Im Gastblog erklärt Rechtsanwalt Oliver Peschel, welche Konsequenzen das OGH-Urteil auf die Online-Glücksspielbranche hat.

Die Glücksspielbranche boomt in Österreich, und daran naschen zum großen Teil illegale Onlinekasinos mit. Diese haben ihren Sitz in den Steueroasen Curaçao, Gibraltar oder Malta und verweigern oftmals Zahlungen – selbst nach rechtskräftigen Urteilen. Ein neues Urteil des Obersten Gerichtshofs ermöglicht nun jedoch Klagen gegen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer dieser Kasinos, was der Rückforderungsmöglichkeit einen neuen Schub verleiht.

Die Erlöse im Onlineglücksspiel sind 2022 um 22,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen – insgesamt wurden in Österreich im Jahr 2022 bei Glücksspielen 21,9 Euro Milliarden eingesetzt. Eine wahnsinnig hohe Zahl für ein Geschäft, das der Gesellschaft keinerlei positiven Nutzen verleiht, sondern vielmehr einen hohen Suchtfaktor aufweist und zu einer Vielzahl von gesellschaftlichen Problemen führt.

Online-Poker
Ein OGH-Urteil ermöglicht Rückforderungen von Onlinekasinos.
AP/Wayne Parry

Da es rechtlich möglich ist, Spielverluste bei illegalen Onlinekasinos einzuklagen, sind hunderte Verfahren in Österreich gegen illegale Onlinekasinos ohne österreichische Lizenz anhängig. Eine Lizenz besitzt aktuell nur Win2day und das bis zum Jahr 2027. Viele illegale Onlinekasinos bezahlen nach einem Urteil auch die Spielverluste zurück, was wohl auf Compliance-Gründen und der Hoffnung, auch eine Lizenz in Österreich ab dem Jahr 2028 zu erhalten, fußt. Ein Konzern, der österreichische Urteile ignoriert, wird keinesfalls als "vertrauenswürdig" einzustufen sein, weshalb auch eine Österreichische Glücksspiellizenz verwehrt bleiben wird.

Zwangsvollstreckungen in Malta

Große Anbieter wie Mr Green, Pokerstars, N1 Interactive, 888, Red Rhino, Rabbit Entertainment, Lottoland oder William Hill verweigern jedoch die Rückzahlung, selbst nach rechtskräftigen Urteilen österreichischer Gerichte. Dies ist sehr verwunderlich, handelt es sich doch teilweise um börsennotierte Konzerne mit hohen Compliance-Anforderungen. Über diese hohen ausständigen Zahlungen, die sich auch in den Bilanzen der Konzerne als Rückstellungen niederschlagen müssen, war sogar die "Financial Times" verwundert.

Gegen die "Nichtzahler" wurden daher Vollstreckungsverfahren in Malta und auch Gibraltar eingereicht. In beiden Ländern stützen sich die Onlinekasinos auf das Argument der Public Policy – die Vollstreckung österreichischer Urteile würde dem Wirtschaftsstandort schaden, die österreichischen Urteile würden gegen EU-Recht verstoßen und somit der öffentlichen Ordnung Gibraltars und Maltas widersprechen.

Die Ausnahme der Public Policy wurde vom Gesetzgeber jedoch nie dazu geschaffen, um derartige Vollstreckungen zu vereiteln. So kann eine Vollstreckung weder bei Urteilen, die vermeintlich EU-Recht verletzten (C-681/13), noch bei Urteilen, die selbst ernste wirtschaftliche Auswirkungen auf ein Land haben (C-302/13), verweigert werden. Diese Fragen wurden vom Europäischen Gerichtshof bereits geklärt, dennoch werden derartige Argumente seitens der Kasinos vorgebracht.

Bill 55: Maltas unionsrechtswidrige Gegenmaßname

In Malta, wo aktuell die meisten dieser Vollstreckungsverfahren geführt werden, werden alsbald die ersten Urteile erwartet. Um dem Ergebnis zuvorzukommen, bediente sich die maltesische Regierung vor kurzem eines unionsrechtswidrigen Kniffs:

Die maltesische Regierung und der maltesische Wirtschaftsminister haben ein Gesetz ins Parlament eingebracht, wonach keine Urteile von Gerichten anderer EU-Mitgliedsstaaten gegen in Malta lizenzierte Onlinekasinos anerkannt und vollstreckt werden dürfen. Das Gesetz ohne großen Aufschrei durchzuboxen scheiterte: Sowohl die deutsche als auch die österreichische Regierung und sämtliche Spielerschutzorganisationen sind alarmiert. Auch die Europäische Kommission hat in (rekordverdächtig) wenigen Tagen regiert und prüft die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren.

Laut Experten ist diese sogenannte Bill 55 klar europarechtswidrig. Malta schützt damit seine wirtschaftlichen Interessen und die dortige Glücksspielbranche vor berechtigten Exekutionen aus dem Ausland. Würde dieses Beispiel Schule machen, könnte etwa Deutschland Zwangsvollstreckungen gegen die Autoindustrie unterbinden, Österreich Zwangsvollstreckungen gegen österreichische Banken oder Frankreich Vollstreckungen gegen die Kosmetikindustrie untersagen. Die europäische Solidarität und Rechtsstaatlichkeit wären dahin.

