Hat mein Beruf eine Zukunft? Soll ich mich für eine Weiterbildung oder Umschulung entscheiden? Oder die Stelle wechseln? Wenn ja – wohin? Welche Stärken und Schwächen hebe ich in einem Motivationsschreiben hervor? Wie verkaufe ich mich in einem Bewerbungsgespräch am besten? Im Berufsleben stellen sich oft quälende Fragen, die durch die digitale Transformation dringlicher werden. Hilfe verspricht nun, ausgerechnet, künstliche Intelligenz (KI): Computerprogramme, die mit massenhaft Daten gefüttert werden, sollen die Situation des Einzelnen analysieren und personalisierte Tipps geben.

Man findet im Netz eine ganze Reihe von KI-gestützten Tools, die Bewerbern bei der Jobsuche assistieren – sei es, um Anschreiben zu verfassen, sei es, um individualisierte Lernziele zu formulieren. Mit KI soll die Karriereplanung ein Kinderspiel werden. Es gibt mittlerweile sogar Interviewsimulatoren, die als eine Art Sparringspartner Bewerbungsgespräche trainieren und auch auf Details wie Haltung und Augenkontakt achten. Auch Sprachmodelle wie ChatGPT oder Bard spielen bei der Jobsuche eine immer wichtigere Rolle.

Individuelle Unterstützung

Geht es nach den Tech-Vordenkern im Silicon Valley, soll KI zu einem lebenslangen (Lern-)Begleiter werden. Netscape-Gründer Marc Andreessen schrieb in einem etwas pathetischen Blogbeitrag unter der Überschrift "Warum KI die Welt retten wird", dass KI zu einer Art Wissensexplosion führen werde. Jedes Kind werde mit einem KI-Tutor aufwachsen, das es in seiner persönlichen Entwicklung unterstütze und ihr Potenzial mit der "maschinellen Version von unbegrenzter Liebe" maximieren werde; jede Person einen KI-basierten Coach, Mentor oder Trainer haben, der sie in allen Lebenslagen unterstützt. CEOs hätten ebenso einen künstlichen Assistenten, der ihre Intelligenz erweitere, so Andreessen.

Auch Microsoft-Chef Satya Nadella träumt von einer Zukunft, in der jede und jeder einen KI-gestützten Tutor, Programmierer oder Berater an seiner Seite hat. In einem Interview mit dem Technikmagazin Wired erzählte der CEO von seinem Indien-Besuch, wo die Regierung mithilfe von KI Verwaltungsleistungen digitalisiert. In einer Demo habe er gesehen, wie sich ein Bauer per Text-to-Speech-System nach einem Subventionsprogramm erkundigte und danach mit einem Chatbot die Formulare zur Antragsstellung ausfüllte. Behördengang per App, das hört jeder Tech-Investor gerne. Nadellas Begeisterung könnte aber auch damit zusammenhängen, dass Microsoft Indien bei der Digitalisierung der Verwaltung unterstützt und Milliarden Dollar in die Entwicklerfirma OpenAI investiert hat, deren Sprachmodell ChatGPT mit indischen Regierungsdokumenten gefüttert wurde.

Chatbot als Lehrkraft

Neben Ämtern soll die KI bald auch die Klassenzimmer erobern. So hat die Khan Academy, deren Lernplattform bereits 150 Millionen registrierte Nutzer zählt, einen experimentellen KI-Tutor entwickelt, der im Rahmen von Online-Lektionen an staatlichen US-Schulen zum Einsatz kommt. Statt die Lehrkraft zu fragen, sollen die Schüler den Chatbot konsultieren, wenn sie beispielsweise Fragen zu einer Mathematikaufgabe haben. Hängt man bei einer Bruchrechenaufgabe fest, gibt der Chatbot Hilfestellung.

Das Werkzeug soll Lehrkräfte entlasten und Kreativität bei Schülern entfesseln. Wenn der Lehrer krank ist, springt einfach die KI ein. Aber sieht so die Zukunft der Bildung aus? Schüler, die stundenlang auf Bildschirme starren und mit Bots lernen? Kann KI den Lehrermangel kompensieren?

Expertinnen und Experten sind da skeptisch. Der US-Astronom Clifford Stoll wetterte bereits in seinem 1999 erschienenen Buch Log Out, dass Lernsoftware Kinder zur passiven Unterhaltung wie beim Fernsehen erziehe: "Wir trainieren unsere Kinder für eine Karriere als Stammgast im Spielsalon – oder wenn’s gutgeht als Controller bei der Flugüberwachung." Sein Fazit: Computer haben im Klassenzimmer nichts verloren. Bildungsforscher geben zudem zu bedenken, dass in der Interaktion mit Maschinen die menschliche Komponente wie zum Beispiel emotionale Unterstützung verlorengehe.

Viele offene Fragen

Der Einsatz von KI-Tutoren in der Bildung oder Arbeit wirft zudem datenschutzrechtliche Fragen auf: Wo werden die Daten gespeichert? Wie gehen Anbieter mit sensiblen Daten wie etwa Gesundheitsdaten um? Werden diese an Drittparteien verkauft?

Tutoren, die zu einem steten Begleiter im Berufsleben werden, so wie es Investor Marc Andreessen vorschwebt, lernen über die Zeit ja einiges über die Person. Was, wenn die KI Anzeichen für eine Depression oder ein Burnout erkennt? Werden diese Daten an Krankenkassen oder Vorgesetzte weitergeleitet? Taugt die KI als Seelenklempner?

Dass den Diagnosen der KI nicht immer zu trauen ist, zeigt ein Fall aus den USA. Dort hat ChatGPT zwar theoretische Teile des staatlichen Medizinexamens geschafft, aber in der Praxis völlig falsche Behandlungsmethoden im OP-Saal vorgeschlagen. Es scheint, als habe die KI noch Nachhilfebedarf. (Adrian Lobe, 2.8.2023)

Ein Chatbot beantwortet eine Frage
Immer dabei und zum Einsatz bereit: Der Chatbot liefert die Antworten in Sekundenschnelle.
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