Eine rote Signalleuchte steht vor dem Tower der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die EZB hat den Leitzins erneut nach oben geschraubt. Ein Ende der Zinsanpassungen ist nicht in Sicht.
APA/dpa/Andreas Arnold

Die EZB hat zum neunten Mal in Folge die Zinsen angehoben. Der Leitzins beträgt damit 4,25 Prozent. So hoch war der Leitzins zuletzt zu Beginn der weltweiten Finanzkrise Anfang Oktober 2008. Die aktuelle Erhöhung war erwartet worden. Die Inflation im Euroraum wird für Juni auf 5,5 Prozent geschätzt. Im Mai betrug sie noch 6,1 Prozent. Damit ist die Teuerung noch immer weit weg vom Ziel der EZB, die eine Inflation von zwei Prozent als Ziel hat.

Video: Kurz erklärt: Das bedeutet die EZB-Zinspolitik für Verbraucher.
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Durch die erneute Zinserhöhung verteuern sich viele laufende Finanzierungen, neue werden teurer. Die Inhaber von variabel verzinsten Krediten müssen also noch mehr für ihren Kredit bezahlen. Durch die gestiegenen Zinsen wird auch die Vergabe von Neukrediten zu höheren Tarifen erfolgen. Die Sparzinsen werden hingegen von den Banken nur mickrig erhöht. Ein Umstand, der von Konsumentenschützern laufend kritisiert wird. Denn mittlerweile erhalten Banken für Einlagen, die sie bei der EZB parken, selbst 3,75 Prozent.

Enorme Belastung für Haushalte

Die steigenden Zinsen werden immer mehr zur Belastung für die Haushalte. Denn hier kommen mehrere Themen zusammen. Wir erleben gerade den schnellsten Anstieg der Notenbankzinsen in der österreichischen Nachkriegsgeschichte, zudem bleiben die Immobilienpreise in Österreich weiter hoch bei rapide sinkenden
Realeinkommen, fasst das Vergleichsportal durchblicker.at die Lage zusammen. Die Immobilienexperten des Portals haben errechnet, dass die relativen Kosten für einen Wohnungsneukauf in Österreich seit dem Vorjahr regelrecht explodiert sind. Musste ein durchschnittlicher Doppelverdienerhaushalt zur Tilgung eines Kredits für eine 90-m²-Neubauwohnung in Wien jahrzehntelang um die 40 Prozent des Monatseinkommens aufwenden, wären es jetzt bereits fast 70 Prozent, wie eine aktuelle Analyse des Tarifvergleichsportals zeigt.

Eine Illustration zeigt einen Mann, der ein Haus auf seinem Rücken trägt. 
Die Finanzierungskosten für Inhaber variabel verzinster Kredite steigen weiter an. Damit wird für viele Haushalte ihr Eigenheim mittlerweile zur finanziellen Last.
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Ein neues Eigenheim in Österreich ist damit innerhalb eines Jahres de facto unfinanzierbar geworden. Das gilt
mittlerweile selbst für Besserverdiener. Immer mehr Haushalte, die in den vergangenen Jahren ein Eigenheim mit
einem variabel verzinsten Kredit erworben haben, geraten jetzt ins Schleudern.

90 Quadratmeter unleistbar

Für die Untersuchung hat sich Durchblicker die Preise für eine 90-m2-Wohnung in Wien-Landstraße und die damit verbundenen Kreditfinanzierungsraten von 1997 bis heute angesehen und dem monatlichen Nettoeinkommen eines durchschnittlichen Doppelverdienerhaushalts gegenübergestellt. Ein Wiener Durchschnittshaushalt müsste demnach mittlerweile theoretisch 69 Prozent seines monatlichen Nettomonatseinkommens aufwenden, um sich eine solche Neubauwohnung auf Kredit zu leisten.

Selbst in der oberen Einkommenshälfte wären es im Mittel bereits 53 Prozent des Monatseinkommens. Weil die strengen Kreditvergaberichtlinien aktuell maximal eine Schuldentilgungsquote von 40 Prozent zulassen, erhält damit derzeit in Österreich fast niemand mehr einen neuen Wohnungskredit.

Hat man dieselbe Wohnung bereits 2021 erworben, zahlte man damals für einen variabel verzinsten Kredit im
ersten Monat 1.740 Euro zurück. Inzwischen beträgt die Rückzahlungsrate monatlich knapp 3.000 Euro und
damit rund 1.200 Euro oder 70 Prozent mehr als zum Abschluss des Kredits.

Kreditänderung andenken

Wer sich die Wette auf baldige sinkende Zinsen nicht mehr allzu lange leisten kann, sollte prüfen, ob sich der Umstieg auf einen Fixzinskredit lohnt. Denn: "Fixzinskredite kosten aktuell sogar weniger als der variable Kredit. Das bedeutet für die betroffenen Haushalte eine unmittelbare Entlastung", sagt Durchblicker-Immobilienexperte Andreas Ederer. Vor allem, wenn es sich um die eigene Wohnung handelt, sollte man jetzt kein Risiko mehr eingehen. Wenn die Zinsen im zweiten Halbjahr noch stärker steigen, könnte für viele ein Umstieg auf einen Fixzinskredit immer schwieriger werden. Im schlimmsten Fall droht dann der Verlust des Eigenheims, warnt Ederer.

