Kein Verkehr, kein Lärm, kein Empfang. Das niederösterreichische Loosdorf wirkt wie leergefegt, einzig der Wind pfeift über die hügelige Landschaft. Auf den Feldern am Rande der Ortschaft herrscht dagegen reges Treiben. Für die Beerenbauern im Dorf ist nämlich derzeit Hochsaison. Praktisch täglich werden die Himbeeren, Ribiseln und Heidelbeeren reif und müssen von ihren Sträuchern gepflückt werden. So weit, so gewöhnlich.

Ungewöhnlich sind dagegen die Früchte, die gleich daneben wild wuchern: Actinidia arguta steht auf dem Schild geschrieben, das Besucherinnen und Besuchern als Hinweis dient. Die Actinidia arguta ist nicht irgendeine heimische Frucht, sondern eine Mini-Kiwi. Dass diese im tiefsten Weinviertel – und noch dazu unter freiem Himmel – gedeiht, ist auf den ersten Blick verblüffend. "Das war lange Zeit ein Alleinstellungsmerkmal. Wir waren die Ersten in Österreich, die Kiwis angepflanzt haben", sagt Katharina Schödl-Hummel. Gemeinsam mit ihrem Mann Johannes leitet sie den Biobeerengarten Hummel in Loosdorf nahe der tschechischen Grenze.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Kiwi stammt ursprünglich aus Ostasien, wird inzwischen aber auch in Österreich angebaut.
Getty Images/iStockphoto

Feldversuche

Durch Zufall sei die Kiwi bei ihnen im Weinviertel gelandet, erzählt Schödl-Hummel: Ein Professor aus München habe der Familie die Frucht empfohlen. Dass die Mini-Kiwis kein Dach über dem Kopf und keine Heizung benötigen, liegt an den speziellen Sorten. Sie tragen Namen wie Ambrosia, Weiki, Geneva oder Super Jumbo. Diese stammen ursprünglich aus der Mongolei und haben sich an die kalten Winter gewöhnt. In Loosdorf wachsen die Mini-Kiwis auf einer Fläche von rund einem Hektar. In guten Jahren ergeben sich daraus circa 5.000 Kilogramm an Ertrag.

Wobei nicht alle Sträucher auch wirklich Früchte tragen. Kiwis sind nämlich zweihäusig: Es gibt männliche und weibliche Pflanzen. Die männlichen Pflanzen tragen zwar keine Früchte, versorgen die weiblichen Pflanzen aber mit Pollen. Unter deren Blättern versteckt finden sich auch schon die ersten Exemplare. Reif sind diese allerdings noch nicht: Erntezeit ist zwischen Mitte September und Ende Oktober. Dann erreichen die Mini-Kiwis ihre volle Größe von drei bis vier Zentimetern und erhalten eine grüne bis rötliche Farbe. Im Gegensatz zu ihrer großen Schwester, der Neuseeland-Kiwi, haben sie eine glatte, essbare Schale und schmecken intensiver und süßer.

Mini-Kiwis an einem Strauch
In Loosdorf im Weinviertel wachsen die Mini-Kiwis unter freiem Himmel. Die Pflanzen sind an kühle Winter gewöhnt.
DER STANDARD/Scharmer

Mittlerweile haben sich zur Kiwi auch Gojibeeren und Physalis gesellt. Auch diese fühlen sich im Weinviertler Klima wohl. Seit heuer vermehren die Hummels die Samen ihrer Physalis sogar selbst, erklärt Schödl-Hummel: "Deswegen sage ich jetzt immer, wir haben eine Linie Loosdorf entwickelt, also quasi eine eigene Selektion." Die Früchte gehören neben Himbeeren & Co bereits zum festen Sortiment – und sind von Exoten zum regionalen Produkt herangewachsen.

Regionalität im Wandel

Kiwi, Physalis und Gojibeere sind aber nicht die einzigen Exoten, die hierzulande angekommen sind. Mittlerweile wird in Österreich alles Mögliche angebaut: Es gibt Melonen aus dem Burgenland, Oliven aus Kärnten, Erdnüsse aus Niederösterreich, Reis aus der Steiermark, Feigen aus Wien. Auch exotische Gewürze wie Kurkuma, Safran und Ingwer finden sich mittlerweile in den Regalen der Supermärkte – und das aus heimischem Anbau. In vielen Fällen machen die höheren Temperaturen es möglich, dass sich auch Sorten aus wärmeren Gefilden in Österreich wohlfühlen. Heimische Sorten werden dagegen durch die Hitze zunehmend bedrängt: Der Grüne Veltliner ändert seinen Geschmack, die Himbeerpflanzen tragen Sonnenbrandschäden davon und leiden unter den Tropennächten.

