Mit Noise in den Amok: Willkommen in Kultur-Wien!
Martin Putz

Eine weibliche Stimme: "Dieses Wiener Publikum ist ja auch besonders stumpfsinnig." Ein solcher Liebesgruß aus der Thomas-Bernhard-Küche wird gleich am Beginn eines "Noisicals" serviert, das Impulstanz als Festival-Nachspeis’ im Odeon kredenzt. Anstifter dieser Grand and Glorious Party sind die Komponisten Peter Kutin und Florian Kindlinger unter dem gemeinsamen Label The Sound of Musick.

Auf einem großen Drehpodest sitzen Angehörige einer Kulturschickeria an einer Tafel beim "künstlerischen Abendessen", das an Bernhards herbe Köstlichkeit Holzfällen erinnert. Rund ein Dutzend überdreht aufgedonnerter Leute: Drei von ihnen haben zähnefletschende Wolfsköpfe, eine trägt einen Vollvisierhelm, einer spielt in Anzug und mit rosa Schleifchen im Haar als Hündchen auf dem Boden herum. Etwas abseits bläst ein grün Maskierter im Kostüm wie aus der Mozart-Zeit in eine Querflöte.

Eine doppelte Wiener Folklore, einerseits als Satire aufs alte Kunstgift, andererseits als Anspielung auf die Verachtung für dasselbe. Eine "Publikumsbeschimpfung" à la Peter Handke gibt es heute nicht mehr. Aber das Gift ist noch da, in anderer Mischung freilich, mit erhöhtem Moralinanteil zum Beispiel, dort und da als Heilmittel getarnt.

Wunderbare Lärmobjekte

The Grand and Glorious Party erinnert daran, dass die Kunst auch eine Abfuhr des außerkünstlerischen, "normalen" Welthorrors ermöglicht, am besten durch Konfrontation – und dass sie so ihr Publikum über Jahrzehnte zur Toleranz erzogen hat. Mit von der Party sind unter anderen die Noisemusik-Größe Victoria Shen, die Sängerin und Künstlerin Johanna Sophia Baader (sie empfängt im Foyer mit einem Winterreise- Auszug zu Drehorgelbegleitung), die Choreografinnen Akemi Takeya und Elisabeth Bakambamba Tambwe sowie die Tänzerin Katharina Meves, weiters Didi Bruckmayr und Michael Strohmann von Fuckhead.

Shen liefert einen phänomenalen Solo-Auftritt – keine Sorge, das Festival verteilt Ohrstöpsel zur eventuellen Vermeidung eines Gehörschneckentraumas – mit wunderbaren Lärmobjekten, die sie auf einem fahrbaren Tisch mit sich herumführt. Auch ein Video wird projiziert. Darin tanzt Bruckmayr ein Duett in einem düsteren Glaspavillon. Hinten auf der Unterhose trägt er eine Nummer, vorne ein Konterfei von Sigmund Freud.

Wie die Noisemusik, oder das musikalische Experiment überhaupt, wird in Wien auch die Psychoanalyse mit ihren Einsichten wahnsinnig gerne ignoriert. Stattdessen gibt es im hiesigen Kulturleben immer irgendeinen Kalten Krieg, der manchmal auch noch eskaliert. The Grand and Glorious Party macht aus diesem Klima ein ausgesprochen erbauliches Fest. (Helmut Ploebst, 11.8.2023)