Mario Wurmitzer
Autor Mario Wurmitzer am letzten Lesetag des Bachmannpreis-Bewerbs 2023.
ORF/JOHANNES PUCH

Man hat nach so vielen Jahren eben eine gemeinsame Geschichte: "Das mag so sein, mich wirft‘s jetzt aber nicht so um. Er ist so mittel", befand Juror Philipp Tingler am dritten Lesetag über einen Beitrag. "Wenn Philipp Tingler das sagt, dann wird der Text Bachmannpreis-Sieger", konterte Jurykollege Klaus Kastberger. "Da kann ich jetzt ausnahmsweise nicht widersprechen", gab Tingler zurück. Üblicherweise finde er nämlich die von Kastberger mitgebrachten Texte nur so "mittel", und gerade dessen Autoren haben in Klagenfurt seit Jahren einen Lauf. Zuletzt gewann die vom Grazer Professor eingeladene Ana Marwan den Hauptpreis, der von ihm mitgebrachte Elias Hirschl wurde zugleich Publikumspreisträger 2022. Morgen, Sonntag, wird man sich neue Gewinnernamen merken müssen. Darunter vielleicht den von Mario Wurmitzer.

An Hirschls Beitrag erinnerte nämlich Wurmitzers nun ausgerechnet von Tingler nominierte Text im Grundton: Das Tiny House ist abgebrannt stichelte satirisch gegen spätkapitalistische Start-up-Economy und Marketingsprechhohlheit. Pointe: Tatsächlich hatte Kastberger Wurmitzer (der Autor dieser Zeilen ist nicht mit ihm verwandt) auch fast eingeladen.

Beide haben recht

Der Text des 30-Jährigen kam als "cool", "wunderbar leicht" und dank der Themenlage zwischen Wohnen, Mental-Health-Hype und Selbstentblößung in sozialen Netzwerken als "sehr zeitgemäß" an. Er stieß für einen Teil der Jury aber auch an seine Grenzen, Insa Wilke etwa war er zu eng, sie wusste danach auch nur, was sie schon zuvor gewusst hatte. "Ich würde hinterfragen, dass die bierernsten Texte die wirksamsten sind, und Texte, die humorvoll sind und das Publikum ansprechen, weniger wirksam", widersprach Kastberger. Beide Jurymitglieder hatten auf ihre Art recht.

Mehr nach Wilkes Geschmack hatte zum Start des Tages Yevgeniy Breyger gelesen. In dessen Beitrag besucht der Erzähler den mit einem Schlaganfall in die Notaufnahme eingelieferten Vater und taucht dabei in die Traumata seiner Familiengeschichte ein. Ein gut gemachter Text, konnten sich alle bis auf Tingler einigen - Stichwort "mittel".

Finale Versöhnung

In Opposition zum Rest der Runde war Tingler dann auch in seinem Urteil zu Laura Leupi aus der Schweiz. Er ortete "Totalitarismus" und "Moralisierungsüberschuss", wo Mara Delius lobte: "Der Text versucht, eine Sprache zu finden für das, was mit dem Wort Vergewaltigung nicht gesagt ist". In der Tat.

Jedenfalls erging es Leupi besser als dem letzten Lesenden der heurigen Ausgabe: Deniz Utlu. Dessen in der Szenenauswahl breit angelegte und damit allzu kursorisch erzählte Coming-of-Age-Geschichte in den 1990ern mit türkischem Migrationshintergrund fiel Großteils durch und veranlasste Kastberger zum wohl schärfsten Verriss des ganzen Bewerbs. Der Text war ihm viel zu konventionell, zu auserzählt, zu gefällig, zu bekannt. Da gab Tingler Kastberger dann sogar einmal recht. Und Brigitte Schwens-Harrant gab zu, sie sei nach drei Lesetagen zu milde geworden, um noch nachzutreten. Autsch!

Neben Breyger vom Samstag wird wohl auch die Österreicherin Anna Felnhofer, die am Freitag gelesen hat, bei der Preisverleihung am Sonntag weit vorne landen. (Michael Wurmitzer, 1.7.2023)