Lisa-Maria Kellermayr
Der Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr liegt fast ein Jahr zurück.
APA/HERMANN WAKOLBINGER

Ein Jahr nach dem Tod der oberösterreichischen Landärztin Lisa-Maria Kellermayr kommt erneut Bewegung in den Fall. Die deutschen Behörden haben die Suche nach dem Täter wiederaufgenommen, der der Medizinerin vom Attersee in zwei Mails angekündigt hatte, sie und ihre Mitarbeiterinnen zu ermorden.

Auslöser waren neue Erkenntnisse, die die Wiener Filmemacherin Alexandra Venier für ihre Kellermayr-Dokumentation auf Puls4 recherchiert hatte. Demnach hat der Täter nicht nur die Ärztin, sondern auch den deutschen Anwalt Chan-jo Jun bedroht: Der in Würzburg ansässige Jurist ist einer größeren Öffentlichkeit durch Talkshow-Auftritte und Youtube-Videos bekannt, in denen er sich gegen Fake News und Internetkriminalität wendet. Ein forensischer Linguist und eine Profilerin analysierten die Drohmails, die an Jun und Kellermayr geschickt worden waren, und fanden deutliche Übereinstimmungen. Nach Einschätzung des Rechtsanwalts Jun hätten die deutschen Behörden noch neun Jahre Zeit, den Schreiber der Mails an Kellermayr zu finden: Da es sich in diesem Fall um Drohungen mit Todesfolge handele, läge der Strafrahmen bei bis zu zehn Jahren Gefängnis, entsprechend lange sei die Verjährungsfrist.

Das entsprechende Gutachten, das die Filmemacherin Venier den deutschen Behörden übergab, liegt dem STANDARD vor. In einem Schreiben der Berliner Generalanwaltschaft an Venier heißt es, man habe das Material an die Würzburger Justiz weitergeleitet. Möglicherweise hat der Täter noch weitere Menschen bedroht: Eine norddeutsche Zahnärztin berichtet in dem Film von ähnlichen Anfeindungen, die offenbar aus der rechtsextremen Szene stammen.

Interview mit IT-Expertin

Erstmals hat sich die deutsche IT-Expertin Ornella "Nella" Al-Lami von einem Fernsehteam interviewen lassen. Die Hackerin hatte Kontakt zu Kellermayr aufgenommen und versucht, den Schreiber der Drohmails zu finden. Al-Lami zufolge existieren noch Daten, mit denen der Täter möglicherweise identifiziert werden könnte. Die Rede ist unter anderem von einem Darknet-Provider, der nach Bekanntwerden der Causa Kellermayr entsprechende Daten aufgehoben hätte.

Grundlage für Veniers Filmprojekt war die Tonspur eines ausführlichen Interviews, das Kellermayr wenige Tage vor ihrem Tod für "Inside Austria" einsprach, den wöchentlichen Podcast von STANDARD und SPIEGEL. Das Gespräch hatte der deutsche Journalist Oliver Das Gupta aufgenommen, der in dem Film mit Venier den Fall Kellermayr abermals aufgerollt hat.

Kellermayr hatte der Landespolizei vorgeworfen, sie im Stich gelassen zu haben. Auch auf Bundesebene scheinen Zweifel an der Rolle der Linzer Kollegen aufgekommen zu sein – man entschied sich, selbst aktiv zu werden.

Mehrere Wochen vor Kellermayrs Tod wandte sich Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) in der Causa an die Direktion Staatsschutz und Sicherheitsdienst (DSN). Behördenchef Haijawi-Pirchner bestätigte nun auf STANDARD-Anfrage, dass ihn Karner gebeten hatte, sich um Kellermayr zu kümmern. Haijawi-Pirchner machte den Fall zur Chefsache und suchte mit der Ärztin nach einem positiven Ausweg aus ihrer Situation. So war Kellermayr etwa Schutz zugesichert worden, wenn sie ihre Ordination wiedereröffnet hätte. Doch die Angebote aus Wien erreichten die 36-Jährige zu spät. (red, 26.7.2023)