Ein Mähdrescher fährt über ein Feld in der Ukraine.
Die Erntesaison verschärft die Spannungen am Getreidemarkt zusätzlich.
IMAGO/Martin Wagner

Das Ende des Getreidedeals zwischen Russland und der Ukraine treibt auch osteuropäischen Landwirtinnen und Landwirten Sorgenfalten auf die Stirn. Weil der Abtransport von Raps, Weizen und Sonnenblumenkernen über das Schwarze Meer deutlich schwieriger wird, will die Ukraine ihre Waren vermehrt über Europa exportieren. Fünf osteuropäische Staaten fürchten nun, dass es zu einem Überangebot und einem Preisverfall kommen könnte.

Video: Kurz erklärt: Das Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine
AFP

Frage: Was tut die Europäische Union, um die Ukraine bei ihren Getreideexporten zu unterstützen?

Antwort: Seit dem Überfall Russlands darf die Ukraine ihr Getreide frei in die EU importieren. Der versperrte Zugang zum Schwarzen Meer habe das notwendig gemacht, hieß es damals in einer eilig verfassten Verordnung. Alle bestehenden Zölle und Beschränkungen fielen. Gleichzeitig richtete die EU-Kommission sogenannte Solidaritätskorridore ein, um die Blockade im Schwarzen Meer zu umschiffen. Ukrainische Agrarprodukte, die bislang vor allem im Nahen Osten und in Nordafrika landeten, sollten über europäische Häfen an der Ostsee, Nordsee und der Adria weitertransportiert werden.

Frage: Warum ist das ein Problem für Osteuropa?

Antwort: Anders als geplant blieben die Produkte häufig in den EU-Staaten hängen. Auf dem europäischen Markt konnten Händlerinnen und Händler deutlich mehr Geld verdienen. Vor allem osteuropäische Staaten, die selbst einen wichtigen Agrarsektor haben, fühlten sich von der neuen, billigen Konkurrenz bedroht – und verhängten im Frühjahr 2023 eigenhändig Importverbote, die wohl dem EU-Recht widersprechen.

Frage: Was hat die EU getan, um die osteuropäischen Staaten zu besänftigen?

Antwort: Die Europäische Kommission kam Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei entgegen, indem sie die Importstopps für Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkerne vorübergehend bestätigte. Zusätzlich unterstützte die EU die betroffenen Landwirtinnen und Landwirte mit insgesamt 153 Millionen Euro. Am 15. September sollen die vorübergehenden Importstopps nun auslaufen.

Frage: Wie geht es danach weiter?

Antwort: Darüber wird eifrig diskutiert. Polen argumentiert, dass sich die Situation aufgrund des nunmehr aufgelösten Getreideabkommens mit Russland verändert habe. Infolge der Auflösung würden nämlich noch mehr Agrargüter als ursprünglich gedacht Richtung Europa fließen. Regierungschef Mateusz Morawiecki pocht deshalb darauf, dass das Getreide auch weiterhin nicht nach Osteuropa importiert werden darf. Zudem droht er mit neuen eigenhändigen Importverboten, sollte die EU die Ausnahmeregelung nicht verlängern. Die Ukraine zeigte sich zuletzt empört: "Jede Verlängerung dieser Einschränkung ist absolut inakzeptabel und klar nicht europäisch", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj. Unterstützung bekam er vom deutschen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. "Geld aus Brüssel in Anspruch nehmen, aber gleichzeitig die Grenze schließen, das geht nicht", sagte er in Richtung Polen.

Frage: Was sagt Österreich?

Antwort: Aus dem Landwirtschaftsministerium heißt es auf Anfrage des STANDARD, dass Österreich eine Verlängerung der Importverbote kritisch sieht, weil der "freie Warenverkehr als Grundpfeiler der EU gewahrt werden sollte". Gleichzeitig müssen "die Drittlandsexportkapazitäten in der EU durch den Ausbau des Donau-, des Adria- und des baltischen Korridors" erhöht werden. Wird das ukrainische Getreide in die eigentlich vorgesehenen Destinationen nach Afrika und den Nahen Osten verschifft, würde das auch die osteuropäischen Staaten entlasten.

Frage: Und die Landwirtinnen und Landwirte?

Antwort: Im Frühjahr warnte die österreichische Landwirtschaftskammer, dass die ukrainischen Importe zu Marktverwerfungen und Preisrückgängen führen könnten. "Stabilität auf den Märkten ist von großer Bedeutung für unsere bäuerlichen Familienbetriebe, die nach wie vor mit sehr hohen Betriebsmittelkosten zu kämpfen haben", sagt Präsident Josef Moosbrugger nun auf Anfrage des STANDARD. Die EU-Kommission müsse zudem dafür sorgen, dass das Getreide seine eigentlichen Ziele in Afrika erreicht.

Frage: Ist ukrainisches Getreide wirklich verantwortlich für den Preisverfall?

Antwort: Die Getreidepreise sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen und befinden sich jetzt weltweit wieder in einer Abwärtsbewegung. "Wir wissen aber nicht, inwieweit die Preisrückgänge tatsächlich auf Lieferungen aus der Ukraine zurückzuführen sind", erklärte Franz Sinabell, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), dem STANDARD. Mit ein Grund für die sinkenden Preise dürfte eine Entspannung bei den Produktionskosten sein. "Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es ein großer Vorteil, dass uns die Ukraine beliefert", sagt der Experte. Die Mehlpreise sinken, das wirke sich dämpfend auf die Lebensmittelpreise aus. Den Bauern, die mit den Preisrückgängen umgehen müssen, sei damit freilich nicht geholfen.

Frage: Profitiert Russland von der Situation an den Getreidemärkten?

Antwort: Davon ist auszugehen. In einem Gastkommentar im STANDARD weist Sinabell darauf hin, dass Russland wohl bewusst Zwietracht innerhalb der Europäischen Union säe. In diesem Jahr werde die Ukraine kriegsbedingt nicht 19 Millionen Tonnen Weizen exportieren wie noch 2021, sondern bestenfalls halb so viel. Russland habe im Vorjahr dagegen nicht 19 Millionen Tonnen Weizen exportiert wie im Jahr 2014, sondern 46 Millionen, und das zu Preisen, die wegen des Kriegs doppelt so hoch waren. Wichtigste Zielländer sind die Türkei, Ägypten und Staaten in Zentralasien. Im laufenden Jahr wird Russland die Ausfuhren wohl weiter steigern und damit die Position als weltweit bedeutendster Exporteur ausbauen. (Jakob Pflügl, 27.7.2023)