Salzburg
Teodor Currentzis: Ovationen statt Protest.
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In jener fernen Zeit, als vom Ukrainekrieg noch keine Rede war, arbeiteten sie in Salzburg schon zusammen. "Idomeneo" formte Peter Sellars 2019 zusammen mit Dirigent Teodor Currentzis zum Aufruf, umweltbewusst und friedlich zu handeln. Nun sind sie im Sinne einer Art Juke-Box-Oper zusammengekommen. Und: Mit seinem Utopia-Orchester ist Currentzis, mittlerweile weitestgehend von den Konzertprogrammen des Westens verschwunden, in Salzburg willkommen.

Henry Purcells "The Indian Queen", eine Semi-Opera, die man in der Felsenreitschule umsetzt, ist im Original ein Kuriosum kolonialistischer Fantasien. Es geht um eine erdichtete Auseinandersetzung zwischen Azteken und Inkas. Peter Sellars hat denn auch eingegriffen. Er holte sich bei der Nicaraguanischen Autorin Rosario Aguilars die Erlaubnis, Teile ihres Romans "La niña blanca y los pájaros sin pies" („Das weiße Mädchen und die Vögel ohne Füße“) als Rahmenhandlung implantieren zu dürfen. Es geht um den spanischen Eroberungskrieg, der durch den Blick von Frauen erzählt wird. Zentral ist die Geschichte der Tochter eines Maya-Häuptlings.

Integrierte Arien

Sie wird von ihrer Familie einem Conquistador quasi geschenkt, um ihn über die Pläne der spanischen Aggressoren auszuhorchen. Allerdings entwickelt sich das Verhältnis zu einer desaströsen Liebesbeziehung, an der die Frau zu zerbrechen droht. Die Texte sind voll impulsiver Zuneigung einer Frau, die erkennen muss, einem Massenmörder zugetan zu sein. Die Tragik dieser Figur wird musikalisch durch eine Ausweitung der Semi-Opera erreicht. Currentzis/Sellars integrieren Lieder, Arien und geistlichen Chorstücke. Zusammengehalten wird das Ganze von der Erzählerin (wunderbar Amira Casar), welche die Leidensintensität und auch das Schwärmerische mancher Figur transportiert.

Vor allem lebt der Abend aber von musikalischen "Inseln", von der Chorqualität und einigen der Solostimmen. In einer konzertanten Version mit kleinen szenischen Gesten ermöglicht auch die substanzvolle Musik die emotionale Verdichtung der Individuen. Der geniale "Orpheus Britannicus" Henry Purcell hat, wenngleich keine 40 Jahre alt geworden, genug Hinreißendes hinterlassen, um so ein zusammengewürfeltes Stück zu tragen, dessen Interpretation überzeugt. Currentzis ist der gleichsam jede Linie, jede Phrase mittanzende Gestalter, der Sinn für die Feinheiten dieser Musik hat. Er sucht das extrem Innige in den melancholischen kleinen Meisterwerken und hat die entsprechenden Interpreten dazu.

Tolle Stimme

Allen voran ist Jeanine De Bique (als Teculihuatzin und Doña Luisa) eine kultivierte Advokatin lyrischer Melancholie, welche die Hauptfiguren vokal makellos vermittelt. Kultiviert auch Andrey Nemzer (als Ixbalanqué), respektabel Julian Prégardien (Don Pedrarias Dávila), Rachel Redmond (Doña Isabel), Jarrett Ott (Don Pedro de Alvarado), Dennis Orellana (Hunahpú) und Nicholas Newton (Maya-Schamane).

Das Utopia-Orchester und der Chor geben den instrumentalen und vokalen "Inseln" zwischen den Texten und Arien intime Pracht. Purcells Tränenmusik hat hier zweifellos das gewisse Etwas.

Keine Proteste jeglicher Art wegen Currentzis‘ Schweigen zum Ukrainekrieg und dessen Präsenz in Russland, wo er mit MusicaAeterna weiter hofiert wird. Im der Felsenreitschule nur Standing Ovations, auch für Peter Sellars. (Ljubisa Tosic, 1.8.2023)