Auf der einen Seite fallen die Schubladen auf, auf der anderen Seite kriegt man sie gar nicht zu!" Anton Riepler steht in der höchstgelegenen Küche Österreichs und witzelt. Aber irgendwie auch nicht. Der Pächter der Berghütte spricht von den Laden in der urigen Küche, die in eine der Theken eingebaut sind. Je nachdem, welcher Tag und welche Tageszeit gerade herrscht, steht das Haus schief.

Es schmiegt sich auf 3454 Meter Seehöhe auf unebenem Boden an den Felskopf der sogenannten Adlersruhe am Großglockner, von hier sind es noch gut 300 Höhenmeter bis zum Gipfel. Mal taut der Permafrostboden unter der Erzherzog-Johann-Hütte auf, mal friert er wieder etwas zu. Sie wackelt also in Slow Motion. Und völlig exponiert auf einem der höchsten Flecke Österreichs zeigt sie stellvertretend: Das immer wärmere Klima bringt Mensch und Natur ins Ungleichgewicht.

Erzherzog Johann Hütte, Adlersruhe, Klimawandel
Bitte Rechte (Credit) ergänzen

Riepler verbringt jedes Jahr mehr als 100 Tage auf der Erzherzog-Johann-Hütte, wie ein Hausmeister untersucht er die kleinen Baustellen des mehr als 143 Jahre alten Gebäudes. "Immer wieder muss ich dann die Türen nachziehen, manchmal dreimal am Tag." Seit sieben Jahren ist Riepler Pächter der höchsten Schutzhütte des Alpenlandes. Sie dient quasi als das Basislager für Bergsteigerinnen und Alpinisten vor dem 3798 Meter hohen Gipfel des höchsten österreichischen Berges. An diesem Tag nimmt sich der Wirt einige Stunden, um über die Folgen des Klimawandels für die Hütte und die Umgebung des Großglockners zu sprechen. Wie jeden Tag gibt es in der Stube selbstgemachten Kuchen.

Adlersruhe und Erzherzog Johann Hütte vom Klima bedroht
Pächter Toni Riepler auf der Terrasse der Erzherzog-Johann-Hütte.
Melanie Raidl

DER STANDARD hat sich für diese Geschichte selbst Steigeisen und Klettergurt angeschnallt. Um über den Erhalt und die Zukunft der Adlersruhe im "neuen Klima", wie Riepler es nennt, zu sprechen, braucht es eine zweitägige Wanderung und Besteigung. Es geht über Felswände und Klettersteige und in Seilschaft über Schnee und Eis auf dem Gletscher entlang. Wie bei vielen anderen ist das auch in diesem Fall nur in Begleitung eines Bergführers möglich. Es ist ein unbeständiger Tag, die Adlersruhe ist von Nebel umgeben, ein eisiger Wind bläst um alle Ecken, hin und wieder fallen ein paar Schneeflocken. Klimawandel? Hier? Pächter Riepler führt von der Küche aus um die Hütte. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass die Erderwärmung hier irgendwie beeinträchtigen könnte.

Erzherzog Johann Hütte, Adlersruhe, Klimawandel
Bitte Rechte (Credit) ergänzen

Extremwetter häuft sich

"Die Natur nagt extrem an der Hütte", erzählt Riepler bei der Besichtigungstour. Auf der Terrasse vor dem Eingang greift er auf die Fassade aus Holzschindeln. Sie bewegen sich unter seiner Hand teils wie lockere Milchzähne. "Eine Gefahr sind auch die immer größer werdenden Hagelkörner." Die extremer werdenden Wetterereignisse machen es schwieriger, scheinbar unantastbaren Schutz für Gipfelstürmende zu bieten. Dabei wurde die Hütte in den Jahren 2000 bis 2016 generalsaniert, der Steinbau umgebaut mit Vollholzwänden mit Holzfaserdämmung. Ein Blick über das Ende der Terrasse auf die Hausmauern zeigt, wie die Hütte trotz schwindenden Permafrosts weiter Stand halten soll: Zehn fassadenhohe Ausbuchtungen der Außenwand umgeben die Hütte. In ihnen hausen die Anker und Pfähle, die das Gebäude mit dem Berg verbinden.

Ein Blick Richtung Dach, wo der Felsen oberhalb der Adlersruhe gen Himmel ragt, enthüllt reiche Formenvielfalt: Durch allgemein wärmere Temperaturen stapeln und reihen sich dünne Felsstücke aufeinander. Sie sehen aus wie lose aufeinander gelegte Marmorplatten. Das Eis, welches das Gestein zusammenhält, ist geschmolzen, übrig bleiben die Gesteinsstücke. Das Bild zeigt: Der Berg ist in Bewegung und gerät auch durch das Schmelzen und immer mehr Nässe ins Wanken. Vor allem, weil es auf Österreichs höchster Schutzhütte nun mehr regnet als schneit – ganz im Gegensatz zu vor einigen Jahrzehnten.

