Energierechnungen zu verstehen ist fast eine Wissenschaft – was kein großes Problem war, solange die Energie billig war und die Angelegenheit von den meisten Menschen als nicht besonders wichtig erachtet wurde. Mittlerweile jedoch sind die Preise in die Höhe geschossen und für viele zum echten Problem geworden. DER STANDARD bekommt zahlreiche Zuschriften von Leserinnen und Lesern, die Unklarheiten in ihren Rechnungen orten oder sonstige Fragen zum Thema Energieversorger haben. Hier versuchen wir sie zu beantworten. Der erste Teil handelt von grundlosen Kündigungen.

Früher, als die Energie noch billig war, waren komplizierte Rechnungen den meisten Kundinnen und Kunden egal. Das hat sich stark geändert.
Früher, als die Energie noch billig war, waren komplizierte Rechnungen den meisten Kundinnen und Kunden egal. Das hat sich stark geändert.
IMAGO/Sven Simon

Frage: Obwohl sie in Wien lebt, ist Michaela Tomitsch* Stromkundin bei der Stadtwerke Wörgl GmbH in Tirol – aber nicht mehr lange. Denn Tomitsch wird gekündigt. "Es ist uns aus wirtschaftlichen Gründen leider nicht mehr möglich, Kund:innen außerhalb von Tirol mit unserem Produkt zu beliefern", teilt das Unternehmen brieflich der Kundin mit. "Wir müssen Ihren bestehenden Liefervertrag mit Wirksamkeit zum 30. September 2023 kündigen." Geht das denn so einfach?

Antwort: Die Kurzfassung – ja, es geht. Wegen der Vertragsfreiheit, die ein Grundprinzip der Rechtsordnung ist, dürfen Energieversorger ihren Kunden kündigen – genauso wie umgekehrt. Eine Angabe von Gründen ist dafür nicht erforderlich, teilt die Regulierungsbehörde E-Control dem STANDARD auf Anfrage mit. Dass man gekündigt wird, weil man nicht in Tirol lebt, mag zwar nicht besonders elegant sein, aber rechtskonform ist es.

"Danke für Ihre Treue": Dürfen die Stadtwerke Wörgl einfach kündigen?
privat

Nur eine wichtige Voraussetzung muss vorliegen, damit die Kündigung möglich ist: Energieversorger müssen eine achtwöchige Frist einhalten. Das verschafft Kundinnen und Kunden Zeit, einen neuen Anbieter zu suchen.

Wurde der Liefervertrag für eine bestimmte Mindestvertragsdauer abgeschlossen – üblicherweise ist das ein Jahr –, ist eine Kündigung zudem erst nach dieser Zeit möglich. Dies gilt natürlich beidseitig: Kundinnen und Kunden dürfen ebenfalls erst mit Ende der Vertragslaufzeit ihrem Versorger kündigen.

Prinzipiell ist es durchaus gängig, dass Energieversorger sich mit ihrer Tätigkeit auf bestimmte Regionen spezialisieren und andere außen vor lassen. Wenn sich derartige geografische Schwerpunktsetzungen verschieben, kann es zu Kündigungen kommen – wie offensichtlich im Fall der Stadtwerke Wörgl. Die Kunden müssen sich in diesem Fall neue Anbieter suchen, ob sie wollen oder nicht. Orientierungshilfe bei der Suche bietet beispielsweise der Tarifkalkulator der E-Control.

Mit der Neuausrichtung in Wörgl jedenfalls "machen sich die Stadtwerke fit für die Zukunft und konzentrieren sich auf den Heimmarkt", begründet Reinhard Jennewein, Geschäftsführer der Stadtwerke Wörgl, den Ausschluss der Nichttiroler in einer Stellungnahme an den STANDARD. "Davon profitieren die Kundinnen und Kunden in Tirol und vor allem in Wörgl." Aber inwiefern profitieren die Tiroler Kunden? "Da künftig weniger Stromkunden beliefert werden, kommt bei den Verbrauchern anteilig mehr Strom aus den eigenen Kraftwerken der Stadtwerke an. Die Eigenerzeugung steigt von aktuell 40 Prozent auf deutlich mehr als 50 Prozent. Der große Vorteil: Die Stadtwerke Wörgl müssen weniger teuren Strom an den internationalen Strommärkten einkaufen, haben weniger Risiko und können so künftig am Heimmarkt attraktivere Preise anbieten." (Joseph Gepp, 11.8.2023)