Ökonom: Job der EZB vorerst getan

Erste Reaktionen von Volkswirten fielen positiv aus. "Mit dieser Zinserhöhung ist der Job der EZB erst einmal getan", sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank. Ab jetzt schließe sich das Fenster für weitere Leitzinserhöhungen, denn die Inflation werde im Herbst deutlich sinken. "Trotzdem sind wir jetzt in einem geldpolitischen Unschärfebereich, in dem man eine ganze Zeit abwarten muss, ob die bisherige Dosis an Zinserhöhungen ausreicht, um die Inflation auch langfristig auszutreiben", sagt Kater. Eine Lockerung der Geldpolitik sei daher bis weit ins nächste Jahr hinein nicht in Sicht.

Auch Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IFW), sieht die EZB auf gutem Weg. "Die EZB hat im Kampf gegen die Inflation wirkungsvoll Zähne gezeigt, die Inflationsrate hat sich gegenüber ihrem Höchststand etwa halbiert", sagt der Experte. Aus Risikomanagementperspektive spreche nach so starken Zinsanhebungen vieles dafür, jetzt zunächst die realwirtschaftlichen Effekte abzuwarten und eine Pause einzulegen, um die Auswirkungen der Zinserhöhungen valide bewerten zu können. "Die Effekte der Zinserhöhungen sind inzwischen deutlich sichtbar: Der Immobilienmarkt ist eingebrochen, und die Firmenkreditvergabe ist deutlich gefallen", sagt Schularick. Die Wolken am Konjunkturhimmel verdunkeln sich, insbesondere die Wachstumsschwäche in Deutschland tritt durch die hohen Zinsen nun deutlich zutage.

EZB legt sich nicht fest

Die EZB wird laut ihrer Chefin Christine Lagarde im Kampf gegen die Inflation einen flexiblen Zinskurs steuern. Im September könne es eine Erhöhung geben oder auch eine Pause, sagte Lagarde am Donnerstag in der Pressekonferenz nach der Zinssitzung in Frankfurt. Eine Senkung sei jedoch ausgeschlossen. Ansonsten sei nichts "definitiv", vielmehr werde sich der EZB-Rat von der Datenlage leiten lassen. Die gesamte Führungsriege der EZB sei fest entschlossen, die Inflation in den Griff zu bekommen.

EZB-Chefin Christine Lagarde in der Pressekonferenz nach der Zinssitzung. Sie steht hinter einem Podium und spricht ins Mikrofon.
Im Herbst ist laut EZB-Chefin Christine Lagarde vieles möglich. Also eine Zinspause ebenso wie eine weitere Erhöhung. Nur eines nicht: Eine Zinssenkung wird es so rasch nicht geben.
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Die kurzfristigen Konjunkturaussichten im Euroraum haben sich laut Lagarde eingetrübt. Ursächlich dafür sei insbesondere die schwächere Binnennachfrage. Schärfere Finanzierungsbedingungen drückten auf die Ausgaben. Dies sei an der Industrieproduktion abzulesen, die auch unter dem schwachen weltwirtschaftlichen Umfeld leide. Der Dienstleistungssektor erweise sich als widerstandsfähiger, habe jedoch an Schwung verloren. "Es ist zu erwarten, dass die Wirtschaft kurzfristig schwach bleiben wird", so das Fazit der EZB-Chefin. Mit der Zeit würden fallende Inflationsraten und steigende Einkommen jedoch eine Konjunkturerholung stützen.

Fed lässt sich Optionen offen

Am Mittwoch hat auch die US-Notenbank Fed die Zinsen erneut angehoben. Die neue Zinsspanne beträgt 5,25 bis 5,50 Prozent. Im Juni hatten die US-Währungshüter rund um Fed-Chef Jerome Powell noch die Füße stillgehalten. Der jetzt vollzogene elfte Zinsschritt nach oben könnte nach Ansicht vieler Experten zugleich der letzte sein. Doch ganz so eindeutig wollte Powell das nicht sagen. Er hat die Tür für eine weitere Erhöhung offen gelassen. Laut dem Fed-Chef ist im September durchaus eine weitere Anhebung drin, wenn die Datenlage es erfordern sollte. Allerdings sei auch eine Pause denkbar.

Jerome Powell, Chef der US-Notenbank Fed, steht hinter einem Pult und hält nach der Zinssitzung eine Pressekonferenz ab.
Ein Ende der Zinsanhebungen ist auch in den USA nicht in Sicht. Fed-Chef Jerome Powell will die Konjunkturdaten im Herbst prüfen und dann entscheiden.
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Bis Mitte September werde sich die US-Wirtschaft deutlich abschwächen, glaubt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP-Bank. "Im September wird keine Notwendigkeit für weitere Zinsanhebungen mehr bestehen. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Zinsgipfel erreicht ist", kommentiert Gitzel die Lage.

Im Auge behalten werden die Währungshüter die Inflation. Sinkende Energiepreise sorgten zuletzt dafür, dass die US-Teuerungsrate im Juni um einen vollen Punkt auf 3,0 Prozent zurückging – der niedrigste Wert seit mehr als zwei Jahren. Die Zentralbank strebt als Inflationsziel 2,0 Prozent an, das nun allmählich in Sichtweite kommt. Powell erklärte, es sei sehr zu begrüßen, dass die Inflation gesunken sei. Doch wolle man weitere Fortschritte in diese Richtung sehen. Investoren spekulieren nun auf einen zunächst konstant bleibenden Leitzins. (Bettina Pfluger, 27.7.2023)