Anna Felnhofer
Die Österreicherin Anna Felnhofer erhielt beim Bachmannpreis am zweiten Lesetag viel Lob.
ORF/JOHANNES PUCH

Klagenfurt – Vom Bürgermeisterempfang optisch (Sonnenuntergang über dem See), kulinarisch (Aperol, Schnitzel, Schaumrollen etwa) und nach der Rede des Gastgebers auch moralisch gestärkt, gingen die "Literaturfreundinnen und Literaturfreunde" (Bürgermeister Christian Scheider) an den zweiten Lesetag. Er begann für Juror Klaus Kast­berger mit einem Flashback. Nämlich nahm Sophie Klieeisen die Eröffnung des Berliner Humboldt-Forums zum Anlass für eine Satire auf die Kulturblase. Weiße Turnschuhe und Geltungsdrang hatte Kastberger am Vorabend offenbar auch im Garten von Schloss Maria Loretto bemerkt. Die Jury war gespalten.

Wenn sich am zweiten Lesetag ein roter Faden durch die Texte zog, dann leidende, unglückliche Mütter. Den Abschluss machte die Wienerin Anna Felnhofer, nebenbei Kinder- und Jugendpsychologin, mit einer literarischen Fallstudie. Eine Mutter, die "der Vater eines Tages hat sitzen lassen und die seither so sitzen geblieben war" (die sprachliche Präzision beeindruckte die Jury ungemein), hat darin einen Sohn, der keine Gesichter identifizieren und also keine Beziehungen aufbauen kann. Lob galt aber auch der "immer so komplexe Texte" einladenden Brigitte Schwens-Harrant.

Tränen als Qualitätsmerkmal?

Die Publikumslieblinge waren ­jedoch Martin Piekar und Jacinta Nandi, wer beide nachholen möchte, sollte sich die Vorträge anhören! Piekar erzählte rau-zart eine von Einsam- und Sprachlosigkeit gepeinigte Mutter-Sohn-Beziehung vor polnischem Migrationshintergrund. Muss Figurenentwicklung immer in der Logik eines Goethe’schen Bildungsromans erfolgen, oder geht sie auch als Ausbruch? Bitte gerne auch so, solange so ein Text rauskommt! Mara Delius war zwar nur spöttelnd "froh, dass Mithu Sanyal immer mit ihrer Kategorisierung 'hat sie beim Text geweint oder nicht', kommt", doch trotz der Tränen beeindruckt.

Nandi spielte indes mit viel Humor rasant mit den Reizthemen Veganismus, Abtreibung und koksende deutsche Mütter. Hier werde ­ausgesprochen, was man eigentlich nicht aussprechen dürfe, fand sich Sanyal abgeholt. Wird man "politische Comedy" (Insa Wilke) prämieren? Verdient wär’s! Am Ende forderte Nandi Kinderbetreuung beim Bachmannpreis – auch das musste offenbar mal gesagt werden. (wurm, 30.6.2023)