, alles in einen Sack packen und in einen Container werfen. Sie denken: Ich habe nicht nur ausgemistet, sondern damit auch noch Gutes getan. Ist das gute Gewissen berechtigt?

Mörch: Es ist ganz sicher berechtigt. Unserer Vereinszweck ist Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe. Unser Reinerlös, im Vorjahr waren es rund 850.000 Euro, fließt in Projekte in Angola, dem Kongo, Indien, Mosambik, Namibia und Südafrika. Zum Beispiel bilden wir Lehrer aus. Wir sehen, dass der Dorflehrer ganz zentral ist, weil er oft eine Autorität ist. Er kümmert sich um die Kinder, um die Eltern, sie kommen mit ihren Fragen zu ihm. Wir geben auch Unterricht für Kinder, die die Schule frühzeitig verlassen mussten, etwa um zu arbeiten. Oder engagieren uns bei der Bekämpfung von Krankheiten, wie HIV oder Malaria. Dabei geht es darum, die Menschen darüber aufzuklären, wie sie sich schützen können. Und zur Sicherung der Ernährung und Hilfe bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt Humana den Erhalt und Ausbau der kleinbäuerlichen Landwirtschaft.

STANDARD: Humana sammelte mit seinen Containern im Vorjahr 7.180 Tonnen Kleidung ein. Wie viel davon wird dann tatsächlich nochmals erfolgreich in Österreich verkauft und getragen?

Mörch: Das Umweltbundesamt hat eine Studie für uns durchgeführt und herausgefunden, wie sich die Qualität der Kleidung aufteilt. 23 Prozent entfallen auf Recycling, daraus entsteht also Neues, entweder Putzlappen oder Textilfasern. Rund zehn Prozent sind so kaputt oder verschmutzt, dass sie nur noch thermisch verwertet werden können. 67 Prozent, also zwei Drittel der Kleidung, sind für "Re-Use" geeignet. So nennen wir Kleidung, die wieder getragen werden kann. Diese Kleidung verkaufen wir entweder in unseren Shops in Österreich oder in anderen europäischen Ländern. Ein Teil davon geht auch nach Afrika.

STANDARD: Wie groß ist der Anteil?

Mörch: Von der gesamten Kleidung, die wir in Österreich sammeln, gehen knapp 25 Prozent nach Afrika. Und zwar immer nach dem konkreten Bedarf vor Ort zusammengestellt.

STANDARD: Erst kürzlich waren wieder vermehrt Berichte zu lesen, dass etwa in der chilenischen Atacama-Wüste massenhaft Kleidung liegt. Altkleidung wird aus Europa an lokale Händler verkauft, und was nicht brauchbar ist, wird in der Natur abgeladen. Auch in Afrika ist das offenbar der Fall. Wie stellen Sie sicher, dass das nicht passiert?

Mörch: Wir sind in Kontakt mit unseren Partnern im Globalen Süden, Humana in Afrika. Das ist wichtig, damit sie auch das bekommen, was sie benötigen. Ich habe unlängst bei einer unserer Schwesterorganisationen im Süden nachgefragt, wie viel es eigentlich ist, das sie nicht gebrauchen können. Die Antwort war: Es findet alles irgendeine Verwendung. Wenn es aus irgendeinem Grund nicht getragen wird, wird es weiterverarbeitet. Außerdem folgt der Prozess ja auch einer wirtschaftlichen Logik: Wenn man einmal etwas schickt, das der Empfänger nicht brauchen kann, wird er nicht wieder bestellen. Offensichtlich gibt es schwarze Schafe, das gibt es überall. Ich weiß aber nicht, wer diese sind. Sie repräsentieren auch ganz und gar nicht den ganzen Sektor der Altkleiderhändler in Europa.

STANDARD: Was braucht es, damit keine Kleidung in der Wüste landet?

Mörch: Man bräuchte vor Ort Strukturen, um die Kleidung zu recyceln und zu entsorgen, die schlussendlich doch nicht gebraucht wird. Sie gibt es auch in Afrika kaum. Das ist ein Problem. Wenn ein kleiner Händler den Müll in der Landschaft ablädt, jeden Tag, und andere das auch tun, hat man dort irgendwann eine Deponie.

