Valeria Gordeev
Valeria Gordeev las am Donnerstag in Klagenfurt. Der Jury gefiel es sehr.
ORF/JOHANNES PUCH

Klagenfurt – Dass die Teilnehmenden des Bachmann-Wettbewerbs mit dem stummen Erdulden der Jurydiskussion geschlagen seien, wird hin und wieder bekrittelt. Zum Auftakt der 47. Lesetage verteidigten sie dies aber als Privileg. Das ihnen von Moderator Peter Fässlacher angebotene Schlusswort lehnten indes alle am ersten Lesetag freimütig ab. "Danke", sagten sie nur.

Zuerst Jayrôme C. Robinet, vor 46 Jahren in einem weiblichen Körper geboren. Selbst trans, erzählte er schlaglichthaft aus dem Leben einer Transperson. Das Problem, einen zusammengekürzten Roman nach Klagenfurt mitzubringen, zeigte sich so, dass die eingangs sensible kind­liche Faszination für den Vater in eine Kompilation plakativer Szenen im Erwachsenenleben überging: Er wird als erster Mann schwanger, hat "einen Vagina mit Variationshintergrund". Anrührend, aber konventionell, fand die Jury.

Ich, ich, ich

Es war nur der erste von vielen Ich-Texten heuer. Elf sollen es laut Jury sein. Als er als ­Juror begonnen habe, sagte Klaus Kastberger, ­hätten Verlagsmenschen ihm bekundet, solche ­Texte zurückzuschmeißen – "da hat ein Paradigmenwandel stattgefunden". Der die Jury nun beanspruchte: Wie trennt man Autor und Text? Die einen forderten es, Kastberger dagegen hielt dies "für die größte Lüge in der Literaturtheorie".

An der wurde auch gerüttelt, als Mithu Sanyal mangels des von Andreas Stichmann beschriebenen Männertypus (65, aber bemüht, heute nicht den Anschluss zu verlieren) in ihrem Umfeld nicht in den Text finden konnte. Identifikation könne kein Kriterium sein, schallte es ihr entgegen. Insa Wilke tat sich dafür leicht, da sie im Helden etwa den deutschen Humoristen Loriot und ihren eigenen Vater erkannte. Wie "selten" der (wirklich gute) Humor der lapidar hinge­tupften Szenen "in der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur" sei, würden wir "in den kommenden Tagen noch qualvoll sehen", drohte Jurorin Mara Delius. Mindestens sechs weit bessere Texte kündigte Kastberger an. Dieser verfüge nur "über Mittel, die eh alle beherrschen". "Schön wär's", verteidigte indes Philipp Tingler.

Fans des Putzens

Anna Giens Beitrag war keiner der besseren. Er drehe sich um sich selbst "wie ein Staubsauger, der in eine Ecke geraten ist", befand Tingler. Der Text sei ihm einmal runtergefallen, man könne ihn in irgendeiner Reihenfolge lesen. Kastberger fand an dem als Tagebucheinträge, deren Literarizität er überhaupt anzweifelte, einer Ich-Erzählerin aufgebauten Text immerhin originell, dass man Thomas Bernhard als sexuelles Wesen sehen könne. "Ich habe lange so geschrieben und es gehasst", sah sich Sanyal wieder nicht tauglich als Zielgruppe. Sie habe damals irgendwie internalisiert, dass man "das so nicht machen könne", dass so ein "Text von einer Frau sei", man "echte Literatur" schreiben müsse. Insofern bewunderte sie, dass der Text "sich das traut", ob sie es "ertragen kann", wusste sie aber nicht. Gewagte Worte der Neuen in der Jury.

Einhelliges Lob ("Überpräzision", "Konzentration") bekam indes Valeria Gordeevs Er putzt über einen Mann mit Reinigungszwang. "Kalkflecken kann man nur gern haben“, identifizierte der andere Juryneuling Thomas Strässle als den emotionalen Höhepunkt des Beitrags. Juror Tingler tat bei der Gelegenheit kund, dass er selbst nicht putzt. Davon schien keiner überrascht. (wurm, 29.6.2023)