Amour Haneke Henkel Salzburger Festspiele
Der Lebenspartner wird unheilbar krank. Was bleibt dem anderen nun zu tun? Katharina Bach und André Jung in "Liebe (Amour)" bei den Salzburger Festspielen.
APA/BARBARA GINDL

Ein Schlaganfall, noch ein zweiter – und Anne ist nicht mehr imstande, ihren Alltag ohne die Hilfe ihres Mannes zu meistern. Zuerst verschüttet sie Tee, später bleibt ihr gesamter Körper halbseitig gelähmt, selbst das Sprechen fällt schwer. Den Zumutungen schwerer Erkrankungen im Alter ist Filmregisseur Michael Haneke 2012 in seinem intimen Kammerspiel "Amour" näher gerückt. Das preisgekrönte Drama wurde auch dank seiner Darsteller Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva zu einem erschütternden wie berührenden Referenzwerk zum Thema Pflege bzw. den Kampf um menschliche Würde.

In einer eigenen Bühnenfassung und Gemeinschaftsproduktion mit den Münchner Kammerspielen hoben die Salzburger Festspiele den Stoff nun neu ins Zentrum. Regisseurin Karin Henkel konzentriert sich in "Liebe (Amour)" am Landestheater auf die Darstellung der Überforderung Betroffener.

Hier geht es also nicht um die Pflegedebatte, nicht um das Fehlen von Personal oder dessen Unterbezahlung, sondern um die Unerbittlichkeit des biologischen Endes und das Ringen um Souveränität als menschliches Individuum. Henkel, die in Salzburg zuletzt mit "Richard the Kid & the King" 2021 auf der Pernerinsel zu Gast war, schlägt die Erzählweise eines realistischen Dramas zweier betagter Eheleute aus – zugunsten einer Hervorhebung jener Gewalt, die in der Konfrontation mit dieser Lebenslage liegt.

Es träufelt schwarz

Es gibt also kein Pariser Apartment zu sehen, dafür ein sich in den Bühnenhintergrund verjüngender weißer Kubus, der eine unausweichliche Perspektive vorgibt, der aber auch alsbald die Spuren der Verwahrlosung und Bedrohung aufweist (Bühne: Muriel Gerstner). Schwarz träufelt es aus dem Schnürboden und von den Wänden. Hier versucht Georges (André Jung) mit wachsenden Hürden, seiner Frau Anne (Katharina Bach) und sich weiterhin ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, ohne Krankenhaus, ohne Hilfe von außen, auch nicht jener der Tochter, die für Hilfeleistung ohnehin nicht geeignet wäre.

Henkel macht diese radikale Realität besonders kenntlich, indem sie sie in Einzelteile zerlegt. Sie zeigt die Rolle der Anne in mehreren Figuren unterschiedlichen Alters: als Kind, als erwachsene Frau (Bach) und als nur mehr schmerzender Körper (Tänzer:in Joel Small). Sie macht die Härte des Souveränitätsverlusts deutlich, indem sie den Einsatz sanitärmedizinischer Gerätschaften als übersteigerte Slapsticknummer herauslöst – mit Christian Löber und Joyce Sanhá als Sanitäter ("Hier kommt Ihr Bett aus Edelstahl") und handelsüblichem Vokabular ("Fütterposition"). Alle Abweichungen von Hanekes Drehbuch werden übrigens mit dem Schwenken eines kleinen orangen Fähnchens signalisiert.

In einer der gelungensten Szenen dieses fordernden, ungeschönten, durchgehend stimmigen Abends, der wie selten einer so unmittelbar das Publikum angriff, fließen dann auch die Zeiten ineinander: als Georges und Anne, in gemeinschaftlicher Anstrengung soeben dem Rollstuhl entstiegen, voranschreiten und so allmählich in eine swingende Vergangenheit zurücktänzeln. Man teilt nicht nur die gebrechliche Lebensphase miteinander, auch fabelhafte Erinnerungen und Gefühle.

Aktive Sterbehilfe

Da hakt Henkel mit einer entscheidenden Idee ein: Sie integriert Laiendarstellerinnen und -darsteller, die mit schweren Krankheiten oder Tod konfrontiert waren oder sind und die durch ihre kurz erzählten Geschichten die gesellschaftliche Dimension dieses weitgehend unsichtbaren Themas evident machen. Sie alle teilen als Betroffene oder Angehörige im Chor ihre freudigen wie traurigen Erlebnisse.

Prangt in Hanekes Film über allem von Beginn an der Mord, den Georges an seiner Frau begeht, samt dessen immenser Fragwürdigkeit, so deutet dieser Salzburger "Amour"-Abend die Tötung am Ende nur an (Blackout, bevor er ihr das Kissen auf das Gesicht drückt) und wertet damit die Frage nach dem Warum ab. Die am Ende heftig akklamierte Inszenierung schiebt diese Frage geradezu von sich weg. Man kann es als Schwäche der Arbeit lesen, dass sie zu sehr auf Kausalität setzt und zu deutlich auf den Schlusspunkt "aktiv geleisteter Sterbehilfe" (in Österreich illegal) hinarbeitet.

Das Anliegen von Henkels "Liebe (Amour)" scheint vielmehr die Abbildung und Ausdifferenzierung jener Gewalt zu sein, die in der schweren Krankheit und dem Umgang mit ihr liegen. Und das ist auf bemerkenswert stimmige Weise gelungen. (Margarete Affenzeller, 1.8.2023)