Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs könnte auch für andere Verfahren, etwa gegen VW, relevant sein.
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Wien – Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in einem aktuellen Beschluss wichtige Aussagen zur juristischen Aufarbeitung des Dieselskandals getroffen. Demnach kann sich ein Händler nicht darauf berufen, dass ein Fahrzeug in einem anderen EU-Staat typengenehmigt ist, wenn ein österreichisches Gericht mithilfe eines Sachverständigen festgestellt hat, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut ist (2 Ob 102/23y). Das könnte auch für andere Verfahren relevant sein.

Konkret ging es in dem Fall um den Käufer eines Wohnmobils der Marke Fiat, der wegen einer illegalen Abschalteinrichtung vor Gericht gezogen war. Die Einrichtung reduzierte die Abgasrückführung teils unabhängig von Außen- oder Umgebungstemperatur erheblich oder stoppte sie ganz. Das Oberlandesgericht Linz sah darin einen Rechtsmangel, weil die unzulässige Abschalteinrichtung Auswirkungen auf die Typengenehmigung haben kann. Der beklagte Händler wandte sich daraufhin an den OGH und argumentierte, dass kein Mangel vorliege, weil die zuständige italienische Typengenehmigungsbehörde trotz Kenntnis aller Umstände die Abschalteinrichtung für zulässig erachte und daher kein Entzug der Zulassung drohe.

Drei wichtige Aussagen des OGH

Der OGH hat zwar die Revision des Händlers zurückgewiesen, aber dennoch drei wichtige Aussagen getroffen, betont Rechtsanwalt Michael Poduschka, der in diesem Fall den klagenden Autokäufer vertrat. Das Oberlandesgericht Linz hatte aufgrund eines Sachverständigengutachtens einen Minderwert von 30 Prozent angenommen und damit den Händler zur Rückzahlung von 30 Prozent des Kaufpreises verpflichtet. Dieser Wert sei vom OGH nicht infrage gestellt worden, so Poduschka.

Auch das Argument des Händlers, das Fahrzeug sei in Italien ohnehin typengenehmigt gewesen, ließ das Höchstgericht nicht gelten. Außerdem akzeptierte der OGH im vorliegenden Fall die zweijährige Verjährungsfrist für Rechtsmängel, die erst ab Kenntnis des Mangels zu laufen beginnt. Das ist das erste höchstrichterliche Erkenntnis in einem sogenannten Minderwertverfahren in Zusammenhang mit dem Abgasskandal.

"Nach diesem Erkenntnis steht die Tür zu 30 Prozent des Kaufpreises für alle Besitzer von Wohnmobilen, in die ein Fiat Ducato Motor verbaut ist, weit offen", sagte Poduschka. Besitzer eines betroffenen Wohnmobils könnten "relativ risikolos" den Händler und wohl auch Fiat auf Rückzahlung von 30 Prozent des Kaufpreises klagen, so der Anwalt.

Der OGH widerspricht dieser Darstellung in einer Aussendung nach Erscheinen des Artikels und schreibt: "Der Oberste Gerichtshof hat die Revision gegen die stattgebende Entscheidung des Berufungsgerichts zurückgewiesen, weil sich der beklagte Fahrzeughändler mit der tragenden Begründung des Berufungsgerichts nicht auseinandergesetzt hatte. Die Rechtsrüge war daher nicht gesetzmäßig ausgeführt, weswegen der Oberste Gerichtshof das Rechtsmittel nicht inhaltlich prüfen konnte. Aus seiner Entscheidung lassen sich daher daher keine Aussagen zu den im Artikel genannten Fragen (Bemessung des Minderwerts mit 30%, Vorliegen eines Rechtsmangels, Beginn der Verjährungsfrist) ableiten."

Verjährungsfrist

Das Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs sei aber auch für alle anderen Verfahren von Bedeutung, sagt Poduschka, der im Abgasskandal rund 1.000 Einzelverfahren gegen Volkswagen und VW-Händler führt und den Verein für Konsumenteninformation in mehr als zehn Sammelklagen mit rund 10.000 Geschädigten vertritt. "Auch für die Verfahren gegen VW wurde mit diesen vom OGH bestätigten 30 Prozent (Minderwert) ein neues Kapitel aufgeschlagen", erwartet Poduschka.

Zudem weise das Erkenntnis darauf hin, dass die Verjährungsfrist von zwei Jahren für Ansprüche gegen den Händler und von drei Jahren für Klagen gegen Hersteller noch lange nicht abgelaufen ist. Denn die Verjährungsfrist beginne oft erst zu laufen, wenn die Autobesitzer in einem ersten rechtlichen Beratungsgespräch auf den unzulässigen Einbau hingewiesen werden. (APA, 31.7.2023)