Der neue Vorsitzende des Weltklimarates, Jim Skea, hält nichts von Untergangsszenarien im Zusammenhang mit dem Klimawandel. "Wenn man ständig nur die Botschaft aussendet, dass wir alle dem Untergang geweiht sind, dann lähmt das die Menschen und hält sie davon ab, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um mit dem Klimawandel fertig zu werden", sagte Skea wenige Tage nach seiner Wahl im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Der neue IPCC-Chef Jim Skea
"Engagiert Euch", sagt der neue IPCC-Chef Jim Skea. Von Untergangsstimmung hält er nichts.
AFP/FABRICE COFFRINI

Er habe mit Co-Autoren bei den jüngsten Berichten des Weltklimarats immer Wert darauf gelegt, den "Silberstreif am Horizont" zu sehen. Die Technologien und Instrumente, um den Klimawandel einzudämmen seien vorhanden, sie müssten nur auch angewendet werden. "Die Zukunft des Menschen liegt in unserer Hand. Nutzen wir das", sagte der 69-Jährige.

Professor vom Imperial College

Mit der Wahl des Professors für nachhaltige Energie an der Londoner Eliteuniversität Imperial College beginnt der siebte Sachstandszyklus des Weltklimarats (IPCC). Der Rat ist eine UN-Institution in Genf. Für ihn tragen Fachleute den wissenschaftlichen Kenntnisstand zum Klimawandel alle fünf bis sieben Jahre zusammen. Sie zeigen Handlungsoptionen und ihre jeweiligen Konsequenzen auf. Entscheidungen treffen aber Regierungen. Die IPCC-Berichte sind die wichtigste Grundlage für politische Entscheidungen zur Eindämmung des Klimawandels. Die nächsten Berichte sind Ende der 2020er-Jahre zu erwarten.

"Engagiert euch!", sagte Skea an die Adresse aller Erdenbürger. "Sitzt nicht auf dem Sofa und schaut den Debatten über den Klimawandel zu. Jeder einzelne kann etwas tun." Skea verwies auf Bürgerinitiativen, aber auch Bürgerdialoge städtischer Behörden oder Wahlen auf kommunaler Ebene. "Dort werden viele der wichtigsten Entscheidungen gefällt werden."

Schützenhilfe von Totschnig und Nehammer

Schützenhilfe erhält der neue IPCC-Chef aus Österreich. Wie Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) am Samstag meinte, würden uns "täglich herbeigeredete Untergangsszenarien absolut gar nicht" helfen. Totschnig bezog sich bei seiner Stellungnahme am Samstag gegenüber der APA auf die Zukunftsrede von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Der Kanzler hatte im März gemeint, die Welt stehe nicht vor dem Untergang, sondern vor einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Dabei hatte sich Nehammer auf einen umstrittenen US-Klimaaktivisten namens Thomas Shellenberger bezogen. "Unsere Aufgabe ist es, die Menschen dabei mitzunehmen und ihnen nicht mit Horrorszenarien zu drohen oder überzogene Verbote auszusprechen", sagte Totschnig.

Kanzler Karl Nehammer bei seiner
Kanzler Karl Nehammer bei seiner "Zukunftsrede" im März. Unter anderem zitierte er dabei den umstrittenen US-Klimaaktivisten Thomas Shellenberger
IMAGO/SEPA.Media

Zudem kritisierte er die jüngste Protestaktion der Klimaschutzgruppe der Letzten Generation am Samstag auf der Brennerautobahn. "Wer durch Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dem Klimaschutz schadet, sollte mit massiven Strafverschärfungen rechnen." Totschnig stehe laut eigener Aussage für Klimaschutz mit Hausverstand.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) übte hingegen zuletzt Kritik an Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), nachdem er Klimaaktivisten, Identitäre und islamistische Hassprediger als "nicht normal" in einem Atemzug genannt hatte. Sie bezeichnete seine Aussage als "No-Go" und warf ihm vor "das Geschäft der Populisten" zu machen.

Klimaschutzgesetz seit 940 Tagen ausständig

Österreich fehlt seit 940 Tagen ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Zielen. Während Gewessler immer wieder betont, dass das lange ausstehende Vorhaben weiterhin und noch während der Legislaturperiode Realität werden soll, gibt es vom Koalitionspartner ÖVP seit Jahren Widerstand.

Die alte Regelung des Klimaschutzgesetzes lief am 31. Dezember 2020 aus, seither sind hierzulande keine gesetzlichen Treibhausgas-Reduktionszielwerte mehr vorgegeben. Festlegen wollte man darin, die Republik bis 2040 klimaneutral zu gestalten, mit für Bund und Länder verbindlichen Emissionshöchstwerten für jedes Jahr. Bis 2030 sollte der Nettoausstoß halbiert werden, zehn Jahre später wollte man bei netto Null anlangen. Es geht um Sektoren wie Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude und Abfall, aber auch Teile der Energieerzeugung, die nicht unter das EU-Emissionshandelssystem fallen.

Mit den Regelungen wolle man drohende Strafzahlungen vermeiden, argumentierte Gewessler wiederholt und sprach von bis zu neun Milliarden Euro bis 2030. Die ÖVP betont, dass das Gesetz nicht oberste Priorität genieße und man Klimaneutralität auch anders erreichen könne.

Mit Fortschreibung der bisherigen Klimaschutzmaßnahmen würde Österreich aber die EU-Klimaziele für 2030 klar verfehlen: Die Treibhausgas-Emissionen würden dann bei 42 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten liegen - das wären zwölf Millionen mehr als vorgesehen, zeigte der Bericht des Umweltbundesamtes im Frühjahr. (APA, dpa, joge, 30.7.2023)