Dennoch führen die heimischen Exoten wie die Weinviertler Kiwi derzeit meist noch ein Nischendasein. Viel Zeit müsse in Aufklärungsarbeit investiert werden, weiß Schödl-Hummel aus Erfahrung: "Wir müssen immer noch erklären, dass es keine Olive ist, sondern eine Kiwi. Und dass man sie auch mit der Schale essen kann." Dass sich die anfängliche Skepsis mitunter zu einer echten Erfolgsgeschichte wandeln kann, zeigen aber andere Lebensmittel. Das beste Beispiel dafür sind wohl die Erdäpfel. Sie stammen ursprünglich aus Südamerika und wurden in Europa zunächst mit Argwohn betrachtet, sogar als "Hexenpflanze" abgetan. Heute sind sie ein fester Bestandteil der europäischen Esskultur und auch aus der österreichischen Küche nicht wegzudenken.

Frau steht im Supermarkt vor einer Obsttheke
Exotische Früchte finden sich mittlerweile ganzjährig in den Regalen der Supermärkte. Immer öfter stammen sie sogar aus heimischem Anbau.
IMAGO/Martin Wagner

Besser fürs Klima?

Der heimische Anbau exotischer Sorten zahlt sich auch aus einem anderen Grund aus: Viele Obst- und Gemüsesorten werden oft vom anderen Ende der Welt nach Österreich gebracht und legen mitunter lange Transportwege zurück. 18.000 Kilometer hat eine Kiwi aus Neuseeland hinter sich, 14.000 Kilometer eine Physalis aus Chile, bevor sie in den heimischen Supermärkten landen, rechnet der Verkehrsclub Österreich vor. Die Früchte aus weit entfernten Regionen werden außerdem meist unreif geerntet. Dadurch kann das Obst nicht seinen vollständigen Nährstoffgehalt erreichen – und enthält folglich weniger gesunde Inhaltsstoffe. Es würde somit einige Vorteile bringen, wenn Obst und Gemüse nicht tausende Kilometer zurücklegen müssten.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Nicht jedes Obst und Gemüse kann in Österreich angepflanzt werden, schon gar nicht unter freiem Himmel. Ein Bananenbaum halte die Winter in Österreich ungeschützt nicht aus. Und auch das Gewächshaus ist nicht immer die bessere Alternative: Ein Kilo Tomaten aus einem beheizten Glashaus in der Region verursacht trotz des kurzen Transportwegs doppelt so viel CO2 wie ein Kilogramm Tomaten aus Spanien, wie eine österreichische Studie zeigt.

Hand hält Zweig mit einer reifen Gojibeere
Auch Gojibeeren legen meist lange Transportwege zurück, bis sie in Österreich landen.
DER STANDARD/Scharmer

Hinzu kommt, dass Spätfrostereignisse in den letzten Jahren immer häufiger werden – und davon Exoten genauso stark wie heimische Obst- und Gemüsesorten betroffen sind. So ist auch die Weinviertler Kiwi vor Spätfrost nicht gefeit: Die Minusgrade im April haben sie eiskalt erwischt. Deswegen rechnet Schödl-Hummel heuer mit 90 Prozent Ernteausfall – und teilt damit das Schicksal vieler Marillen- und Zwetschkenbauern.

Was der Bauer nicht kennt ...

Zudem gebe es Sorten, die sich in Österreich auch ohne Spätfrost nicht wohlfühlen, sagt Schödl-Hummel. Den Anbau der Sibirischen Honigbeere habe man zum Beispiel wieder aufgegeben: "Der hat es bei uns überhaupt nicht gefallen." Trotzdem probiere man laufend neue Sorten aus. Am Rande des Feldes befindet sich der jüngste Neuzugang: die Saskatoon. Dabei handelt es sich um eine Felsenbirne, die äußerlich der Heidelbeere ähnelt. "Wir wollen ein bisschen auch die Nischen bedienen", sagt Schödl-Hummel. Ob sich der Anbau lohnt, werde sich in fünf Jahren zeigen – so lange dauere es, bis die Arbeit Früchte trägt.

Dass die einstigen Exoten dem heimischen Obst den Rang ablaufen, es gar ersetzen werden, glaubt Schödl-Hummel trotzdem nicht. Himbeeren, Ribiseln & Co seien "Selbstläufer": "Das ist etwas Bekanntes, die isst jeder gerne." Sehr wohl müssen sich die heimischen Sorten aber an die neuen Bedingungen anpassen: "Ich glaube, dass es mehr in diese Richtung geht. Aber nicht, dass etwas komplett anderes regional wird. Weil dazu ist der Mensch, vielleicht sogar der Österreicher, noch zu sehr Gewohnheitstier." (Theresa Scharmer, 31.7.2023)