Erzherzog Johann Hütte
Drinnen bietet die Hütte Schutz vor starken Gewittern.
Melanie Raidl

"Früher", sagt Riepler bei einem Kaffee zurück in der Küchenstube, "hat es hier nie Regen gegeben." Bis Mitte Juli war alles Eis und der Permafrost um die Hütte gefroren. Jetzt sei der Regen bereits häufiger als der Schnee. Während vor Jahren im Juni meist noch tiefste winterliche Verhältnisse geherrscht haben, taue heute um die Zeit schon alles auf, und Wasser käme vom Himmel auf fast 3500 Meter.

Mehr Gäste, mehr Gefahren

Die Wetterverhältnisse machen es dazu noch schwieriger, überhaupt zu diesem Platz zu gelangen. In der großen Umgebung der höchsten Berghütte Österreichs herrschen keine einfachen Verhältnisse: Die Pasterze, der Gletscher am Großglockner, schmilzt in rasantem Tempo. Der Permafrost schwindet auf allen Wegen, die zum Gipfel führen, das Geröll auf dem Berg wird locker.

So gibt es mehr Steinschläge, einen generell steileren Berg und auch mehr unvorhersehbare Gletscherspalten. Selbst für Erfahrene kann ein Sturz in die Spalte tödlich enden, wenn die Rettungsmethoden nicht glücken. Nichtsdestotrotz: Zur Adlersruhe kommen pro Tag etwa 100 bis 150 Gäste, jeden Tag zählt Riepler etwa 55 Übernachtungen. Die Glocknerbesteigung boomt auch bei Menschen, die noch keine jahrelange Erfahrung im Bergsteigen haben. Die Schutzhütte ist wie ein Basislager, das nur etwa mehr als 300 Meter Höhenmeter unterhalb des Gipfels Erholung, Essen, Trinken, Zuflucht oder Schlaf gewährt. Sie ist die einzige Hütte, die dem Verein Alpenklub gehört. Logistik und Infrastruktur sind hauptsächlich mit der Materialseilbahn geregelt. Diese befindet sich direkt vor der Hütte neben dem Aufstieg des Wegs der Erstbesteigung von Heiligenblut kommend.

Erst vor mehr als einer Woche hat eine Reihe an starken Unwettern die Seilbahn völlig außer Gefecht gesetzt. Zwar sei Blitzschlag nicht ungewöhnlich für die Adlersruhe, er zeige aber, wie die Erhaltung der Hütte immer schwieriger werde, sagt Riepler. Der Blitz hat die Seile der Bahn getroffen und sie geschmolzen. Eine Spezialfirma musste kommen, die Seilbahn aushängen und sie erneuern. Verletzte Personen oder Mitarbeitende ins Tal zu bringen, sei aber noch immer nicht möglich.

Erzherzog Johann Hütte
Felsstücke und ein Landeplatz für Hubschrauber.
Melanie Raidl

Dabei war dies ein zunehmend wichtiger Aspekt der Seilbahn. Um mehr Personal zu halten oder noch einmal anstellen zu können, soll es für die Beschäftigten möglich sein, an freien Tagen ins Tal zu fahren. Außerdem ist die Adlersruhe häufig die erste Stelle, um Verletzte zu versorgen. Auch diese könnten gemeinsam mit einer für die Materialseilbahn geschulten Person nach unten gebracht werden.

Langsam füllt sich die Hütte, es ist jetzt mittags, die ersten Bergsteigenden haben es vom Gipfel in das Gebäude geschafft. Eine Gruppe aus Polen will sich im Speiseraum stärken. Für Toni Riepler bedeutet das Zeit für ein bisschen Sport, während die Mitarbeitenden die Speisen servieren. Bevor er nach draußen geht, zeigt er noch auf seine Sammlung an glänzenden Bergkristallen. Wenigstens einen Vorteil hat das schmelzende Eis: Er kann leichter neue Exemplare finden. Und die zunehmende Gästeschar kann sich darüber freuen.

Mehr extreme Witterung und mehr Nässe durch die wärmeren Temperaturen: Die Erzherzog-Johann-Hütte ist die höchste Schutzhütte Österreichs und kämpft um ihr weiteres Bestehen. Anker, Dämmung und Sanierungen helfen ihr. (Melanie Raidl, 15.8.2023)