Mario Wurmitzer
Autor Mario Wurmitzer lässt es in seinen Texten oft brennen.
APA/GEORG HOCHMUTH

Hier wird Müllentsorgung groß gedacht: Abfallstoffe, Daten, aber auch unliebsame Erinnerungen lässt die Firma Alpha Solutions verschwinden. Sie ist in dem Segment Weltmarktführer, macht über 100 Milliarden Euro Umsatz jährlich, betreibt Standorte in 80 Ländern. Wo sie hingegen klein aussieht? Beim Arbeitnehmerschutz.

Man könnte ihre Angestellten auch Internierte nennen: Denn das Firmengeländ je zu verlassen ist nicht vorgesehen, außer der Arbeit wird hier gewohnt, geshoppt, zum Arzt gegangen, sich fortgepflanzt. Ehen werden gestiftet, statt Internet gibt’s nur Intranet, 160 Grundsätze regeln das Zusammenleben. Früh fällt in Es könnte schlimmer sein von Mario Wurmitzer (nicht verwandt mit dem Autor des Textes) der schön gehirngewaschene, doch nicht lang Gültigkeit behalten sollende Satz: "Wir gaben den Vorständen keinen Grund, uns zu misstrauen."

Es ist der zweite Roman des 1992 in Mistelbach geborenen Autors. Schaut man auf die Liste seiner bisherigen Publikationen, hat er ganz klar einen Narren an Dystopien und Satire gefressen. Beim Bachman-Preis heuer nahm er mit einem Text über einen Autor teil, der zu Showzwecken in einer Tiny-House-Mustersiedlung wohnt und sich dabei rund um die Uhr filmen lässt. Der Text ginge auch als Spielvorlage für ein Bullshit-Bingo des spätkapitalistischen Wirtschaftssystems durch.

Zukunftspessimismus

In seinen Theaterstücken ist die Themenlage ähnlich zukunftspessimistisch. Da will eine junge Frau mithilfe von KI ihren Partner optimieren (Die Veredelung der Herzen, 2023) oder finden Jugendliche keine überzeugenden Angebote in den Lebensentwürfen ihrer Eltern (Als wir unsere Blockflöten verbrannten, 2022).

Im ersten Roman des Autors, Im Inneren des Klaviers (2018), ging es um eine junge Frau, die aus einem repressiven Königreich flieht, dem langen Arm des Herrschers aber nur schwer entkommt – doch die Revolution rollt unweigerlich heran. An diese Konstellation erinnert Es könnte schlimmer sein.

Der Roman spielt anno 2037, sein Haupthandlungsort ist die Konzernfiliale in Gerasdorf bei Wien und die alte Revolutionsparole vom Kaputtmachen, was einen kaputtmacht, wird nur von wenigen und hinter vorgehaltener Hand im Mund geführt. Vergessenspillen (entwickelt in Salzburg, denn „Vergessen hatte in Österreich eine lange Tradition, auf der man aufbaute“) halten die Belegschaft still, dennoch haben Aggression und Hass zugenommen, zeigen Messungen. Als Spezialistin für Aggressionsabbau hat die Angestellte Anna, Mitte 30, neben einer geheimen Büchersammlung (Goetz! Canetti!) in Workshops aber auch Augen öffnenden Zugang zu Rebellen: Es sind meist Jugendliche.

Bittere Pillen zur Gegenwart

Es könnte schlimmer sein ist unschwer als Parabel auf unsere Welt zu lesen. Vielleicht zog Wurmitzer die Inspiration für die jungen Widerständigen aus seinem Brotberuf als Lehrer, man denkt aber schnell an Bewegungen im echten Leben wie Fridays for Future oder die Letzte Generation. Wenn Umweltgesetze den Profit beeinträchtigen, klagt Alpha Solutions schon mal ganze Länder, die Firmenunkultur taumelt zwischen Silicon Valley und chinesischem Sozialkreditsystem. Namen wie Apple und Tesla fallen.

Auf 240 Seiten versucht Anna, den Konzern von innen zu stürzen oder ihm zu entfliehen, um ihn von außen unschädlich zu machen. Unterwegs geht es ins Headquarter nach London, zerlegt sich die "Blauhosenbewegung" für mehr Verteilungsgerechtigkeit selbst, und stellt sich eine Konkurrenzfirma in puncto Umgang mit Arbeitnehmern nur als wenig besser heraus. Das Bauprinzip ist additiv, von einer Situation führt der Roman zur nächsten. Linien, die sich unter der Oberfläche entwickeln und verschlingen, gibt es so wenig wie Parallelstränge. Das macht die Erzählung etwas schlicht.

Dafür denkt die (pessimistische) Entwicklungsgeschichte an die Probleme der Unterdrückten, sich in plötzlicher Freiheit zurechtzufinden, die Tücken von Social Media, buntes Marketing zur Kaschierung handfesterer Interessen. Absurdität und Dramatik nehmen zu, Feuer brechen aus, ein Shared-Leadership-Modell des Despotismus wird eingeführt, Menschen randalieren für ihre Unmündigkeit. Soll keiner sagen, Mario Wurmitzer hätte nicht gewarnt! (Michael Wurmitzer, 5.8.2023)