STANDARD: Um wie viel Geld verkaufen Sie ein Paket Kleidung nach Afrika?

Mörch: Wir haben die Sortierung in Österreich 2005 eingestellt und senden somit keine Kleidung mehr direkt nach Afrika. Deshalb können wir das nicht genau sagen. Von den Sortierwerken in der Slowakei wissen wir jedoch, dass die Verkaufspreise jedenfalls unter den Kosten für die Sammlung und Sortierung in Europa liegen. Wir haben in den 90er-Jahren unseren Schwesterorganisationen in Angola, Mosambik, Malawi und Sambia in Summe rund 10.000 Tonnen gut sortierte Kleidung, Tropical Mix genannt, kostenlos zur Verfügung gestellt. Aber für den gesamten Betriebserfolg, der die Entwicklungszusammenarbeit finanziert, brauchen wir auch Erlöse.

STANDARD: Einige Länder, etwa Uganda, wollen aber nicht mehr mitspielen. Der Import schwäche die lokale Textilindustrie und führe zu Verarmung. Sollen wir nicht aufhören, unsere Kleidung dort hinzuschicken?

Mörch: Warum geht westliche Kleidung nach Afrika? Weil sich die Bevölkerung dort in den letzten 50 Jahren vervierfacht hat, es aber nie wirklich eine mitwachsende Industrie gegeben hat. Woher sollten die Menschen eigene Kleidung bekommen, wenn nicht importiert. Wenn man sagt: Es ist ethisch falsch Kleidung, hinzuschicken, jeder soll neue Kleidung haben, dann müssten wir dreimal so viel produzieren. Es gibt Länder, die den Altkleiderimporten bereits entsagt haben, zum Beispiel Südafrika. Sie importieren dann aus der Türkei und vor allem China. Ich höre oft aus Afrika: Secondhand in guter Qualität aus Europa ist ihnen lieber als Billigmode aus China.

STANDARD: Zurück nach Österreich. In Teilen der Bevölkerung ist Secondhand ja schon sehr angesagt. Andere haben große Vorbehalte. Wie überzeugt man sie?

Mörch: Das Image von Secondhand hat sich zum Teil schon geändert. Wir konnten das selbst beobachten: Wir haben in Wien seit 1986 unsere Shops. Wenn wir früher ein schönes Verkaufssackerl gemacht haben mit unserem Humana-Logo, dann haben das die Kunden nicht so gerne angenommen. Jetzt ist das anders.

STANDARD: Sie machen viel Marketing mit "Vintage", auch auf Instagram. Ist das eine erfolgreiche Strategie?

Mörch: Ja, sie ist erfolgreich, auch für die anderen Kategorien von Secondhand. Und bestimmt noch länger, weil jeder mittlerweile weiß, dass Mode eine Bedrohung für die Umwelt ist. Insbesondere den Jungen, die noch viele Jahre vor sich haben, ist bewusst: Wiederverwendung und Recycling sind die Zukunft. Sonst brauchen wir drei Planeten. Im Westen kaufen wir uns Kleidung, und wenn wir sie wieder weggeben, hat sie noch zwei Drittel ihrer Zeit vor sich.

STANDARD: Forschende zum Thema Kreislaufwirtschaft sagen: Allein mit Secondhand lässt sich nichts ausrichten, solange Fast Fashion gleichzeitig weiter an Bedeutung gewinnt. Wie gelingt der Umschwung?

Mörch: Fast Fashion ist das Ergebnis des Kapitalismus, wo es ausschließlich um Verdienst und Profit geht. Es geht nur darum, dass Kleidung modisch ist, die Qualität ist jedoch zweitrangig. Zum Glück hört man schon von vielen Seiten: Kauft gute Qualität, die lange hält. Information alleine reicht aber nicht. Die EU und die österreichische Politik sollen nun die Pläne für eine nachhaltige und im Kreislauf tätige Textilwirtschaft umsetzen. Sie sollte zum Beispiel die Hersteller in die Pflicht nehmen, auch für Recyclingmaßnahmen in Afrika. Es wäre auch wichtig, Wiederverwendung fördern, etwa indem man die Mehrwertsteuer auf Secondhand und Reparaturen senkt. (Lisa Breit, 1.8.2023)