Der Literaturwissenschafter und Schriftsteller Klemens Renoldner kritisiert in seinem Gastkommentar den Intendanten der Salzburger Festspiele, der Gegnerinnen und Gegnern von Schwarz-Blau "kleinbürgerliche Logik" unterstellt.

Zuerst hat er sich wochenlang geweigert, ein Statement abzugeben. Er wollte das politische Desaster von Salzburgs rechtslastiger Koalition partout nicht kommentieren. Dann ließ er sich dazu hinreißen, den Schauspieler Cornelius Obonya medial abzuwatschen, weil der sich dem politischen Protest angeschlossen hatte. Die Stimmen gegen ihn, dass es ein Fehler war, sich ängstlich wegzuducken, wurden lauter. Aber Markus Hinterhäuser war gewarnt. Ja, es trifft zu, die "Zeit ist aus den Fugen", so das diesjährige Festspielmotto. Das erkennt man auch daran, dass der Intendant jetzt eine Kanonade von Interviews abfeuert. Egal welche Zeitung, welches Magazin man aufschlägt, egal ob Papier oder online, Hinterhäuser war schon da. Im anhaltenden Zwist um seine Person versucht er die Deutungshoheit zurückzugewinnen.

In den ungezählten Interviews erläutert der Intendant mit blumigen Worten das Programm der diesjährigen Festspiele. Schön. Zugleich lässt er uns aber in stereotyp wiederkehrenden Wendungen wissen, dass jede Person, die den Salzburger Landeshauptmann dafür kritisiere, dass der sich ohne Not mit Herbert Kickls Salzburger FPÖ-Team zu einer rechtsrechten Landesregierung zusammengetan habe, dies a) aus einem "sich selbst auf die Schulter klopfenden Aktionismus" tue und b) damit einer "kleinbürgerlichen Logik" folge.

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Die Salzburger Festspiele werden mit einem Festakt eröffnet.
APA/BARBARA GINDL

Was ist das eigentlich, ein "abgenutzter Aktionismus", der, laut Hinterhäuser, wie der "Pawlowsche Reflex" am Werk sei? Wir fragten Wikipedia, dort ist über Reflexhaftigkeit zu lesen: "Voraussetzung für das Auftreten von Reflexen ist die Fähigkeit eines Organismus, Wahrnehmungen zu machen, diese automatisch zu verarbeiten und in einem eben solchen Zusammenspiel von Sinnesorganen, Nerven und Muskeln auf spezifische Reize reizadäquate Reaktionen zu entwickeln (Reizbarkeit), die ihm ein eigenständiges Leben ermöglichen oder sichern." Tatsächlich, gewisse Menschen haben sich die Fähigkeit zu einer genaueren Wahrnehmung erhalten, sie lassen sich eigenständiges Leben und Denken nicht verbieten. Zu ihnen gehörte einst übrigens auch Markus Hinterhäuser, etwa als er im Jahr 2000 Gérard Mortier, den damaligen Festspiel-Intendanten, dringlich aufforderte, dessen Ablehnung gegen die Regierung von Wolfgang Schüssel öffentlich kundzutun.

Aber die Zeiten der Courage sind offenbar vorbei. Hinterhäuser weiß natürlich, dass die FPÖ den sozialen Zusammenhalt in diesem Land bedroht. Wer diese Partei mit Regierungsgeschäften beauftragt, unterstützt ihr Programm und hilft mit, autoritäres Gedankengut im Land zu vermehren und weiter gesellschaftsfähig zu machen. Nur, warum sagt er das nicht? Auch dafür hat er sich einen Stehsatz ausgedacht: Es müsse eine "politische Antwort" gefunden werden, "indem man einen aufrichtigen, klugen präzisen und, wenn notwendig, auch harten politischen Diskurs führt." ("ÖVP-FPÖ in Salzburg: Festspielchef kritisiert "abgenutzten Aktionismus", STANDARD 1.7.) Aber was ist sein Beitrag dazu?

Unverbindliches Konjunktivspiel

Die Frage ist vor allem, warum Hinterhäuser dies nicht auch von jenem Politiker verlangt, dem er unentwegt seine Reverenz erweist, nämlich von Landeshauptmann Wilfried Haslauer? Es wäre doch so leicht, vom Büro in der Hofstallgasse in den Chiemseehof hinüber, das sind lediglich 700 Meter. Das müsste zu schaffen sein! Aber Hinterhäuser zieht sich lieber mit einem unverbindlichen Konjunktivspiel aus der Affäre: Man müsste eigentlich, im Grunde sollte man, man könnte unbedingt, und das bitte gleich europaweit … ja, eh!

Ein Blick nach Deutschland würde genügen, um zu sehen, wie sich die Schwesterpartei CDU oft bis hin zu allen kuriosen Koalitionen anstrengt, nicht immer mit Erfolg, die AfD von verantwortlichen Ämtern fernzuhalten. Die Türkisen in Österreich aber agieren gegenteilig: Sie öffnen der FPÖ überall Tür und Tor. Da können all die Mahrers und Schallenbergs und Edtstadlers noch so oft erklären, dass sie den Kickl nicht so recht mögen. Sein Programm haben sie ohnehin schon übernommen. Apropos: Bei der AfD lautete der Slogan übrigens "Deutschland. Aber normal." Kommt einem irgendwie bekannt vor.

Bleibt dann noch die "kleinbürgerlichen Logik", von der in mehreren Interviews die Rede ist. "Kleinbürger", das war eines der beliebtesten Spottwörter der 68er-Generation. Damit wurden reaktionäre, bornierte, bigotte Spießer, die sich den notwendigen sozialen Reformen der Linken verschließen, gegeißelt. Interessant: Kleinbürger, die einen Protest gegen rechts formulieren? Und wer sind dann die anderen, sind das Großbürger? Sie sind jedenfalls leicht zu erkennen: Kein böses Wort gegen den heiligen Wilfried! Auch der sogenannte Kronprinz des Landeshauptmanns, ein türkises Junggenie aus der Ära von "Geilomobil" und "Projekt Ballhausplatz!", sei, so Hinterhäuser, voll super in Ordnung.

Keine Beruhigung

Solange Hinterhäuser die Welt auf den Kopf stellt, wird sich der Streit nicht beruhigen. Da helfen auch 1000 Interviews nicht. Denn für ihn sind nicht die Türkisen, die mit der FPÖ-Politik machen, der Skandal, sondern die miesen Kleinbürger, die sich erfrechen, dagegen zu protestieren. Verkehrte Welt! Wer den Protest gegen rechts lächerlich macht, folgt in "bemerkenswerter gedanklicher Schlichtheit" bloß dem türkisen Spin, der da lautet: Der Protest gegen uns Normale ist nicht normal. Diesen Unsinn musste sich kürzlich sogar der Bundespräsident bieten lassen.

Markus Hinterhäuser braucht sich nicht wundern, wenn ihn die "FAZ" vom "Gift der Salzburger Koalition" angekränkelt sieht oder wenn die "Salzburger Nachrichten" auf der Titelseite zur Festspieleröffnung fragen: "Wie feig ist der Intendant?"

Ob der Salzburger Intendant den Roman Mephisto von Klaus Mann kennt, 1936 erschienen, in der die Karriere des opportunistischen Schauspielers Hendrik Höfgen (das Vorbild war Gustaf Gründgens) erzählt wird? Dieser meint sich bekanntlich mit dem berühmten Satz retten zu können: "Ich bin doch nur ein Schauspieler!" (Klemens Renoldner, 27.7.2023)