Junger Mann mit Anzug und Brille hält Papier in den Händen
Dieses Bild entstand durch einen Befehl an die KI-Bildapp Midjourney: "Professionelles Bewerbungsfoto".
Midjourney

Seit Monaten sehe ich diese Bilder, aber seid mal ehrlich: Ihr habt doch geschummelt!", schreibt Céline Flores Willers in ihrem Posting im Karrierenetzwerk Linkedin. Die Gründerin erscheint auf dem Bild unter ihrem Beitrag wie animiert: weichgezeichnet, kaum Details in Haaren oder Gesicht. Es ist ihr Favorit unter den Ergebnissen vieler Apps, die sie testete. Sie alle versprechen, mit künstlicher Intelligenz (KI) formelle Bewerbungsfotos für den Lebenslauf zu erstellen, ganz unkompliziert.

Teure Fotografinnen und Fotografen seien nicht mehr notwendig, die KI könne innerhalb kürzester Zeit CV-würdige Bilder generieren – mithilfe einfacher Handyfotos oder Selfies. So lauten zum Teil die Werbeversprechen. Profilbildpro, Remini, playground.ai, realfakephotos.com heißen die Anbieter. Macht sich hier wieder ein Hype breit, wie jener um KIs, die das eigene Porträt in Comicfiguren verwandelt? Oder haben KI-Bewerbungsfotos einen Platz in Lebensläufen verdient?

Nicht zu viel lächeln, bitte!

Um sich – wortwörtlich – ein Bild zu machen, hat DER STANDARD eine der Apps getestet und sich Expertinnenmeinungen eingeholt. Das Start-up Profilbildpro hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 3000 Fotos an Kundinnen und Kunden gesendet. Für 24,90 Euro gibt es 24 Fotos zur Auswahl, für 50 Euro erhält man 100 Fotos.

Je mehr zur Auswahl, desto besser soll das Ergebnis werden. Der Algorithmus verbringe dann mehr Zeit mit dem Lernen, kann letztlich zuverlässiger abliefern, sagt Co-Gründerin Rufina Nemirov im Interview. Für diese Recherche wird es letztlich ein Foto aus dem "Premium"-Paket. Die Software braucht erst einmal 15 verschiedene Bilder von einem selbst. Selfies und Handyfotos reichen aus, aber Hintergrund und Gesichtsausdruck sollten möglichst neutral sein. Dann arbeitet der Algorithmus, wägt anhand der Originale ab, welche Gesichtszüge am wahrscheinlichsten passen. Wenige Stunden späte sind die Bilder fertig, die potenzielle Arbeitgebende überzeugen sollen: künstlich, aber irgendwie echt, ohne Poren und Pigmentveränderungen.

Ein Selfie der Karriere-Redakteurin Melanie Raidl
Ein Selfie der Karriere-Redakteurin Melanie Raidl.
Melanie Raidl
KI-Bewerbungsfoto der Karriere-Redakteurin Melanie Raidl
Und eines der Bewerbungsfotos, die die KI Profilbildpro auf Grundlage der Fotos generiert hat.
Profilbildpro

"Ausstrahlung weg"

Ganz überzeugt das Ergebnis die Personal- und Digitalisierungsexpertin Christina Mokoru nicht. "Derzeit nimmt die KI noch viel von der Ausstrahlung weg, gerade das Unperfekte, das einen ausmacht, ist wie wegradiert." Auf dem jetzigen Stand der Technologie wäre es sinnvoller, Originalfotos zu bearbeiten, etwa den Hintergrund zu ändern oder an der Frisur zu feilen. Einen Mehrwert bringe außerdem eine KI, die Fragen dazu stelle, für welchen Job sich Anwenderinnen und Anwender bewerben oder welche Position sie anstreben.

So könnte das Ergebnis inklusive Kleidung und Hintergrund ein authentischeres werden. Auch bei dem Ergebnis der Linkedin-Bloggerin Willers finden sich zahlreiche kritische Stimmen. "Schön zu sehen, dass sich der ‚good old invest‘ in eine gute Fotografin doch noch lohnt", schreibt eine Fotografin. "Kein Einziger unserer Testkunden würde einem fair bepreisten Business-Porträt das KI-Foto vorziehen", behauptet der CEO eines Foto-Start-ups.

Doch bei aller Diskussion geht der Trend in Bewerbungsprozessen seit Jahren dahin, weniger bis gar keinen Wert auf ein Foto im CV zu legen. Die Personalberatung Iventa etwa gibt dahingehend Workshops für Recruiterinnen und Recruiter. In diesen sollen sie lernen, unvoreingenommener auf Bewerbungsfotos zu blicken. Die Geschäftsführerin Charlotte Eblinger hat zwar bisher keine Bewerbungen mit KI-Foto gesehen, schätzt sie aber nicht als Nachteil ein.

Das Foto diene nur als eine Komponente von vielen im CV, welche die Person ausmachen. Solange man zu erkennen ist, zähle es nicht, ob es sich um ein KI-Foto oder ein Original handle. "Es ist legitim, für den Lebenslauf ein makelloses Foto auswählen zu wollen." Für Co-Gründerin Nemirov von der neuen Anwendung Profilbildpro hatte es einen Grund, sich nur auf diese Art von Fotos zu fokussieren. "Bewerbungsfotos haben einen Zweck, aber lösen weniger emotionale Verbindungen und Erinnerungen aus", sagt Nemirov, "gerade deshalb kann KI hier eine schnelle digitale Lösung sein."

Die Tech-Kennerin Rona Wang testete eine der KI-Bild-Apps und bekam ein fatales Ergebnis.
Rona Wang, Twitter

Rassistische Algorithmen

Trotzdem spielt auch die Ethik bei der Entwicklung der Apps eine zentrale Rolle. Wird der Algorithmus nicht inklusiv gefüttert, lernt er, Stereotype zu reproduzieren, wie etwa weiße Haut als die Norm einzustufen. Immer wieder stehen KI-zu-Bild-Generatoren in der Kritik, für nichtweiße Personen rassistische Ergebnisse zu liefern. Kürzlich veröffentlichte eine Absolventin des Massachusetts Institute of Technology, Rona Wang, ihr Ergebnis für ein "professionelles Jobfoto" von Playground.ai. Die asiatisch-amerikanische Wang erscheint darauf mit aufgehelltem Teint und blauen Augen.

"Ich dachte: ‚Wow, denkt dieses Ding, dass ich weiß werden muss, um professioneller zu werden?‘", sagte Wang dazu der Zeitung Boston Globe. Gegensteuern können Entwickelnde, indem sie Algorithmen mit so diversen Fotos wie möglich trainieren. Und da liegt die Verantwortung wieder bei echten Menschen, die hinter den KI-Apps stehen. (Melanie Raidl, 6.8.2023)