Im Gastblog schildert Rechtsanwalt Helmut Graupner, wie eine HIV-Infektion in Österreich noch immer zu Diskriminierung führen kann, obwohl seit Jahrzehnten Aufklärungsarbeit betrieben wird und eine wirksame HIV-Therapie vorhanden ist, die die Erkrankung verhindert, zu einer üblichen Lebenserwartung führt und sogar bewirkt, dass HIV-Infizierte niemanden anstecken können.

Im Frühjahr 2023 ergibt sich bei einem 81-jährigen Herrn, nennen wir ihn RS, dass die ambulante Hauskrankenpflege nicht mehr ausreicht und eine 24-Stunden-Pflege notwendig wird. RS ist seit vielen Jahren HIV-positiv. Durch die erfolgreiche Behandlung hat die Infektion bei ihm nie eine Erkrankung hervorgerufen. Das Rote Kreuz hatte die bisherige ambulante Hauskrankenpflege vorbildlich, engagiert und ohne jegliche Vorbehalte hinsichtlich der HIV-Infektion erbracht.

Mitte April wurde mit einer der großen österreichischen Pflegeorganisationen ein Vertrag über die Vermittlung von Pflegekräften abgeschlossen. Dazu war der Regionsverantwortliche dieser Organisation vor Ort in der Wohnung. Er hatte Einblick in das Betreuungsbuch und in die Pflegeunterlagen, die bisher vom Roten Kreuz geführt wurden. In der Dokumentationsmappe des Roten Kreuzes war gleich auf der ersten Seite die HIV-Infektion vermerkt. Der Regionsverantwortliche hat überdies lange Zeit mit der Einsatzleiterin der bisherigen Pflege durch das Rote Kreuz telefoniert und dabei die weitere Vorgangsweise abgesprochen. Auch den eingesehenen Befunden und Diagnosen war die HIV-Infektion zu entnehmen.

Senior hält sich an Griff fest
Eine Pflegeorganisation kündigte den Vertrag mit einem 81-jährigen Mann aufgrund dessen HIV-Infektion – fristlos und ohne Einbindung des Pflegepersonals.
Foto: APA/dpa/Jana Bauch

Die Pflegeorganisation vermittelte eine Pflegerin, die ihren ersten Turnus sogleich angetreten hat. Eine Woche später suchte die Bereichsleiterin die Wohnung auf. Dabei wurde unter anderem besprochen, dass RS alle drei Monate zur Überprüfung des HIV-Status in ein Krankenhaus gebracht werden muss. Auch diese Dame äußerte keine Bedenken bezüglich der HIV-Infektion.

Pflegepersonen gar nicht gefragt

Umso größer war die Verwunderung als vier Tage nach dieser Besprechung eine (andere) Vertreterin der Pflegeorganisation anrief und mitteilte, dass die schriftliche Auflösung des Vertrages bereits mit der Post unterwegs sei. Als Begründung hat sie ausdrücklich die HIV-Infektion genannt. Der Hinweis darauf, dass sein Status unter der Nachweisgrenze liegt, RS also gar nicht ansteckend ist, nutzte nichts. Das ändere nichts daran, dass kein Pflegepersonal bereit wäre, die Pflege zu übernehmen. Die Sache sei intern beraten worden, und man könne das den Pflegekräften gar nicht sagen. Diese würden das nicht verstehen, denn sie kämen alle aus Rumänien und der Slowakei und hätten halt alle diese negative Einstellung. Es war nicht die Rede davon, dass Betreuerinnen oder Betreuer selbst die Pflege abgelehnt hätten.

Die Pflegeorganisation hat also mit keiner einzigen der (angeblich derart vorurteilsbehafteten) Pflegepersonen auch nur versucht, die Sache zu besprechen und sie für eine Pflege von RS zu gewinnen. Auch die damals bereits vermittelte und tätige Pflegerin wusste nur, dass sie nicht von der ursprünglich vorgesehenen Kollegin abgelöst wird. Grund wusste sie keinen und ging davon aus, dass sie in vier Wochen wiederkommt. Sie (aus Rumänien kommend) hatte jedenfalls kein Problem mit dem HIV-Status.

Einen Tag nach dem Telefonat langte das Schreiben der Pflegeorganisation ein. Der Vermittlungsvertrag wurde mit Ende des laufenden Turnus der aktuellen Pflegerin fristlos (ohne Einhaltung der Kündigungsfrist!) aufgelöst. Zur Begründung hieß es lapidar: "Die Betreuung kann aus fachlichen Gründen den Betreuungskräften nicht übertragen werden. Eine Vermittlung von neuen Personenbetreuer*innen ist nicht möglich."

Österreichische Organisationen lehnten alle ab

Auf anwaltliche Intervention beharrte die Pflegeorganisation in einer schriftlichen Stellungnahme auf der fristlosen Auflösung. Auch der Umstand, dass die bereits vermittelte rumänische Pflegerin zur Fortführung der Pflege bereit war, änderte daran nichts. Die Pflegeorganisation könne die Qualitätssicherung nur gewährleisten, wenn sie jeden Turnus mit einer Pflegekraft abdecken könne, die mit ihr in einem Vertragsverhältnis steht. Wenn die bereits vermittelte rumänische Pflegerin bleiben und die Pflege von RS fortsetzen wolle, könne die Organisation "das gerne akzeptieren". Sie müsse dann aber aus dem Vertragsverhältnis mit der Pflegeorganisation ausscheiden ("Wir halten die Betreuerin nicht fest").

Obwohl sich die Aidshilfe Wien und das Rechtskomitee Lambda für RS einsetzten, blieb die Pflegeorganisation hart. Damit nicht genug. RS und seine Angehörigen versuchten dann bei den anderen in der Region verfügbaren österreichischen Pflegeorganisationen eine 24-Stunden-Pflege zu erhalten. Alle erklärten, dass dies nicht möglich sei, weil die Pflegekräfte aus Ländern kämen, in denen die Menschen eben solche Einstellungen hätten.

Slowakische Agentur hatte kein Problem

RS überlegte eine Klage wegen Diskriminierung, ist aber einige Wochen danach, mit mittlerweile 82 Jahren, verstorben. Er starb im Wissen, dass er wegen seiner HIV-Infektion diskriminiert wurde und niemand etwas dagegen tun konnte. Und die Diskriminierenden damit gut durchgekommen sind.

Zumindest wurde er in seinen letzten Wochen dann, trotz der geschlossenen Weigerung in Österreich, doch noch zu Hause gepflegt. Eine Agentur aus der Slowakei hatte, ebenso wie die von ihr vermittelten Pflegekräfte, kein Problem mit dem HIV-Status. Eine Schande für Österreich im Jahr 2023. (Helmut Graupner, 2.8.2023)