Showdown in der Sahelzone: Das diplomatische Tauziehen um den Militärputsch in Niger könnte sich bereits in den nächsten Tagen in einen blutigen Konflikt verwandeln. Gibt die nigrische Junta nicht bis Anfang nächster Woche ihre Macht wieder ab, wird dem Staatenbund Ecowas kaum etwas anderes übrigbleiben, als seine Drohung einer Intervention wahrzumachen – sonst verliert das Bündnis vollends seine Glaubwürdigkeit.

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Doch für den Fall eines ausländischen Einmarschs hat nicht nur die nigrische Junta einen "Krieg" angekündigt: Auch die drei anderen vom Militär regierten westafrikanischen Staaten Mali, Burkina Faso und Guinea wollen sich dann an die Seite der nigrischen Putschisten stellen.

Neuer Auftrag für Wagner-Söldner?

Die Folge könnte ein Regionalkrieg werden, wie ihn Westafrika noch nie erlebt hat: der "Erste Weltkrieg Westafrikas", wie Guineas Regierung sagt. Noch bleiben vier Tage, um die explosive Lage zu entschärfen – doch die Chancen dafür stehen schlecht, auch wenn Ecowas am Mittwoch eine Verhandlungsdelegation nach Niger entsandte. Und im Hintergrund lachen sich die russischen Wagner-Söldner ins Fäustchen: Sie rechnen damit, von Nigers Junta zu Hilfe gerufen zu werden.

Womöglich hat Nigers Junta-Chef Abdourahamane Tiani die Stimmung falsch gedeutet. Nach den Staatsstreichen in Mali, Guinea und Burkina Faso hatte Ecowas lediglich obligatorische Strafmaßnahmen eingeleitet: deren Mitgliedschaft suspendiert und mehr oder weniger harte Sanktionen erlassen. Mit einem militärischen Eingriff wurde in keinem der Fälle gedroht.

Neuer Ecowas-Vorsitzender

Inzwischen hat sich jedoch etwas Wesentliches geändert: In Nigeria wurde Bola Tinubu Anfang dieses Jahres zum Präsidenten gewählt, der im Juli auch noch den Ecowas-Vorsitz übernahm. Der 71-jährige Politiker war in den 1990er-Jahren als Demokratie-Aktivist vom nigerianischen Militärdiktator Sani Abacha in den Kerker geworfen worden. Seitdem ist seine Sympathie für Putschisten begrenzt.

"Es gibt keine gute Regierungsführung, keine Freiheit und keinen Rechtsstaat ohne Demokratie", sagte Tinubu schon vor dem jüngsten Coup in Niger: "Wir werden nicht akzeptieren, dass Westafrika einen Coup nach dem anderen erlebt."

Bei der Interventionsdrohung des nigerianischen Präsidenten handle es sich keineswegs nur um einen Bluff, ist Alex Vine, Afrika-Direktor der Londoner Denkfabrik Chatham House, überzeugt: "Tinubu ist allergisch gegen Putschisten." Werde Nigers Militär nicht gestoppt, könnten sich immer mehr Generäle in Westafrika ermuntert fühlen, ihre Panzer vorfahren zu lassen.

Als Grund für den Coup hatte Tiani eine sich verschlechternde Sicherheitslage und ökonomischen Stillstand angegeben. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er nur seiner Absetzung als Chef der Präsidentengarde durch Präsident Mohamed Bazoum zuvorkommen wollte. Jedenfalls hat sich die Lage sowohl in Mali als auch in Burkina Faso nach der Machtübernahme der Militärs gewaltig verschlechtert.

Wenig Unterstützung

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Allerdings wird Tinubu unter seinen Ecowas-Kollegen womöglich keine aktiven Teilnehmer für eine Intervention finden. Vor allem die Staatschefs frankophoner Länder müssen befürchten, dass der Schuss für sie nach hinten losgeht und sich ihre Bevölkerung gegen eine Rehabilitierung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich wehrt. Denn Tiani wusste seinen Staatsstreich als antikolonialen Befreiungsschlag zu verbrämen – ein bewährter Trick afrikanischer Autokraten.

Bazoum pflegte tatsächlich ein enges Verhältnis zu Paris: Er duldete als – beinahe – letzter Sahelstaat französische Soldaten im Land und belieferte französische Kernkraftwerke mit Uran. Vor zwei Tagen begann Frankreich damit, seine rund 600 Staatsbürgerinnen und -bürger außer Landes zu bringen.

Italiens Außenminister Tajani begrüßt in Rom Evakuierte.
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Ein italienischer Sonderflug beförderte 36 Italiener, 21 Amerikaner, vier Bulgaren und zwei Österreicher aus Niamey nach Rom. Zuvor war schon ein Österreicher in Sicherheit gebracht worden. Die rund 1.500 französischen, 1.100 amerikanischen und knapp 100 deutschen Soldaten bleiben dagegen vorerst im Land.

Aber selbst wenn Nigeria keinen Partner findet, könnte die afrikanische Großmacht eine Intervention alleine stemmen. Ihre Armee verfügt über mehr als 230.000 Soldaten, die nigrische über 5.200. Allerdings hofft Tinubu wie der Rest der Ecowas-Staaten, dass ein Truppeneinmarsch im letzten Moment noch abgewendet wird: wenn sich die nigrische Armeeführung im letzten Moment wieder von General Tiani distanziert, dem sie nach dem Putsch nur zögerlich ihre Unterstützung zusprach. (Johannes Dieterich, 3.8.2023)