Beate Meinl-Reisinger hat im ORF-Sommergespräch, wie es im Politjargon heißt, klare Kante gezeigt. Vor allem bei einem Thema kam die Neos-Chefin ohne ein Wenn und Aber aus. Ob höhere oder neue Steuern: Für nichts davon sei ihre Partei zu haben.

Vor einem Jahr argumentierte die Oppositionspolitikerin noch differenzierter. Einem Comeback der Erbschaftsteuer verschließe sie sich nicht per se, wenn dafür die Arbeit entlastet werde, hieß es damals. Davon ist nun keine Rede mehr. Die Nachfrage von Moderatorin Susanne Schnabl, ob da eine rote Linie liege, quittierte Meinl-Reisinger mit Zustimmung.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger
Zog im ORF-Sommergespräch eine rote Linie bei der Erbschaftssteuer: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
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Dass eine erklärte Verfechterin von Leistungsprinzip und Chancengleichheit justament Einkommen als sakrosankt definiert, hinter dem keine andere Leistung steckt, als in eine begüterte Familie hineingeboren zu werden, verwundert nicht nur inhaltlich. Strategisch engt die Festlegung die Möglichkeiten für den Sprung in eine etwaige künftige Regierung ein.

Meinen die Neos ihre Ansage ernst, verschreiben sie sich de facto der ÖVP. Denn für die SPÖ, die zweite größere mögliche Koalitionspartnerin, ist die Steuerfrage zu bedeutend, um zu hundert Prozent einer kleineren Partei nachzugeben. Der von der Linken gepushte Andreas Babler kann es sich schlicht nicht leisten, Vermögen völlig ungeschoren zu lassen.

Vollmundige Versprechen

Das Dilemma dahinter: Medien und Anhängerschaft gieren nach eindeutigen, knackigen Aussagen, wie sie Meinl-Reisinger bot. Doch bei späteren Koalitionsverhandlungen hängen Politikerinnen und Politikern die vollmundigen Versprechen von einst wie Mühlsteine am Hals.

Auch Babler ist da ein Getriebener. Um die Erwartungen seiner Fangemeinde zu befriedigen, hat der neue Parteichef die alte Forderung der Vermögensbesteuerung zur Koalitionsbedingung erhoben. Immerhin ließ er dabei so viel Spielraum offen, sich nicht auf eine konkrete Variante zu versteifen.

Zu Unrecht wird ihm allerdings vorgehalten, eine Koalition mit der ÖVP voreilig ausgeschlossen zu haben, obwohl diese womöglich die einzige realistische Chance auf eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung ist. Was in mancher Schlagzeile zu lesen war, hat der neue SPÖ-Chef so nicht gesagt. Babler sprach lediglich davon, dass sich die Kanzlerpartei im aktuellen Zustand selbst aus dem Spiel nehme. Das lässt die Möglichkeit offen, dass die SPÖ bei gemeinsamen Koalitionssondierungen eine türkise Läuterung wahrnimmt.

Trotzdem könnte Babler auch diese Aussage noch argumentativ zu schaffen machen – wenn sich die verzerrte, weil verkürzte Version im kollektiven Gedächtnis festgesetzt hat.

Sosehr das Publikum auch genervt ist, wenn in Interviews herumgeeiert wird: Mitunter sind Politikerinnen und Politiker gut beraten, Festlegungen zu scheuen. Wer rote Linien zieht, sammelt zwar Sympathien. Doch müssen diese später überschritten werden, weil Regierungskoalitionen nun einmal Kompromiss bedeuten, schlägt das Pendel in die Gegenrichtung aus: Dann schreien dieselben Wähler Verrat. (Gerald John, 8.8.2023)