Thomas Perle
Aus Sprachzerrissenheit wird bei Thomas Perle eine besondere Kunstsprache.
Volker Schmidt

Ich pin a teitschi ßeel" – mit der Sprache in Thomas Perles Theaterstücken hat es eine besondere Bewandtnis. Die auf der Bühne tonal gefärbten, ungewöhnlich akzentuierten Sätze offenbaren beim Lesen und Erkennen der Buchstaben erst ihre signifikante Eigenwilligkeit. "Farruckt" steht da geschrieben oder "Wär ßeits eeß?".

Dramensprache ist eben nicht nur Handlungsträgerin, sondern behauptet sich als eigenständiges gestalterisches Kraftgebiet. Im Fall von Thomas Perle, 1987 in Oberwischau in Rumänien als Nachfahre der aus dem Salzkammergut ausgewanderten Bevölkerung geboren, trägt sie auch historische Bruchlinien in sich. Sie macht in Melodien, Satzbauweisen, kantigen Wendungen die Angst- und Aggressionszustände, das Selbstverständnis der Figuren augenscheinlich.

Rumäniendeutsche Familie

Spätestens mit karpatenflecken trat Thomas Perle ins Rampenlicht der zeitgenössischen Dramatik. Das Stück wurde infolge der Retzhofer-Dramapreis-Würde 2019 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt und feierte mit Corona-Verspätung auch am Burgtheater Premiere. Es geht darin um drei Generationen einer rumäniendeutschen Familie in einem Karpatendorf und ihre den Grenzverschiebungen und Staatenwechseln ausgesetzte Entwicklung bis zur erneuten Migration.

karpatenflecken ist vollgesogen mit autobiografischem Material des Autors und dessen zwischen diversen Sprachen und Nationen aufgespannter Familiengeschichte. Die Großmutter hat Perle über Jahre die Herausforderungen dieser migrantischen Vergangenheit geschildert. "Ich habe alle Geschichten so aufgesogen, dass sie wohl irgendwann in literarischer Form wieder aus mir herausmussten", sagt Perle im STANDARD-Gespräch.

Oma Perle hinterließ ihrem Enkel auch Audiokassetten. Wertvolles Material, denn die Sprache des Zipserischen bzw. das Wischaudeutsch, eine Mischung aus Jiddisch, Deutsch und Rumänisch, ist vom Aussterben bedroht. Perle spricht sie noch, dazu noch Deutsch, Rumänisch und – dank seines Vaters – auch Ungarisch. Vielsprachigkeit prägt auch seine Literatur.

Identität, Glaube

Als Vierjähriger ist Perle mit seiner Familie nach Deutschland ausgewandert, in Nürnberg aufgewachsen und vor etlichen Jahren in Wien heimisch geworden. Themen innereuropäischer Migration und Minderheiten nehmen in seinem bisherigen Werk eine entscheidende Stellung ein, auch im Prosaband wir gingen weil alle gingen von 2018. Sie gehen mit Fragen nach Nationalität, Sprache und Identität einher.

Das jüngste Auftragswerk an den 36-Jährigen feiert heute im Kulturverein Griessner Stadl seine Uraufführung, Protestantenvertreibung aus der heimath. Darin geht es um die von Maria Theresia angeordnete und brutal exekutierte Abschiebung der evangelischen Gläubigen aus Österreich in den Jahren 1773 bis 1776, hier konkret aus dem Murtal, wo der Griessner Stadl liegt. Die Zerrissenheit im Leben eines jungen Paares überträgt Perle – ähnlich seinem Vorgänger Karl Schönherr in Glaube und Heimat (1910) – in eine rhythmische, historisierende Kunstsprache nicht selten deformierter Sätze.

Stadtschreiber in Temeswar

Für ortsspezifische Themen scheint Thomas Perle prädestiniert. In den vergangenen Jahren verfasste er während längerer Aufenthalte in Rottweil, Graz, Katzendorf in Siebenbürgen und Rus in Bulgarien Stücke mit jeweiligen Bezügen. Derzeit hält sich der Autor in der Kulturhauptstadt Temeswar auf, wo er als Stadtschreiber an einem Stück über die jüdische Sängerin Sidy Thal und den rumänischen Antisemitismus der 1930er-Jahre arbeitet.

Das Stück Live (2020) über die ungarische Minderheit Rumäniens wiederum entstand für das Nationaltheater Sibiu. Alle acht Donausprachen fanden in Donauwellen (2021) Eingang. Auch in Stadl an der Mur hat Thomas Perle nun recherchiert und die ehemals protestantischen Höfe besucht, mit der Bevölkerung gesprochen sowie die Korrespondenzen von Kaiserin Maria Theresia durchforstet. Zur Uraufführung am Donnerstag reist er selbstverständlich an. (Margarete Affenzeller, 10.8.2023)