Jetzt scheint auch noch der – neben Mauretanien – letzte demokratische Staat in der Sahelzone gekippt zu sein. Gleichzeitig mit dem Militärputsch im westafrikanischen Niger ist auch die letzte Bastion des Westens in der von Islamisten aufgeriebenen Region gefallen. Eine Entwicklung, die nicht nur für unseren südlichen Nachbarkontinent beängstigend ist.

Video: Militärputsch im Niger destabilisiert Sahelzone weiter
AFP

In den Niger hatten sich die aus Mali und Burkina Faso hinausgeworfenen Soldaten der französischen Barkhane-Mission zurückgezogen. Zudem haben die US-Streitkräfte dort 1000 Soldaten mit zahlreichen Drohnen stationiert; europäische Soldaten einschließlich der Bundeswehr wollten die nigrischen Truppen ausbilden, Entwicklungsgelder in Milliardenhöhe wurden in das Schlüsselland gepumpt.

Aufständische Präsidentengarde

Auch als Transitland für afrikanische Migranten kam dem Sahelstaat eine besondere Bedeutung zu. Die Europäische Union arbeitete mit der Regierung des nach demokratischen Wahlen vor zwei Jahren an die Macht gekommenen Präsidenten Mohamed Bazoum zusammen, um den über Agadez und durch die Sahara führenden Migrantenstrom zu stoppen.

Stattdessen droht der Niger nun das Band der Militärdiktaturen vollständig zu machen, das von Guinea am Atlantik bis zum Sudan am Indischen Ozean führt: eine atavistische Ansammlung an Uniformierten, die meinen, "ihre" Staaten mit einem mittelalterlichen Regierungsstil und stählernen Händen ins Zeitalter der künstlichen Intelligenz geleiten zu können. Wo die Militärdiktaturen schließlich enden, ist sowohl im Sudan wie in Mali abzulesen: in brutalen Menschenrechtsverletzungen, in Massakern, in alles verheerenden Machtkämpfen.

Im westafrikanischen Niger haben Angehörige des Militärs geputscht.
Im westafrikanischen Niger haben Angehörige des Militärs geputscht.
APA/AFP

Für eine fundierte Einschätzung, was aus dem Niger nach dem Putsch werden wird, ist es heute noch zu früh. Manche Beobachter hoffen sogar, dass Teile der Streitkräfte der aufständischen Präsidentengarde noch das Handwerk legen könnten. Geschieht das nicht, ist zu befürchten, dass auch der Niger den Weg Malis und Burkina Fasos gehen wird und so schnell wie möglich die Rücken der westlichen und vor allem französischen Soldaten und Zivilisten sehen will. Im schlimmsten Fall werden diese womöglich sogar durch die russische Wagner-Truppe ersetzt. Die Militärs in Mali, der Zentralafrikanischen Republik oder dem Sudan scheinen mit den Söldnern glänzend auszukommen: Sie legen dieselbe Verachtung für die "kleinen Leute" und dieselbe Gier nach Rohstoffen an den Tag.

Prinzipientreue Nachbarn

Ob die Kämpfer des in Moskau wieder in Gnade gefallenen Jewgeni Prigoschin und dessen Trollmaschinen am Putsch im Niger beteiligt waren, ist derzeit bloße Spekulation. Doch Wladimir Putin kann sich beim russisch-afrikanischen Gipfeltreffen in Sankt Petersburg womöglich ins Fäustchen lachen.

Alle Augen sind jetzt auf den westafrikanischen Staatenbund Ecowas gerichtet, dessen Chef Bola Tinubu sich noch vor wenigen Tagen unmissverständlich für die Demokratie starkgemacht hat. "Wir werden alles dafür tun, dass die Demokratie in unserer Region eingepflanzt, genährt, verwurzelt und sprießen wird", versprach der neue Präsident der westafrikanischen Supermacht Nigeria.

Das mag angesichts der derzeitigen Lage zwar wie Hohn klingen. Und doch ist der Druck prinzipientreuer Nachbarn des Landes die einzige Hoffnung für den Niger. (Johannes Dieterich, 27.7.2023)