Gorilla blickt in die Kamera
Im Erbgut von Gorillas fanden sich Spuren, die auf eine ausgestorbene Gruppe hinweisen.
APA/AFP/GUILLAUME SOUVANT

Auch in der Wissenschaft ist mitunter von Geistern die Rede. Mit einer sogenannten Geisterpopulation wird eine Gruppe bezeichnet, die ausgestorben ist, deren Existenz man heute aber dennoch nachweisen kann. Ihre Spuren hinterlässt sie im Erbgut lebender Individuen. Ein Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Wien konnte nun Gorilla-Geisterpopulationen nachweisen: Wie es im Fachjournal "Nature Ecology and Evolution" zeigt, gelang dies mithilfe moderner statistischer Methoden und neuronaler Netzwerke. Die lange ausgestorbene Linie liefert Einblicke in die Evolutionsgeschichte der Gorillas.

Gorillas setzen sich aus zwei Arten zusammen, den Östlichen Gorillas (Gorilla beringei) und den Westlichen Gorillas (Gorilla gorilla). Die beiden Spezies bestehen wiederum aus je zwei Unterarten. Im Rahmen der Untersuchung wurde das Genom von Individuen aller vier Unterarten analysiert.

Ähnlich wie beim Menschen

Dabei fanden die Wissenschafterinnen und Wissenschafter heraus: Bei den Unterarten des Östlichen Gorillas, also des Östlichen Flachlandgorillas und des Berggorillas, kam es im Laufe der Evolution durch Verpaarung mit Individuen heute bereits ausgestorbener Gruppen zu einer Vermischung von DNA. Dies lief also ähnlich ab wie beim modernen Menschen, im Erbgut heute lebender Personen lassen sich nämlich Reste von Neandertaler-DNA und Denisovaner-DNA nachweisen.

"Bis zu drei Prozent des Genoms der heutigen Östlichen Gorillas tragen Überreste von Genen dieser 'Geisterpopulation', die sich vor mehr als drei Millionen Jahren von den gemeinsamen Vorfahren aller Gorillas getrennt haben", erklärte Evolutionsgenetiker Martin Kuhlwilm von der Universität Wien in einer Aussendung.

Östlicher Flachlandgorilla schaut durch Blätter und Zweige.
Ein Östlicher Flachlandgorilla im Kahuzi-Biega-Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo.
Dian Fossey Gorilla Fund / AP

Bis jetzt seien Untersuchungen zu dem Thema selten. Grund dafür sei, dass es von unseren nächsten Verwandten im Gegensatz zum Menschen nur wenige fossile Überreste gebe, aus denen sogenannte alte DNA (aDNA) zur Analyse gewonnen werden könne, hieß es weiter. Das sei von besonderer Bedeutung, weil die Tiere vom Aussterben bedroht sind.

Diversität erhalten

Unter den Proben befanden sich auch neu sequenzierte Genome von Berggorillas aus dem Bwindi-Nationalpark in Uganda, einem der beiden einzigen Orte weltweit, an denen noch lebenden Exemplare dieser Unterart zu finden sind.

Die Genome der heute lebenden Individuen zu analysieren ist also die einzige Möglichkeit, die Entwicklungsgeschichte der Gorillas zu rekonstruieren. Darüber hinaus sei es "wichtig, die Diversität einer Art zu verstehen, um deren Diversität auch zu erhalten", sagte Kuhlwilm gegenüber der APA. "Dabei waren die neuronalen Netzwerke ein Tool zum besseren Verständnis." Sie hätten die komplexe statistische Auswertung der Proben übernommen.

Hilfe beim Vermeiden von Gift

Neben wichtigen Erkenntnissen zur Entwicklungsgeschichte der vom Aussterben bedrohten Spezies zeigen die Ergebnisse auch, dass der Genfluss solcher ausgestorbenen Vorfahren Einfluss auf die Genfunktionen haben kann. Demnach wurde ein Gen, das für einen Bittergeschmacksstoffrezeptor codiert, von der Geisterpopulation in die heutigen Östlichen Gorillas eingebracht. Das hilft ihnen vermutlich bis heute dabei, bitter schmeckende Nahrung, die womöglich giftig ist, zu vermeiden.

"Ähnliches gilt auch für Neandertaler-Mutationen, die die Immunfunktion beim Menschen beeinflussen", sagte Kuhlwilm. Das sei ein Muster, das es sicher auch bei vielen anderen Arten gebe. Der Einfluss der Geisterpopulation war diesen Erkenntnissen zufolge also ein durchaus positiver. (APA, red, 28.7.2023)