Bill 55 war sicherlich ein gefinkelter Schachzug der Glücksspielbranche und hätte etwaige Vollstreckungen in Malta stark verzögern können, da das Gesetz erst vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg aufgehoben werden muss und dies durchaus eine längere Zeit in Anspruch nehmen kann. Anbieter wie Digimedia, White Hat Gaming, Net Bet, Leo Vegas, Aspire Global, Universe Entertainment oder auch Rootz, die bislang Ansprüche bezahlt haben, sind seit dem Inkrafttreten der Bill 55 von der bisherigen Linie abgewichen. Das kommt überraschend, da manche dieser Konzerne erst vor kurzem eine Glücksspiellizenz in Deutschland erhalten haben und auch dort das Kriterium der Vertrauenswürdigkeit und Compliance (Fit & Proper) eine Rolle spielt. Doch das Blatt hat sich nun abermals zugunsten der Spieler und Spielerinnen gewendet.

Persönliche Haftung der Geschäftsführung von illegalen Onlinekasinos

Nach der Rechtsprechung des OGH ist es längst ausjudiziert, dass eine persönliche Haftung der Geschäftsführung von Onlinekasinos möglich ist. Der OGH hat etwa ausgesprochen, dass bereits eine Mitwirkung am Angebot von illegalem Glücksspiel zu einer persönlichen Haftung führen kann (6 Ob 124/16b) und dass sich Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer Kenntnis von den österreichischen Rechtsvorschriften verschaffen müssen (5 Ob 95/21p).

Offen war nur, ob man die Geschäftsführung, die meist im Ausland wohnhaft oder arbeitstätig sind, auch in Österreich belangen kann. So haben bislang alle Oberlandesgerichte Österreichs die Ansicht vertreten, dass eine Klage nach dem europäischen Deliktsgerichtsstand der EuGVVO beziehungsweise Brüssel Ia-VO in Österreich nicht möglich sei, weil der Schaden nicht in Österreich eingetreten ist, sondern auf dem "Spielerkonto in Malta".

Diese Argumentation der Kasinos, wonach das Geld des Spielers oder der Spielerin nach dem Einzahlen sofort in Malta landet, war von Anfang an ein Trugschuss und eine Nebelgranate – Spieler und Spielerinnen zahlen im Onlinekasino über Zahlungsdienstleister wie Trustly, Klarna oder Adyen ein. Diese leiten Gelder nicht in Echtzeit weiter, sondern zum Beispiel in monatlichen oder wöchentlichen Tranchen. Mit dem eingezahlten Geld wird jedoch unmittelbar nach der Einzahlung gespielt, und es entstehen sofort Gewinne und Verluste, die nur fiktiv auf einem "Spielerkonto" liegen. Selbst wenn sich auf einem Spielerkonto von ursprünglich 10.000 Euro nur noch ein Euro befindet, kann daraus in kurzer Zeit ein Jackpot von einer Million entstehen. Das Vermögen des Spielers oder der Spielerin ist nur dann erhöht, wenn der Jackpot auch ausgezahlt und nicht wieder verspielt wird, und das geschieht im Vermögen am Wohnsitz des Spielers oder der Spielerin.

Der Geldfluss und das Spielgeschehen machen es daher unmöglich, dass Geld auf einem echten Konto liegt – vielmehr handelt es sich nur um gesammelte Verrechnungskonten. Der tatsächliche Schaden tritt vielmehr im in Österreich befindlichen Vermögen des Spielers beziehungsweise der Spielerin ein. Der OGH hält zusätzlich fest: "Vor allem verwirklichte sich der Schadenserfolg aber deshalb in Österreich, weil der geltend gemachte Schaden aus behaupteten Verstößen der Beklagten gegen das österreichische Glücksspielrecht, daher aus Verstößen gegen öffentlich-rechtliche österreichische Eingriffsnormen resultiert" (10 Ob 56/22s).

Somit sind deliktische Schadenersatzklagen gegen Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen ab sofort möglich, und die bisherige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, wonach man in Malta klagen müsste, und dies wohl auch völlig chancenlos in Anbetracht von Bill 55, ist überholt. Auch Zahlungsdienstleister, die Zahlungen an lizenzlose Onlinekasinos ermöglichen, könnten damit eine Mitwirkung am illegalen Glücksspiel geleistet haben und potenziell haftbar gemacht werden. Österreichische Gerichte sind international für diese Verfahren zuständig.

Die Frage ist nun, wie sich die illegalen Anbieter verhalten werden. Wenn ihre aktuellen und ehemaligen Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen mit Klagen eingedeckt werden, diese in österreichischen Gerichtsprozessen aussagen müssen und ihnen eine persönliche Haftung mit potenziellen Zwangsversteigerungen und Insolvenzverfahren innerhalb der gesamten EU droht, stellt sich die Frage, ob die illegalen Anbieter überhaupt noch willige Personen finden werden, die als Geschäftsführung auftreten wollen, oder ob sie nicht doch den rechtskräftigen österreichischen Urteilen nachkommen und ihre Schulden bezahlen. Denn Spielschulden sind nicht nur Ehrenschulden. (Oliver Peschel, 31.7.2023)